Im Alter von 85 Jahren ist der Avantgarde-Filmkünstler Wilhelm Hein gestorben, der zu den Ehrenpreisträger*innen der deutschen Filmkritik gehörte.

In einer Pressemitteilung des Verbands der deutschen Filmkritik vom 03. Februar 2014 hieß es: „Seit über 40 Jahren steht Wilhelm Hein für den Experimentalfilm und für das Undergroundkino. In den 1960er Jahren sind – in Zusammenarbeit mit Birgit Hein – seine ersten Materialfilme entstanden. 1968 war er Mitbegründer von XSCREEN, dem legendären Kölner Studio für den unabhängigen Film. Mit dem Ehrenpreis würdigt der Verband der deutschen Filmkritik Wilhelm Heins konsequente und kompromisslose Filmarbeit, die bewusst Position bezieht gegen etablierte Kunst und für die Subkultur.“
Gewürdigt wurde damit auch Wilhelm Heins kontinuierliche Arbeit an seiner monumentalen Filmcollage You Killed the Underground Film or The Real Meaning of Kunst bleibt…bleibt…, an der Wilhelm Hein von 1989 bis 2013 als einem Work in Progress arbeitete und die zur Zeit der Auszeichnung mit einer Länge von 12 Stunden notiert wurde. Dieser Film war bereits im Jahr 2005 in einer vorläufigen Fassung mit dem Preis der deutschen Filmkritik als bester Experimentalfilm ausgezeichnet worden, vergeben beim European Media Art Festival (EMAF) in Osnabrück.
Der Ehrenpreis der deutschen Filmkritik 2013 wurde Wilhelm Hein im Rahmen der Verleihung der Preise der deutschen Filmkritik am 10. Februar 2014 während der Berlinale überreicht. Die Laudatio hielt Wilfried Reichart, neben Wilhelm und Birgit Hein einer der Mitbegründer des Kölner Underground-Studios XSCREEN.
Daniel Kothenschulte, der über viele Jahre mit Wilhelm Hein befreundet war, schrieb erst im vorigen Monat für die Frankfurter Rundschau eine Hommage zu Wilhelm Heins 85. Geburtstag, bei der ihm bewusst war, „dass es ein Nachruf zu Lebzeiten werden würde.“ Anlässlich des Todes von Wilhelm Hein veröffentlichen wir diese Hommage als Nachruf.
Zauber der Entzauberung
Eine Hommage auf Wilhelm Hein
von Daniel Kothenschulte
Lange bevor die Digitalisierung daranging, der analogen Filmwelt den Garaus zu machen, krempelte in den sechziger Jahren eine junge Avantgarde ihr Innerstes nach außen. Während der junge deutsche Autorenfilm mit Hilfe der neuen Förderung weiter Erzählfilme produzierte, rückten die Experimentierfreudigen dem geliebten Medium mit der Schere zu Leibe. In ihrem 1968 weltweit gefeierten Montagefilm Rohfilm bombardierte das in Köln lebende Paar Wilhelm und Birgit Hein das Publikum förmlich mit Bildern, die man nie hatte sehen sollen.
Als Underground-Kinomacher und Filmvorführer hatte Wilhelm Hein Fetzen von Vorlaufbändern gesammelt, die nun eine sonst unsichtbare Materialität des Mediums sichtbar machten. „Es geht um Bilder und wie Bilder funktionieren“, fasste der Filmkünstler den Impuls hinter diesem bei aller Strukturiertheit berauschenden Bildersturm zusammen. Das Paar, das 1972 und 1977 an der Documenta teilnahm, trennte sich 1988. Fortan schufen beide völlig unabhängig voneinander Werke, die auf höchst unterschiedliche Art weiterhin von der Skepsis gegenüber der industriellen Filmproduktion zeugten – Birgit Hein starb 2023.
„Was mich immer interessiert hat, ist, von einer geschlossenen Form wegzukommen“, sagte Wilhelm Hein, dessen immenses Spätwerk als der wohl schillerndste, in großen Teilen ungehobene Schatz der deutschen Filmgeschichte gelten kann. 2013 vollendete er den epischen, etwa 15-stündigen 16mm-Experimentalfilm You Killed the Underground Film or the Real Meaning of Kunst bleibt…bleibt…, an dem er seit den späten 80er Jahren gearbeitet hatte.
Unter dem von einer im Film dokumentierten Performance des Künstlers Jack Smith abgeleiteten Titel verbirgt sich eine Einladung in einen beglückenden künstlerischen Nonkonformismus, in dem sich die Geister einer subversiven Kunst die Hände reichen: Marcel Duchamp, George Grosz oder Arnold Schönberg, Derek Jarman, Kurt Kren, Samuel Beckett, Pete Seeger oder Andy Warhol. Heins autobiografisch gefärbtes Filmwerk verschmilzt eine ganze Bandbreite von Ausdrucksformen des Avantgardefilms: Found-Footage, strukturelle Elemente und dokumentarische Bilder verbinden sich zu performativen Montagen, die sich durch den Einsatz von zugespielten Toncollagen stets erneuern.
Sein folgender, auf Video gedrehter Film treibt diese Befreiung der Form noch eine Spur weiter: Entfesselt von den materiellen Beschränkungen des kostspieligen Filmmaterials hat Das große und das kleine Tohuwabohu hundert Teile und dauert ebenso viele Stunden. Der Fluss ist befreiend, aber nie beliebig, Und wenn an visuellen Tabus gerührt wird, dann geht es gerade nicht um äußerliche Provokation.
So forschte Hein über viele Jahre in Polen nach sichtbaren Spuren des Holocaust unter weiträumiger Umgehung überbenutzter Bilder. Was seinen Filmen dabei mitunter eine unaufdringliche Emotionalität verleiht, ist ihre geradezu schutzlose autobiografische Perspektive. „Es gibt keine Schmuddelecke“, sagte Wilhelm Hein. „Es gibt nur Kitsch und falsche Gefühle.“
Wie kaum ein zweiter Filmemacher hat er mit den Mitteln der Avantgarde eine persönliche Erzählung des 20. und 21. Jahrhunderts geschaffen. Mit seiner Lebensgefährtin, der Fotokünstlerin Annette Frick, gab er zudem seit 1992 die Bilder-Zeitschrift Jenseits der Trampelpfade heraus. Heins Filme stellen sich mit obsessivem Einsatz dem entgegen, was man die Macht der Bilder nennt. In ihrer Entzauberung entsteht dabei oft ein eigener fragiler Zauber.

Für das Überlassen des Textes zur Nachveröffentlichung bedanken wir uns bei Daniel Kothenschulte und der Frankfurter Rundschau, für das Porträtfoto bedanken wir uns bei Mark Webber, 2006 Kurator einer Werkschau für das Goethe-Institut London.