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Ein Liebender
Es gehört zum Beruf des Filmkritikers, dass man manchmal
auch dann etwas zu Papier bringen muss, wenn einem nach Schreiben als
Allerletztes zumute ist. Wenn einem die Worte fehlen, oder es einfach nichts zu
sagen gibt, das angemessen wäre. Das muss seine Ursache nicht immer im Kino
haben, ein solcher Moment ist auch der Tod eines Kollegen, Vorbilds und
Freundes. Michael Althen war dies für viele deutsche Filmkritiker.
"Die Besten sterben früh…" das ist so einer dieser
coolen Filmsätze, den man gern mal dahinsagt – bis er einem irgendwann im Hals
steckenbleibt, weil er im Leben plötzlich eingetreten ist. Was Michael Althen
zum besten Kritiker seiner Generation machte, war, dass bei ihm das Leben und
das Kino eine enge Verbindung eingingen, dass seine Texte noch weniger, als die
der anderen, von seiner Person zu trennen waren. Die Empfindungen, die kleinen
Beobachtungen am Rande und die Augenblicke der Erfahrung waren immer präsent in
diesen Texten, und sie blieben stets wichtiger, als große Thesen und
grundsätzliche Erklärungen zum Stand der Kino-Dinge. Es sind Details, in die
man sich verliebt, und Liebe, die zum Kino und die zum Leben, und das Risiko,
das zur Liebe dazugehört, war Althen immer wichtiger, als die Unrevidierbarkeit
eines Urteilsspruchs. Dem Gefühl sein Recht zu geben, auch dort wo es diffus
ist, es überhaupt in einem öffentlichen Text zuzulassen, und in Worte zu
fassen, das konnte man von Althen lernen.
Woran man sich aber zuallererst erinnert, ist seine
Großzügigkeit. Als Redakteur ließ er jedem seiner Autoren seine Stimme, und
konnte gut damit leben, wenn Meinungen auseinandergingen – darüber hat er dann
gern, beim Bier oder beim Whisky gestritten, aber er hätte nie zugelassen, dass
man sich zerstritt. Wenn es etwas zu tadeln gab, dann kam dieser Tadel
beiläufig, immer getragen vom Willen, das grundsätzliche Wohlwollen spüren zu
lassen. Zugleich strahlte er eine ungeheure Ruhe aus, eine Gelassenheit, die
manche mit Phlegma verwechselten, die aber doch eher in der klugen Einsicht
bestand, das nicht alles die Aufregung lohnt, und das man manchmal statt in
Hektik zu verfallen, besser zusammen etwas trinken geht, oder einen guten Film
anguckt.
Vielleicht hat dies alles auch mit seiner Herkunft aus
München zu tun, mit jener Liberalitas und Heiterkeit, die man Süddeutschen eben
nicht ganz zu Unrecht nachsagt. In München wurde Althen am 14. Oktober 1962
geboren, und schon sehr früh, seit 1984, schrieb er, der Journalismus und
Germanistik studierte, als Filmkritiker für die "Süddeutsche
Zeitung". Er schrieb auch für "Die Zeit", den
"Spiegel" und andere, war Redakteur bei der legendären
"Transatlantik" und seit 1998 als Nachfolger Petter Buchkas der Filmredakteur
der "Süddeutschen". Seit 2001 war er dann von Berlin aus
Filmredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Aber Althen war nicht nur Kritiker, er schrieb auch Bücher
über Dean Martin, Robert Mitchum und Rock Hudson, und 2002 sein persönlichstes:
"Warte, bis es dunkel ist – Eine Liebeserklärung ans Kino". Und er
drehte Filme: Für den WDR über "Essen im Film". Gemeinsam mit Dominik
Graf drehte er 1998 "Das Wispern im Berg der Dinge – Der Schauspieler
Robert Graf" und 2000 "München – Geheimnisse einer Stadt".
Gemeinsam mit Hans Helmut Prinzler entstand 2008 der Dokumentarfilm "Auge
in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte". Er gewann zwei Grimme-Preise.
Wer so viele Filme sieht, der hat keine Lieblingsfilme mehr,
oder, was aufs Gleiche rauskommt, viel zu viele. Lieblingsregisseure konnte
Althen aber sehr wohl nennen: Einer von ihnen war Blake Edwards, ein anderer
Michelangelo Antonioni. Über beide hat er einige seiner schönsten Texte
geschrieben – darunter auch die jeweiligen Nachrufe.
Althens unverwechselbaren Ton ahmten einige nach, erfolglos.
Viele von uns haben ihn bewundert, und das einzige, was in diesem Augenblick
der Trauer ein wenig tröstet, ist das, was er 1998 im Nachruf auf seinen
SZ-Vorgänger Peter Buchka beschrieb: "Das Glück, einen Menschen, wie ihn
gekannt zu haben."
Einmal, in einem Gespräch über die Frage eines dritten
Kollegen, was denn die eigenen "theoretischen Kriterien" für die
Filmbeurteilung sein, antwortete er wie erstaunt darüber, dass man überhaupt so
etwas Absurdes fragen könnte: "Ja, hingucken halt." Wir haben von ihm
gelernt, hinzugucken. Am 12. Mai 2011 ist Michael Althen in Berlin nach kurzer
schwerer Krankheit gestorben.
Rüdiger Suchsland