Notizen zum Kino 2: Frühstück mit Hitler – eine Gesprächsrunde

eingerichtet von Josef Schnelle

„Sonntag beim Führer zum Frühstück. Er ist ganz glücklich über diese schönen Tage. Wir sind beide gleich ganz Feuer und Fett. Dann reist Führer ab. Ich bleibe ganz traurig zurück. (Josef Goebbels: „Tagebücher“)

Soviel Hitler war nie. Ein Kinojahr 2005 voller Hitlerbilder, voller Film und Fernsehproduktionen mit dem Anspruch, ein neues Bild des Nazifaschismus zu zeigen. Mit Bernd Eichingers Film Der Untergang hatte alles begonnen. Der aufwändige Film über die letzten Tage, im Führerbunker inszeniert von Oliver Hirschbiegel überholte alle parallel in der Produktion befindlichen Projekte und kam schon Ende 2004 ins Kino, wo er 4,5 Millionen Zuschauer anlockte. Auf dem Fernsehschirm wollten ihn dann Ende 2005 noch einmal rund sieben Millionen sehen. In den „Notizen zum Kino #1“ im „Filmjahrbuch 2004“ hat Markus Stiglegger den Beginn dieser Neue Welle dieser Geschichtsbilder im deutschen Film analysiert. Doch das Thema lässt die deutschen Filmemacher offenbar nicht los. Der Berliner Regisseur Dani Levy, zuletzt hatte er mit seiner deutsch-jüdischen Kinokomödie Alles auf Zucker den Lubitsch-Touch wiederbelebte, dreht zum Beispiel eine Komödie, die Mein Führer heißen soll. Sie wird von einem fiktiven jüdischen Redenschreiber Adolf Hitlers erzählen. Die Filmemacherin Jutta Brückner hat ihre Hitlerkantate – einen Film über einen ebenfalls fiktiven Komponisten, der zu Hitlers 50sten Geburtstag  eine Musik komponieren soll schon abgedreht. Die Diskussion um neue filmische Ein- und Aufsichten zum Thema wird also kaum verstummen, eher noch an Intensität gewinnen.

Das folgende Gespräch zwischen den Filmregisseuren Lutz Hachmeister (Das Goebbels Experiment), Heinrich Breloer (Speer und Er), Denis Gansel (Napola) und Marcel Schwierin (Ewige Schönheit) hat gar nicht stattgefunden. Es ist eine Kompilation aus mehreren Einzelgesprächen, die im Hörfunkfeature „Frühstück mit Hitler“ neben anderen Materialien verarbeitet wurden. Die Filme gehen ganz unterschiedliche Wege. Lutz Hachmeister benutzt die Texte der Goebbels-Tagebücher und Filmdokumente um eine Innenansicht von Hitlers Propagandaminister und treustem Paladin bis in den Tod herzustellen. Dadurch übernimmt er auch die Leerstellen in Goebbels Darstellung und seine subjektive, oft manisch-depressive Sicht der Dinge. Das auf diese Weise entstehende Psychogramm soll einen Beitrag zu Psychopathologie des NS-Faschismus leisten.

Denis Gansel will mit Napola die Mechanismen der Verführung durch das Versprechen einer erfolgreichen Karriere in einem herbeiphantasierten Tausendjährigen Reich darstellen, und erzählt in Form eines Internats-Genrefilms die Geschichte eines Jungen der in die Eliteschule Napola gerät. Der Film wurde heftig und kontrovers diskutiert und tourte im vergangenen Jahr durch  Schulen und Goetheinstitute.

Marcel Schwierins Film Ewige Schönheit ist die erste systematische Untersuchung der Ästhetik des Dritten Reiches in Form eines Filmessays. Der Film argumentiert mit den Bildern der Dokumente aus dem Dritten Reich und untermauert damit immer wieder seine Hauptthese. Der Nazifaschismus ist in allen Belangen gescheitert. Nur die Bilderhoheit über seine Darstellung im Film hat er bis heute behalten.

Heinrich Breloer schließlich, mehrfacher Grimme-Preisträger mit seiner speziellen Mischform aus dokumentarischem und gespieltem Material, die er zusammen mit dem Autor Horst Königstein entwickelt hat, wagt sich mit dem aufwändigen Fernsehvierteiler Speer und Er an ein neues Hitlerbild heran, das der österreichische Schauspieler Tobias Moretti verkörpert. Im Mittelpunkt des TV-Dreiteilers steht aber Albert Speer, der Architekt von Hitlers Monumentalprojekten, der ab 1942 Rüstungsminister wurde. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, der ebenfalls im Film geschildert wird, kam er glimpflich davon und saß dann bis 1966 im Spandauer Sondergefängnis, wo er an seiner Legende als Schöngeist und Mitläufer strickt. Der Titel Speer und Er weist auf die Schizophrenie des engen Hitlervertrauten hin, aber auch auf Hitler, den Speer stets als seinen Freund bezeichnete.

Eine Frage in die Runde: Gibt es einen neuen Umgang mit dem Nationalsozialismus und seinen Figuren?

Marcel Schwierin. Ich würde sagen: Es gibt den Versuch zu einer neuen Unbefangenheit. Letztlich hatte ich das Gefühl, dass alle Filme genauso befangen oder nicht befangen sind wie die Filme vorher auch. Aber man versucht jetzt, dem Nationalsozialismus sich noch mal aus einer ganz anderen Perspektive zu nähern. Aus der sehr stark persönlichen Perspektive. Das sagen auch schon die Titel: Speer und Er, oder Napola, das ist es die Geschichte eines Jungen, die erzählt wird oder Der Untergang da geht’s eben sehr stark um die persönlichen Beziehungen in der Reichskanzlei. Also man versucht, das alles gewissermaßen noch einmal durch die individuelle Perspektive zu sehen und die Filme versuchen dabei so ein bisschen die Perspektive der Nationalsozialisten darzustellen.

Heinrich Breloer: Gibt es jetzt einen anderen Umgang mit den Figuren des Dritten Reiches? Mit dem Material, das uns überliefert wird. Können wir jetzt in einem interessanten Sinne schamloser damit umgehen? Auch Einzelgeschichten herausgreifen ohne  den Zusammenhang zu zeigen. Das ist die Frage. In einem anderen souveräneren Deutschland. Das jetzt auch Kriegseinsätze wieder macht. Die Filmemacher gehören auch zu einer anderen Generation. Denis Gansel, der Napola gemacht hat, hat auch nicht diese Hemmungen und die Erziehung mit der wir noch alle aufgewachsen sind. Bernd Eichinger ist ja eher meine Generation. Wir haben lange dazu gebraucht, den Mut zu finden, das zu machen.

Denis Gansel: Es hat eine Generation mehr gebraucht, um einen Schritt zurück zu treten und in Napola einen Film zu machen, der nicht sagt: Wie konntet ihr nur nicht im Widerstand sein. Sondern einen Schritt weiter zu gehen und zu fragen: Warum war es eigentlich so. Eine Schlüsselszene findet sich jetzt in Napola auch und zwar wenn der Friedrich vor dem Spiegel steht und das erste Mal seine Uniform anzieht. Das basiert auf einem Gespräch, das ich mit meinem Großvater geführt habe. Wo er gesagt hat. Ich hatte nichts. Ich konnte nicht studieren und plötzlich hatte ich diese Uniform und ich weiß noch ganz genau wie ich vor dem Spiegel stand und mich selber angeschaut habe. Links Rechts und plötzlich hatte ich das Gefühl. Ich war erwachsen. Und dieser Moment. Diese fünf Minuten vor dem Spiegel haben eigentlich viel mehr dazu beigetragen für Adolf Hitler zu sein, als es eventuell Antisemitismus oder ne hohe Arbeitslosigkeit getan haben. Und das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Diese Psychologie. Das will ich nicht nur erzählen, sondern für ein großes Publikum nachvollziehbar, nachempfindbar machen.

Marcel Schwierin: Napola ist ja ein sehr gut gemachter Film. Diese Psychologie des Hauptdarstellers kommt schon sehr überzeugend rüber. Er kommt eben in diese Konfliktsituation. Einerseits ist er ja durchaus fasziniert von dem Ganzen. Andererseits stößt es ihn eben auch ab. In Details. Ich finde allerdings die Darstellung dieser Details manchmal sehr problematisch. Etwa wird ja der Tod seines Vaters wird ihm ja mitgeteilt. Der durch die Gestapo ermordet wird. Das komische aber ist, dass dieser Vater unglaublich unsympathisch dargestellt wird. Der einzige Antifaschist im Film ist ein ausgesprochener Unsympath. Da zitiert Napola eigentlich den Film Hitlerjunge Quex. Das ist ein nationalsozialistischer Propagandafilm in dem es genau darum geht. Ein Junge will unbedingt zur Hitlerjugend. Der Vater ist dagegen und gibt ihm sogar eine Ohrfeige damit er nicht dahingeht. Und genau dieselbe Szene zeigt Napola. Ich weiß gar nicht, ob dieses Zitat bewusst gemacht wurde. Meines Erachtens ist es nicht gebrochen. Und das Grundbild was da wieder dargestellt wird ist das des verführten Deutschen. Der junge Boxer ist letztlich kein Nazi, wird auch keiner im ganzen Film nicht. Die Möglichkeiten, die ihm das eröffnet, das ist es was ihn fasziniert und angesichts der Untaten zieht er sich dann zurück. Auch das war leider nicht so. Der Film gibt es ja sogar zum Schluss zu. In dem er dann einblendet, dass eben diese Napola-Schüler mit einer unglaublichen Begeisterung in den Krieg gezogen sind.

Denis Gansel: August Heismeier, der die Napolas quasi erfunden hat, der hat gesagt: Wer verführen will, muss Verführerisches bieten. Damit er eigentlich die Grundpsychologie der jungen Leute getroffen. Er hat gesagt: wenn ihr auf unsere Schule kommt, dann werdet ihr eines Tages  Gauleiter von Chicago oder von Moskau sein. Das waren natürlich gerade für Unterschichtkinder unglaubliche Perspektiven. Und das  eben verquickt mit einer sehr schönen Umgebung. Die Napolas lagen ja oft in alten Schlössern oder imposanten Burgen in landschaftlich sehr schöner Umgebung und dann konnte man Sport machen. Die Leute sind ja Ski gefahren. Im Sommer ans Meer gefahren. Mit Abenteuerlust mit Kameradschaft hat man gelockt. Da war eine unglaubliche Magnetwirkung auf die jungen Leute.

Lutz Hachmeister: Ich glaube: das ist der wirkliche Wechsel des Blickwinkels, dass man, dass die Hauptfiguren als Teile des Systems dargestellt werden und man selber parallelisiert sich mit den Hauptfiguren. Das heißt, man muss die Rolle der Hauptfiguren auch wahr- und einnehmen und dann darüber reflektieren. Wenn ich in der Situation gewesen wäre, was hatte ich eigentlich gemacht. Das ist ja die alte Frage, die aber durch konventionelle filmische Sichtweisen eher abgeblockt wird – durch diese Aufsicht. Indem ich von vorneherein weiß, was gut und böse ist, bekomme ich ja eigentlich eher ne didaktische Erklärung eines verwerflichen Systems. Hier wird quasi die individuelle Rolle in den Vordergrund gesetzt, ich muss mich als Individuum fühlen in einer Umgebung die zunehmend totalitärer und geschlossener wird, die aber kleine Fluchten offen lässt und natürlich große Angebote für Spektakel, für Entertainment, für Aufmärsche, für Massenbewegungen, die damals bei weitem nicht so verpönt waren wie heute. Nicht mal unter Linken, vielleicht unter Hardcore-Intellektuellen wie Klaus Mann, der von vorne herein gesagt hat – da mach ich nicht mit, das finde ich fürchterlich – aber viele Linke waren Kommunisten, waren Bolschewisten, die genau diese Quadrage, dieses sich bewegen in klar abgezirkelten Massenbereichen sehr goutiert haben, die Leute dafür bewundert haben, wie sie das Volk so organisieren konnten. Und das aus der Perspektive von Protagonisten zu erzählen finde ich sehr gewinnbringend, weil dann so vermeintliche Gewissheiten auch aufhören zu existieren, zumindest für eine Weile im Kopf und im Bewusstsein des Betrachters, also ich find das nicht nur legitim, sondern vollkommen notwendig, diese Filme so zu drehen.

Marcel Schwierin: Was man direkt nach dem Krieg versucht hat ist, die Bilder der Opfer, die Bilder des Schreckens dagegen zu setzen. Ich würde das mal nennen: die Bannung der übermächtigen Bilder der nationalsozialistischen Ästhetik. Das sind diese berühmten Bilder aus den Konzentrationslagern, besonders aus Auschwitz. Das funktionierte ja auch sehr lange Zeit. Wenn jemand nur den Begriff Auschwitz hörte, sieht er ja sofort diese Bilder der armen gefolterten Menschen, die gerade noch überlebt haben und die riesigen Leichenberge. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass sich dort eine Art Gleichgewicht der Bilder austariert hatte, so dass die nationalsozialistischen Bilder – Triumph des Willens, die Ausschnitte, die immer wieder zitiert werden – dass die sich keiner angeschaut, ohne die Ausschwitz-Bilder mitzudenken. Aber das scheint etwas zu sein, was seit den 90er Jahren nachlässt. Es gibt wieder eine deutliche Faszination eben seit den 90er Jahren für den Nationalsozialismus und offensichtlich schaffen es jetzt Leute, die Bilder des Nationalsozialismus im Kopf zu imaginieren ohne die Ausschwitzbilder mitzudenken.

Lutz Hachmeister: Ich denke, es ist schon eine riesige Kriminalgeschichte des 20 Jahrhunderts. Das nationalsozialistische Regime. Nehmen wir mal Stalin und Mao aus, die uns etwas entfernter sind. Insofern halte ich es für vollkommen verständlich, dass immer in Wellen in neuer Ästhetik und mit einer neuen Betrachtungsweise über diese Jahre von 1933 bis 1945 Filme gemacht werden.

Heinrich Breloer: Eins ist sicher, der Damm ist jetzt gebrochen. Es werden neue Geschichten kommen.

Josef Schnelle
© VdFk 2006

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