Erinnerungen an Werner Dütsch (1939 – 2018)

Gegen Ende des Jahres 2018 verstarb der ehemalige WDR-Filmredakteur Werner Dütsch, der nicht nur mit seiner redaktionellen Dokumentarfilmarbeit, sondern auch als Autor filmhistorischer Fernsehdokumentationen, cinephiler Bücher und analytisch-essayistischer Texte Maßstäbe gesetzt hat. In Nachrufen und Erinnerungen wird deutlich, wie viel an früherer Film- und Fernsehkultur in unseren modernen Zeiten zu verschwinden droht.                           

Werner Dütsch bei der Duisburger Filmwoche im November 2018

Werner Ružička über Werner Dütsch (Duisburger Filmwoche#PM)

Er war ein Freund. Und ein wirklicher Liebhaber des Films. Sieht man auf die Liste der Filme, die – man mag kaum sagen: betreute – die er zum Leben brachte, gegen oft immense Widerstände in seiner Anstalt, muss man sagen: Mit Werner Dütsch geht ein Stück Filmkultur verloren. Ja- zu seiner Zeit konnte man noch, ohne rot zu werden, das Fernsehen mit Kultur in Verbindung bringen. Allen, die ihn trafen, seinen luziden Analysen zuhörten, seinen Rat suchten und annahmen, seine höfliche, nie nachlassende Neugier spürten – all ihnen wie mir fehlt er schon jetzt.

Dietrich Leder über Werner Dütsch               (Medienkorrespondenz)

Werner Dütsch, der viele Jahre als Filmredakteur des WDR gearbeitet hatte, ist am 4. Dezember 2018 im Alter von 79 Jahren gestorben. Noch wenige Tage zuvor hatte er an der Duisburger Filmwoche teilgenommen, der er lange auch als Mitglied der Auswahlkommission verbunden war. Dem Dokumentarfilm hatte er sich in den letzten Berufsjahren im WDR gewidmet, als der damalige Leiter des Programmbereichs ‚Kultur und Wissenschaft‘, Hansjürgen Rosenbauer, ihn und seinen Kollegen Knut Fischer, der damals für Architektur im Fernsehen zuständig war, gebeten hatte, sich künftig um den Dokumentarfilm zu kümmern.

Neuland war das für Werner Dütsch nicht, denn manche filmkritische Arbeiten, die er in der Filmredaktion betreute, hatten sich wie etwa die Arbeiten von Hartmut Bitomsky und Harun Farocki zu eigenständigen Dokumentarfilmen ausgewachsen. Was also zunächst quasi klandestin geschah, wurde durch die Idee von Rosenbauer amtlich und der Autorendokumentarfilm, der zuvor über viele Redaktionen redaktionell betreut worden war, fand bei Dütsch und Fischer, der allerdings früh verstarb, eine Heimat.

Der passionierte Kinogeher Dütsch, der über seine Leidenschaft vor zwei Jahren ein schönes Erinnerungsbuch verfasste („Im Banne der roten Hexe. Film als Lebensmittel“), war zu einer Zeit in den WDR gekommen, als der Sender weniger nach Funktionären denn nach Persönlichkeiten suchte. Die formalen Kriterien, die heute an Redakteure gestellt werden, hätte Dütsch nie erfüllt. Doch er besaß enorme Kenntnisse der Filmgeschichte und war neugierig auf alles, was im Licht der Kinoprojektoren Leben gewann. So wurde der gelernte Chemiefachlaborant Dütsch Mitarbeiter der ‚Freunde der Deutschen Kinemathek‘ in Berlin und wechselte später zum WDR nach Köln, als der Sender Fachleute für sein Kulturprogramm suchte. Die Kenntnisse der Redakteure, die unter Hans-Geert Falkenberg das Kulturprogramm beim Fernsehen des WDR aufbauten, waren enorm. Und das zählte damals, anders als heute etwa die formale Qualifikation eines Volontariats, mit dem die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt seit Jahren ihren Nachwuchs vor allem auf das Prinzip von Befehl und Gehorsam und das Funktionieren im Betrieb drillt.

Als Autor war Dütsch an einigen filmhistorischen Arbeiten beteiligt. Unvergessen seine Texte über Fritz Lang oder – zusammen mit Martina Müller – über den Spielfilm „Lola Montez“ von Max Ophüls. Die Liste der Filmreihen und Sendungen, die Werner Dütsch als Redakteur betreute, ist groß und umfassend. Sie beinhaltet den populären Genrefilm ebenso wie die spezialisierten Produktionen eines filmischen Ethnografen wie Jean Rouch.

Früh wurde Dütsch Partner für die Absolvent/innen der 1966 gestarteten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), denen er im WDR eine Heimstatt gab. Sie bildeten denn auch den Grundstock der Dokumentaristen, die dann in seiner Spätphase den Ruf des WDR als Produzent des Autorendokumentarfilms prägten. Er war Redakteur bei großen Dokumentarfilmen etwa von Romuald Karmakar, Volker Koepp oder Gerd Kroske – oder im Ausland von Filmen, die etwa Johann van der Keuken oder Eyal Sivan drehten. Diesen Filmemachern war Dütsch ein verlässlicher Partner. Ein Redakteur, der sich zurückhielt, der aber genau hinsah und hinhörte und manchen Filmen durch seinen klugen Ratschlag eine überraschende Wende gab. Wenn man mit Werner Dütsch, der mit seiner Körpergröße und seinen weißen Haaren eine auffallende Erscheinung war, durch den Sender ging, fiel auf, dass er wirklich von jedem herzlich begrüßt wurde. Das war bei den meisten seiner Kollegen in seiner wie in anderen Hauptabteilungen anders. Bei diesen Kollegen grüßte immer nur eine Fraktion freundlich, seien es die, die der betreffenden Person politisch, redaktionell oder hierarchisch wohlgesonnen waren, seien es die, die durch ihre Auftritte stets polarisierten und sich auf diese Weise Freunde wie Feinde geschaffen hatten. Dem stets freundlichen und zugleich verbindlichen Werner Dütsch war niemand gram, so wie er sich für sie alle interessierte, ob es die Cutter/innen waren oder diejenigen, die sich um Rechtefragen kümmerten, oder solche, die für technische Abläufe zuständig waren.

Sich selbst und seine Rolle im Sender beschrieb Dütsch gerne selbstironisch. Den Heldengeschichten, wie sie andere gerne erzählten, glaubte er nicht. Deshalb ließ sich mit ihm über die Geschichte des WDR, die er ja hautnah miterlebt hatte, so entspannt reden. Hierarchen beispielsweise beurteilte er nicht nach ihren politischen Grundsätzen und ihren Fensterreden, sondern danach, wie sie sich im Alltag verhielten, ob sie das Programm kannten und nicht allein die Quoten, die die Sendungen erzielten.

In der Kunsthochschule für Medien Köln unterrichtete er – von Jeanne Meerapfel engagiert – von 1992 zwanzig Jahre als Lehrbeauftragter für Filmgeschichte. In seinen Seminaren ging er nicht systematisch vor, wie er grundsätzlich an jeder systematisch arbeitenden Filmgeschichte zweifelte. Er stellte vielmehr Filme in einen Kontext, der für viele auf den ersten Blick überraschend erschien, aber dann in der wöchentlichen Seminarrealität eine verblüffende Evidenz gewann. Die Sitzungen begannen mit einer ausführlichen Einleitung, die Dütsch frei hielt. Bei seinem Vortrag ging er stets auf und ab; er war ein Peripatetiker im Wortsinne. An die Filmvorführung schloss sich die Diskussion an, in der er darauf Wert legte, dass eng am und mit dem Film – seinen Bildern und seinen Tönen – argumentiert wurde. Historiografische Einschübe, auch zu kunstgeschichtlichen und literarischen Aspekten flocht er wie nebenbei ein. Seine Seminare, beschreiben viele Studentinnen und Studenten im Rückblick, eröffneten filmische Welten, ohne für bestimmte Formen oder Stile zu indoktrinieren.

Mancher Film, den Werner Dütsch betreute, erhielt einen Grimme-Preis. Das war für ihn nicht ohne Ironie, denn er war in Hüls aufgewachsen, jenem Teil der heutigen Stadt Marl, der einst mit der Zeche Auguste-Victoria das ökonomische Zentrum von Marl ausmachte, wo seit 1963 der Grimme-Preis beheimatet ist (1964 erstmals verliehen). Das erwähnte Buch von Dütsch über seine Kinoleidenschaft erzählt ganz nebenbei auch ein Stück Kinogeschichte dieser Stadt am Rande des Ruhrgebiets. Öffentlich hat er von der Nähe zu der Stadt, in der weiterhin der wichtigste deutsche Fernsehpreis vergeben wird, nicht viel Aufhebens gemacht. Wie er sich oft im Hintergrund hielt, bis er sich etwa in den Filmdiskussionen mit leiser, aber prägnanten Stimme zu Wort meldete.

Seine klaren Anmerkungen, sein unbestechlicher Blick, seine Solidarität werden fehlen – vor allem dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das heute vermutlich gar nicht mehr weiß, was es an ihm hatte.

Daniel Kothenschulte über Werner Dütsch (Kölner Stadt-Anzeiger)

In der Riege der legendären Filmredakteure des WDR war er die graue Eminenz. Werner Dütsch genoss ungeteilten Respekt. Er war ein Filmvermittler mit Leib und Seele, das Kino nannte er sein „Lebensmittel“. Geboren 1939 in Düsseldorf, gehörte Dütsch zu einer Generation, die mit amerikanischen und deutschen Filmen sozialisiert wurde und später den Grundstein zu einer filmkundlichen Publizistik in Deutschland legten. Die Technicolor-bunten Abenteuerfilme seiner Kindheit in Marl ließ er noch 2016 erstrahlen im Erinnerungsbuch „Im Banne der roten Hexe“. Seine unzähligen eigenen Filmarbeiten, die er als Redakteur und Autor in 30 Jahren beim WDR verwirklichen konnte, waren eine Schule des Sehens: Ersten grundlegenden Porträts über Filmpioniere wie Ernst Lubitsch, Fritz Lang oder Sergei Eisenstein folgte eine Grundlagenforschung zur Kultur- und Sozialgeschichte des bewegten Bildes.

Erst im vergangenen März eröffnete das Museum Ludwig eine ganze Ausstellung über die von ihm produzierte Dokumentarserie „Filmemigration aus Nazideutschland“ (1975) und ihren Autor Günter Peter Straschek. Zu einer Zeit, als sich in Deutschland keine öffentliche Institution dafür interessierte, schickte Dütsch ein Filmteam in die USA, um 50 verfolgte Filmkünstler zu interviewen. Es sind unschätzbare Dokumente, wie das meiste, das im WDR-Archiv unter seinem Namen gelistet ist.

Dütsch war maßgeblich für die Karrieren der Filmessayisten Harun Farocki und Hartmut Bitomsky. Als Dozent an der Kölner Kunsthochschule für Medien vermittelte er Filmgeschichte und betreute studentische Arbeiten. Ebenso förderte er die amerikanische Filmavantgarde.

„Er war einer der bedeutendsten Menschen in meinem Leben, ein sehr liebenswerter Mann“, kommentierte der amerikanische Filmemacher Mark Rappaport auf Facebook. Sein Kollege James Benning ergänzte: „Er unterstützte viele meiner Filme. Er war eine intelligente, liebe Seele.“ Für seinen späteren Kollegen an der KHM, den Filmkünstler Matthias Müller, hatte Dütsch „einen entscheidenden Einfluss auf meine Filmerziehung als Teenager“.

Dütsch, der seine markante Kommentarstimme gelegentlich auch anderen lieh, waren Geschichte und Gegenwart des Kinos untrennbar. Seine besondere Liebe gehörte dem frühen Stummfilm, dessen puristische Ästhetik und Modernität er auch im zeitgenössischen Avantgardefilm wiederfand.

Nun kann man nur hoffen, dass die Produktionen der WDR-Filmredaktion archivarisch gesichert werden. Selbstverständlich ist das nicht – die originalen Sendebänder der WDR-Filme von Günter Peter Straschek wurden bereits vernichtet. Unter der Intendanz von Tom Buhrow, der bereits die Kunstsammlung des Senders veräußerte, ist Filmgeschichte nahezu aus dem Programm verschwunden. Und was erst unsichtbar geworden ist – das lehrt die Geschichte immer wieder – muss auch physisch um sein Überleben fürchten.

Wilfried Reichart über Werner Dütschs Erinnerungsbuch  „Im Banne der roten Hexe“  (Filmdienst)

Er war noch keine 6 als er auf dem Dachboden der elterlichen Wohnung in Düsseldorf-Pempelfort eine 8-mm-Projektion erlebte. Er hatte aufmerksam hingeschaut: „Da waren der sehr schmale Bildstreifen mit kleinen Löchern für winzige Zahnräder, eine Spule zum Ab-, eine zum Aufwickeln.“ Und diese kleine Maschine, „die aus unscheinbaren Bildern so viel nie gesehene Welt lebendig auf ein großes Tuch brachte“, setzte in dem kleinen Jungen etwas in Gang, was sein ganzes späteres Leben bestimmte; das perfekte Medium für die Botschaften des Kinos. Wie er in den Bann der roten Hexe geriet, das erzählt der 77jährige Werner Dütsch in seinen Erinnerungen „Im Banne der roten Hexe “lust- und gefühlvoll, amüsant und, ja, auch berührend.

Das Kino als Schule des Lebens. Wie man sich kleidet (das weiße T-Shirt von James Dean, die Jeans von Audie Murphy), die Verweigerung (Montgomery Clift), die Aufsässigkeit (in Bergmans „Zeit mit Monika“), den Weg zu Büchern finden über Literatur-Verfilmungen (Stendhal, Kipling, Hemingway Melville, Shakespeare), die Kunst entdecken (in Renoirs „Landpartie“ und Bert Haanstras „Rembrandt“), sogar schwimmen lernen: „Sah ich Tarzan und Esther Williams so gerne schwimmen, weil ich das selbst sehr mochte oder lösten die beiden den Wunsche danach aus?“

Film als Kunst? Die älteren Herrschaften des Marler Filmclubs hatten ihre eigene Vorstellung von Filmkunst, und dazu gehörten Werner Dütschs Lieblingsgenres Wildwestfilme, Kostümfilme und Fechtfilme nicht. Vergebliches Werben für Preminger und Western von John Ford und Anthony Mann. „Zweifellos wurde ich für jemand gehalten, der ein abseitiges Interesse für ein kulturloses Kino pflegte.“

Was ist Film? Fragt der Analytiker Andre Bazin. Was ist Kino? Beschäftigt den Kinoliebhaber Werner Dütsch, der sich in hohem Alter noch einmal erinnern wollte an die frühen Zeiten, als er das Kino sogar fühlen konnte: „Öffnete sich der Vorhang im Viktoria (in Marl-Hüls), kam den Zuschauern der ersten Reihen ein zarter Windhauch entgegen…der eine Bildbewegung begleiten, ja verstärken konnte, die mich noch immer beglückt, und die es nur im Kino gibt“. 

Aus diesem Filmenthusiasten ist (auf Umwegen) ein Filmvorführer, Filmredakteur (WDR), Filmproduzent (u.a. von Harun Farocki, Hartmut Bitomsky, Werner Schroeter, Straub/Huillet, Johan van der Keuken), Filmprofessor  (Kunsthochschule für Medien Köln) geworden, der längst gelernt hat, die Manipulationen filmischer Inszenierung zu durchschauen und der trotzdem seinem Zauber verfallen blieb.

Werner Dütsch (1939 – 2018)

Foto: Kurzfilmtage Oberhausen

https://www.perlentaucher.de/autor/werner-duetsch.html

http://www.kunst-der-vermittlung.de/person/werner-dutsch/

Erstveröffentlichung der Texte in:

42. Duisburger Filmwoche News vom 5. Dezember 2018

Medienkorrespondenz Nr.25-26 vom 14. Dezember 2018

Kölner Stadt-Anzeiger vom 13. Dezember 2018

Filmdienst Nr.22/2016 vom 24. Oktober 2016