Nachruf auf Dore O.

Filmemacherin, Fotografin, Künstlerin

9. August 1946 – 7. März 2022

Dore O. auf der Veranda ihres Hauses in Mülheim an der Ruhr im Jahr 2020 (Foto: Daniel Kothenschulte)

Mit großer Trauer und Bestürzung nehmen wir zur Kenntnis, dass die diesjährige Ehrenpreisträgerin des Preises der deutschen Filmkritik Dore O. am 7. März 2022 tot aufgefunden wurde. Mit ihr verliert der deutsche Film eine seiner bedeutendsten Künstlerinnen, deren Werk weltweite Anerkennung fand. Durch ihre filmischen Experimente wurde sie seit Ende der 1960er Jahre zur Protagonistin einer neuen deutschen Filmavantgarde und auch zur Wegbereiterin für eine moderne Experimentalfilmkunst, wie es sie in Deutschland vorher nicht gegeben hat.

Nach einem Studium von Design und Malerei entdeckte Dore O. ab 1966 das Medium Film für sich. Gemeinsam mit dem zwei Jahre älteren Werner Nekes, den sie 1967 heiratete, arbeitete sie fortan an Filmen, die eine radikale Abkehr waren von der Tradition des narrativen Kinos. 1968 gründeten beide zusammen mit Klaus Wyborny, Hellmuth Costard, Helmut Herbst und anderen in Hamburg in Anlehnung an den amerikanischen Undergroundfilm die legendäre Hamburger Filmmacher Cooperative.

In den 1970er Jahren zog die gebürtige Mülheimerin mit Werner Nekes, der in Mülheim zur Schule gegangen war, zurück nach Mülheim an der Ruhr und baute dort eine an der Ruhr gelegene Lederwarenfabrik (aus altem Familienbesitz) zum Atelier und Wohnhaus um. An vielen der Filme von Nekes arbeitete sie mit, oft auch als Darstellerin. Mehrere Werke von ihr entstanden dabei auch in Co-Regie mit Werner Nekes, als erstes 1967 „jüm-jüm“, später noch „Beuys“ (1981), „Nekes“ (1982) und „Mitchell Feigenbaum“ (1992).

Ihre erste Regiearbeit, die sie allein verantwortete, war 1968 „Alaska“. Mit filmischen Poemen wie „Lawale“ (1969), „Kaldalon“ (1970) oder „Kaskara“ (1974) konnte sie ihren Ruf als eine bedeutende Experimentalfilmkünstlerin von internationalem Rang noch weiter festigen. Für „Kaskara“ wie für „Beuys“ (gemeinsam mit Nekes) wurde sie mit dem Preis der deutschen Filmkritik ausgezeichnet.

“Kaskara“ von Dore O. – Preis der deutschen Filmkritik 1974 (Foto © Dore O.)

Die Filmographie von Dore O. verzeichnet 19 Regiearbeiten. Zu den eindrucksvollsten späteren gehören „Blindman’s Ball“ (1988) und „Candida“ (1991). Letzterer war ihr erster langer Film, der sich als ihr persönliches Gegenstück zu Werner Nekes‘ berühmtesten Film „Uliisses“ (1982) verstehen ließ.

Mit ihrem letzten Film „Eye-Step“ zog sich Dore O. im Jahr 2000 vom Filmemachen zurück, um sich danach anderen Kunstformen zuzuwenden. Dabei entstand auch weiterhin ein komplexes und facettenreiches Werk aus filmischen Elementen, experimentell  bearbeiteten Fotografien, Objekten, Assemblagen und Installationen, die auf internationalen Kunstausstellungen zu sehen waren. Schon die Kasseler Documenta hatte ihr 1972 und 1977 Raum für ihre künstlerischen Experimente gegeben.

Die Deutsche Kinemathek restauriert seit einigen Jahren ihre Filme und ermöglicht damit in besonderer Weise auch wieder internationale Werkschauen, von denen einige schon stattgefunden haben und weitere in Planung sind. Ein Buch über Dore O., herausgegeben von Masha Matzke in Zusammenarbeit mit dem Filmbüro NW, ist ebenfalls in Vorbereitung.

Der Verband der deutschen Filmkritik hat Dore O. in diesem Jahr in Anerkennung ihres Lebenswerks den Ehrenpreis der deutschen Filmkritik zugesprochen. Über diese Auszeichnung hat sie sich noch sehr gefreut. Umso mehr erschüttert uns jetzt ihr unerwarteter Tod.

Vorstand und Beirat des Verbands der deutschen Filmkritik

Für das Foto, das sie vor zwei Jahren auf der Veranda ihres an der Ruhr gelegenen Atelier-und Wohnhauses zeigt, bedanken wir uns bei unserem Mitglied Daniel Kothenschulte, der zu dem Zeitpunkt das möglicherweise letzte Interview mit ihr führen konnte.