Erinnerung an Hans-Günther Pflaum (1941-2018)

von Peter Kremski

Hans-Günther Pflaum (Bild: Filmdienst)

Als das Katholische Institut für Medieninformation 1972 begann, seinen seit 1955 bestehenden kirchlich orientierten Informationsdienst Film-Korrespondenz neu auszurichten und dazu Hans Günther Pflaum als Redakteur berief, war das ein erstes Signal für einen kirchenunabhängigeren, filmfachorientierteren Umgang mit dem Medium. Der damals 30jährige Jungredakteur war mit seiner Liebe zum Kino, gepaart zugleich mit einem gesellschaftskritischen Blick genau der richtige Mann, das umzusetzen, hatte aber auch ein sehr spezielles Interesse an filmpolitischen Fragen, womit er schließlich hausintern aneckte. Zum Eklat kam es, als er 1976 eine scharfe filmpolitische Polemik von Hans Rolf Strobel redaktionell verantwortete.

Strobel, einer der legendären Oberhausener Manifest-Unterzeichner, sah ein kritisches Filmemachen in der Bundesrepublik durch ein „repressives Klima“ behindert, für das er stellvertretend die Münchner Machtfraktion Franz Josef Strauß, Gerold Tandler, Luggi Waldleitner und Manfred Purzer verantwortlich machte, die er sogar in einem Atemzug mit Göbbels‘ Reichsfilmkammer nannte. Als Pflaum dafür im eigenen Hause unter Beschuss geriet, nahm er als Redakteur genervt seinen Hut. Nachzulesen ist das heute noch in einem für Pflaums “Jahrbuch Film“ aus dem Jahre 1982 verfassten Text Hans Helmut Prinzlers.

Strobels überspitzte Polemik erscheint im Nachhinein fast visionär, wenn man an das exemplarische Schicksal von Herbert Achternbuschs „Das Gespenst“ denkt und an die von CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann blockierte Karriere Achternbuschs sieben Jahre nach dem Erscheinen des Textes. Da passt irgendwie, dass Pflaum später (1996) eine Dokumentation über den querköpfigen Einzelgänger Achternbusch für die WDR-Reihe „Kinomagazin“ drehte und noch später (2005) zusammen mit Peter H. Schröder für das ZDF unter dem Titel „Von Sex bis Simmel“ eine Abrechnung mit dem Kommerzkino der 70er Jahre und damit auch mit den Herren Purzer und Waldleitner.

Filmpolitische Fragen hatte Pflaum auch weiterhin im Visier, vorzugsweise etwa in dem von ihm eine Zeitlang jährlich herausgegebenen „Jahrbuch Film“. Ohnehin war er ein politischer Kopf, ein Filmkritiker der 68er-Generation. Zu Rainer Werner Fassbinder, dem dezidiertesten 68er unter den deutschen Filmemachern, fühlte er sich wohl auch deshalb hingezogen. Pflaum, Fassbinder, Achternbusch waren wie Exponenten einer Münchner Gegenkultur zu der als kulturpolitisch repressiv gerügten Münchner Machtfraktion von Strauß bis Zimmermann. „Der Niemandslandstreicher“ nannte Pflaum sein Fernsehporträt über Achternbusch, im Titel damit anknüpfend an Fassbinders ganz frühen Kurzfilm „Der Stadtstreicher“ und auf diese Weise eine Verbindung herstellend zwischen diesen beiden ihm persönlich nahestehenden, rigoros unangepassten Filmemachern.

Über den vier Jahre jüngeren Fassbinder arbeitete er kontinuierlich, davon zeugen zahlreiche Texte und Interviews, Bücher und Filme, auch Seminare, Workshops und Symposien. Besonders zu nennen sind in diesem Zusammenhang das 1976 gemeinsam mit Fassbinder verfasste Buch „Das bisschen Realität, das ich brauche“ und der zehn Jahre nach Fassbinders Tod in Kooperation mit dem Filmverlag der Autoren und dem ZDF entstandene rund 100 Minuten lange Porträtfilm „Ich will nicht nur, dass ihr mich liebt.“ (1992).*

Für einen ARTE-Themenabend über Fassbinder hatte ich das ausgesprochene Vergnügen, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. In meiner aus dieser Zusammenarbeit entstandenen Dokumentation** „Eine deutsche Geschichte“ (1995) ging es nur um Fassbinders kleinen großen Film „Die Ehe der Maria Braun“, für Pflaum der womöglich beste deutsche Film über die Nachkriegszeit, geschichtskritisch und gegenwartskritisch zugleich. Fassbinders Vorwürfe an den Staat, nichts gelernt zu haben aus der Geschichte und keinen wirklichen Neuanfang gewagt, stattdessen zu viel Unheilvolles fortgesetzt zu haben, was im Weiterwirken autoritärer Strukturen erkennbar werde, hat Pflaum im Gespräch*** analytisch präzise auf den Punkt gebracht – leise, bedächtig und unprätentiös, mit einem stets nur leicht angedeuteten freundlich-wachsamen Lächeln. Dass er mit der Sichtweise Fassbinders uneingeschränkt sympathisierte, kann man aus seiner Sympathie für den Filmemacher nicht automatisch folgern, aber er hat sie gut verstanden, auch weil ihm diese 68er-Perspektive nicht fremd war.

Für mich war Hans Günther Pflaum einer der Großen der deutschen Filmkritik. Doch was gerne übersehen wird, er gab der Filmkritik auch ein Gesicht – im Fernsehen. So wie Peter W. Jansen, Michael Lentz, Inge Bongers oder der ebenfalls im vorigen Jahr verstorbene Manfred Delling saß er – in den 80er Jahren – in seinem Arbeitszimmer vor der Kamera um nach Ausstrahlung eines Kinofilms im ZDF-Programm seinen „Ratschlag für Kinogänger“ zu präsentieren. Diese 1967 von Jürgen Labenski kreierte und 1992 in dieser Form eingestellte Sendereihe gilt als erste Filmtipp-Reihe des Fernsehens, die Filmkritikern (zumeist der Feuilletons) das Wort erteilte.

Als ich Pflaum für meine Dokumentation vor gleichem Hintergrund und aus gleicher Perspektive in seinem Arbeitszimmer filmen wollte, wollte er das allerdings auf gar keinen Fall. Zu sehr hatte ihn das genervt, dass er für den ZDF-Filmtipp immer sauber und adrett angezogen sein musste und man ihm ständig vorgehalten hatte, wie er wieder aussah, ob er sich nicht gekämmt hätte. Also saß er jetzt ungekämmt da, ungeschminkt sowieso, in einem unattraktiven schwarzen Rollpullover und einer etwas abgewetzten schwarzen Windjacke darüber. Ein Unangepasster eben, auch gerne wenn die Kamera guckt…

*im Bonus verfügbar auf der DVD/Bluray von Fassbinders „Warum läuft Herr R. Amok?“

**entstanden für die WDR-Reihe „Kinomagazin“ und im Bonus verfügbar auf allen DVDs von „Die Ehe der Maria Braun“

*** das mehrstündige Gespräch mit Hans Günther Pflaum nachlesbar in Filmbulletin 4/98

Hans Günther Pflaum ist am 19. Dezember 2018 verstorben.