Ehrenpreis der deutschen Filmkritik 2022 – Laudatio für die Filmgalerie 451

Am 19. Februar 2023 wurde die Berliner Filmproduktions- und Verleihfirma Filmgalerie 451 von Irene von Alberti und Frieder Schlaich für ihren einmaligen, so dauerhaften wie vielfältigen Beitrag zur Filmkultur in der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus mit dem Ehrenpreis der deutschen Filmkritik ausgezeichnet (weitere Informationen zu dieser Entscheidung sind der Pressemitteilung vom 08.02.2023 zu entnehmen).

Mit der Preisvergabe würdigt der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) ein Engagement fürs Kino, das noch lange nicht abgeschlossen ist und sich seit der Gründung der Filmgalerie 451 im Jahr 1987 gleichermaßen durch Originalität, ästhetischen Wagemut und Vielfalt auszeichnet. Vor dem Hintergrund der grundsätzlich unbefriedigenden, nicht nur ökonomisch prekären Lage der Filmkultur in Deutschland ist der VdFk stolz, ein Team auszuzeichnen, dass sich auf allen Ebenen in außergewöhnlicher und unvergleichlicher Weise für diese Filmkultur einsetzt.

Die Laudatio zur Preisverleihung hielt Heinz Emigholz, nachfolgend ist der volle Wortlaut zu finden.

Die Ehrenpreisträger*innen Irene von Alberti und Frieder Schlaich (Filmgalerie 451) mit Laudator Heinz Emigholz (Foto: © Sabine Gudath)

Laudatio auf Irene von Alberti und Frieder Schlaich 

Liebe Irene, lieber Frieder, 

niemand hat diesen Preis zurzeit mehr verdient als ihr zwei. Herzlichen Glückwunsch dazu. Und viele Filmschaffende – darunter auch ich – können sich ganz sicher auch dazu gratulieren, dass es euch überhaupt gibt. Wundersamer Weise. 

Irene von Alberti und Frieder Schlaich sind seit den 1980er Jahren Komplizen auf einem Terrain, dass leider meistens aus Untiefen besteht. Man möchte sie eigentlich überall sehen: Als Politiker und Entscheider in der Filmförderung, als Lehrende an den Film- und Kunsthochschulen, in den Redaktionen der Sender und Streamingsdienste usw. Aber das geht natürlich alles nicht, weil sie zuerst einmal selbst Regisseure von Filmen sind, und dann eben auch – zur Freude vieler rechtschaffener Filmemacher und Filmemacherinnen – Produzenten und Verleiher zumeist ungewöhnlicher, eigenwilliger und manchmal seltsamer Werke, die sonst nie das Licht eines Projektors oder Monitors erblickt hätten. Was nicht heißt, dass sie es sich in vorauseilender Bescheidenheit in einer sogenannten Nische bequem gemacht haben. Die für mich bewiesene Behauptung steht vielmehr im Raum, dass das, was die beiden betreiben, direkt auf den Kern und Sinn des Filmemachens abzielt. Und das mit einem Enthusiasmus und einer Sturheit und Ausdauer, die diesen Preis verdient.

Ich könnte die kurze Zeit, die ich hier habe, allein schon – und das auch nur unvollständig – mit der Aufzählung eurer Aktivitäten füllen: Als Gründer der in Deutschland lange Zeit besten Videothek und dann Videothekenkette, als Herausgeber excellent gestalteter DVD-Reihen, als Produzenten und/oder Verleiher der Filme von Thomas Arslan, Cynthia Beatt, Omer Fast, Roland Klick, Elfi Mikesch, Angela Schanelec, Philip Scheffner, Christoph Schlingensief, Werner Schroeter, Robert Schwentke, Albert Serra, Isabelle Stever, Hans-Jürgen Syberberg und Tatjana Turanskyj. Ich habe dem Alphabet die Ehre gegeben und dabei Irene und Frieder selbst und mich ausgelassen. Ein Director’s Label also. 

Noch ein paar Namen von Leuten, die mit ihren Produkten in der Filmgalerie 451 vertreten sind: Henning Beckhoff, Helmut Berger, Enki Bilal, Fernando Birri, Bettina Böhler, Nouri Bouzid, Tizza Covi, Sibylle Dahrendorf, Miriam Dehne, Deepa Dhanraj, Ottomar Domnick, Tankred Dorst, Suliman Elnour, Constanze Fischbeck, Bence Fliegauf, Anja Franke, Rainer Frimmel, Herbert Fritsch, Stephan Geene, Lana Gogoberidse, Esther Gronenborn, Philip Gröning, Ruy Guerra , Adamu Halilu, Elke Hauck, K. Hariharan, Helene Hegemann, Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler, Thomas Imbach, Riki Kalbe, Mani Kaul, Peter Kern, Andreas Kleinert, Michael Klier, Ulrich Köhler, Daniel Kötter, Marvin Kren, Kathrin Krottenthaler, Jessica Krummacher, Dani Levy, Max Linz, Guy Maddin, Eltayeb Mahdi, Pia Marais, Raya Martin, Sheila McLaughlin, Bady Minck, Laura Mulvey, Hans Neuenfels, Rüdiger Neumann, Pier Paolo Pasolini, Raoul Peck, Mark Peranson, Paul Poet, Matt Porterfield, Sandra Prechtel, Ibrahim Shaddad, Jan Speckenbach, Maria Speth, Isabelle Stever, Sobo Swobodnik, Klaus Telscher, Christian Braad Thomsen, Lynne Tillman, Marie Vermillard, Nicolas Wackerbarth, Christian Wagner, Apichatpong Weerasethakul, Henner Winckler, Peter Wollen, Klaus Wyborny, Jan Zabeil. Ende des Namedroppings. 

Worum geht es also? Darum, dass es für den Film jenseits seiner Existenz als Warenform und Quatschgegenstand ein Leben als Erkenntnisinstrument gibt. Aus dieser Gewißheit heraus mache jedenfalls ich Filme, und ich könnte das nicht tun und hätte das nicht so lange Zeit tun können, wenn es Irene von Alberti und Frieder Schlaich nicht gäbe. Es gibt ja gewisse Klischees über den Umgang von Regisseuren mit Produzenten. Da ist das Prinzip Verbrannte Erde: Man verkracht sich mit Einem nach dem Anderen, nachdem man deren Resourcen und Fähigkeiten ausgeschöpft hat. Dann ist man in Deutschland nach sieben Filmen am Ende, weil die Personaldecke in unserem Ländle so dünn ist, und man alle durchhat. Oder es gibt diese legendären Familienverbände, die – wenn man wie ich nicht der Überzeugung ist, dass die Familie das Größte ist, was diese Welt zu bieten hat – schon zu oft bewiesen haben, dass sie zum Himmel stinken. 

Dagegen gibt es die Überzeugung, dass Filmemachen eine intellektuelle Notwendigkeit ist, die möglicherweise sogar einen Kulturkampf hervorruft. Mit dem allerdings auch eine auf Genres versessene Kritikerschar in ihrem Dienstleistungseifer zumeist nichts anfangen will, weil es sie aus dem leichten Säuseln über eine seichte oder bedeutsame Ware, die dann – wie es so dümmlich heißt – „zum Nachdenken anregen“ soll, herausreißt. Die Menschen haben auch schon nachgedacht, bevor es den Film gab. Film kann aber einem in Idealismus und muffiger Konsequenzlogik verrotteten Denken einen Tritt versetzen und andere Saiten aufspannen. Mit Film kann überhaupt erst verbindlich und auf mögliche Realitäten bezogen neu gedacht werden. Dafür liefern intelligente Produzenten das Material. Und wenn man – wie ich – bei dessen Produktion genau mitdenkende Partner als Produzenten hat, kann man sich glücklich schätzen. Ich bin also glücklich, und Irene und Frieder sollten es heute auch sein. Vielen Dank.

Heinz Emigholz, 19. Februar 2023    

Irene von Alberti und Frieder Schlaich (Filmgalerie 451), ausgezeichnet mit dem Ehrenpreis
(Foto: © Sabine Gudath)