Corneliu Porumboiu zeigt, wie man eine Nabelschau bis unter die Bauchdecke treibt, ohne sich Blöße zu geben.
Nino Klingler
Wenn der Regisseur (Bogdan Dumitrache) den Kopf dreht, schwenkt die Kamera. Beide Blicke – einer leicht sadistisch, der andere mechanisch-registrierend – folgen der Schauspielerin Alina (Diana Avramut) bei der Probe. Die klappert pantomimisch einmal mehr jede Kleinigkeit der sich ständig verändernden Szenenanweisungen des Regisseurs ab: Duschen, Handtuch umbinden, Haareföhnen, Abtrocknen, Socken holen, Schlüpfer an. Nein, doch erst Socken holen, dann Abtrocknen. Oder zuerst den Schlüpfer an? Die Kamera, und damit wir Zuschauer, sind allerdings im Vorteil: Wir sehen nicht nur sie, die sich abmüht, sondern auch ihn, der sie beobachtet und ihr befiehlt. Und mit dieser Bloßstellung des Bloßstellers (denn eigentlich braucht er nur einen Vorwand, die Dame nackt ins Bild zu rücken) wird das alles auf angenehme Weise absurd.
Operation am lebenden Körper
Corneliu Porumboius griffig betitelter When Evening Falls on Bucharest or Metabolism (ab jetzt kurz: Metabolism) ist geprägt von subkutanem, unterdrücktem Humor. Der Film über die (professionelle, sexuelle) Beziehung der kühlen Nebendarstellerin Alina zum neurotischen Regisseur Paul ist eine ziemlich geschwätzige Vivisektion neurotischen Filmemachens. Die so tollkühn wie wortreich begründeten Stilvorlieben Pauls haben dabei rein zufällig frappierende Ähnlichkeiten mit einer ganz bestimmten Form von Kino: der sogenannten Neuen Rumänischen Welle. Und damit natürlich auch mit dem Kino Porumboius, und mit diesem Film.
Lange Einstellungen, viel Zeit für Leere und Nebensächlichkeiten, minimalistisches Spiel und gräulicher Realo-Anstrich: So könnte man etwas grob die ästhetischen Spielregeln des festivaltauglichen, nicht mehr ganz so neuen rumänischen Kinos beschreiben. Und zu all dem hat Paul eine Meinung, die Porumboius Skript verlässlich gegen die reserviert-schmunzelnde Alina branden lässt: Die Mittel (analoge Filmrollen von maximal 11 Minuten Länge) bestimmen den Stil (ungeschnittene Einstellungen). Das Spiel (naturalistisch) bestimmt die Wirkung (realistisch). Und so weiter.
Der Zweck von Kommunikation ist, sich niemals einig zu werden
Metabolism deutet schon mit seinem Titel an, dass er die metaphorische Nabelschau des Film-übers-Filmemachen ganz wörtlich nehmen, bis ins Körperliche treiben will. Alina bringt es auf den Punkt: „Eine Liebesbeziehung zwischen Schauspielerin und Regisseur ist abnormal.“ Wenn’s fleischlich wird, lösen sich die sprachlich angenehm leicht aufrechtzuerhaltenden Kategorien (Form/Substanz, Subjekt/Objekt, Schauspielerin/Liebespartnerin) ziemlich schnell auf, kommen die Verhältnisse ins Wanken. Paul redet sich dennoch weiter um Kopf und Kragen, Alina zerlegt ruhig seinen kulturtheoretisch angereicherten Blödsinn mit schlichter Logik und provoziert damit doch nur neue Begründungen. Paul ist ein grimmiger Eulenspiegel, virtuos darin, apodiktisch zu sprechen und doch ständig den Standpunkt zu wechseln. Alina hingegen verbiegt ihre lebenskluge, theoriefremde Klarheit immer wieder, damit das Gespräch nicht abbricht. So kommunizieren sie unablässig, um sich zu versichern, wie sehr sie sich voneinander unterscheiden.
So lustig manche ihrer Unterhaltungen auch sind, etwa wenn Paul anhand von Essstäbchen einen medienästhetischen Allgemeinplatz als tiefe Einsicht (die Instrumente bestimmen die Kunstform) verkauft und Alina ihn daraufhin eiskalt des Selbstwiderspruchs überführt: Die wahre Diskussionen tragen die beiden mit ihren Körpern aus, die zwei inkompatible somatische Sprachen sprechen. Er, der ketterauchende, krummrückige Ekel; sie, die kerzengerade, beherrschte Unnahbare. Dass ihre Beziehung scheitern muss, ist von Beginn an ihrem Verhalten abzulesen. Die Kamera bleibt dabei stets Porumboiu-typisch fest verankert, markiert den einen klaren Standpunkt, den sich die Menschen gegenseitig verwehren.
Unerfreuliche Beobachtungen dritten Grades
Porumboiu hat sich schon mehrfach als Meister der Kategorie Beobachten-der-Beobachter erwiesen, mit Police, Adjective (Politist, adjective, 2009) etwa, der einem kleinen Kriminalbeamten beim Observieren observierte. Oder zuletzt mit dem herrlich unkomplizierten, ungemein schlauen The Second Game (Al doilea joc, 2014), der zwei Männern beim Fußballschauen zuhörte. Metabolism treibt diese selbstreflexive Disziplin nur leider die eine Umdrehung zu weit, mit der sie allzu augenfällig und damit unangenehm schlaumeierisch wird.
Das liegt nicht per se am Genre des Meta-Films, auch wenn seit Godards spielerisch-wütender Verachtung (Le mépris, 1963; Porumboiu erwähnt diesen Film in Interviews als Inspiration) die reflexiven Selbstbeobachtungen von Filmemachern grosso modo zahnlos wurden, weil von den ständig gleichen Fragen besessen (obwohl auch das, siehe Hong Sang-soo, wieder eine Ecke weiter und damit ins Witzige getrieben werden kann). Nein, es liegt am verkopften Grundton Porumboius; daran, dass sogar ein später Bruch mit den selbstgesteckten Konventionen wie ein durchberechnetes Manöver wirkt. Da dringt eine leinwandfüllende, sehr digital ausschauende Endoskopieaufnahme bis in einen gastritischen Magen vor, den Paul für seinen ausgibt, um eine erlogene Krankheit zu beweisen. Nur um den eigenen Hals zu retten, missbraucht er die ihm doch eigentlich so heilige Beweiskraft des Bildes.
Den gestaltungswütigen Kontrollwahn, der an Pauls Figur so offensiv bearbeitet wird und der sie jämmerlich und angreifbar werden lässt, will Porumboiu, will der Film nicht so richtig aufgeben. Das enttäuscht als Letzteindruck: Wenn eine Selbstbefragung nicht ergebnisoffen geführt wird, sondern zum mission statement gerinnt, fühle ich mich etwas an der Nase herum geführt. Aber solange die Mission in vielversprechende Richtungen führt, bin ich prinzipiell trotzdem gerne dabei.
(Erstveröffentlichung: critic.de am 10.11.2014 )
Dieser Text wurde gefördert durch die MFG Filmförderung Baden-Württemberg. Im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Preises erhält der Autor für das Jahr 2014 ein Stipendium zum Verfassen von Filmkritiken.