El Club

Sven von Redens Text zu Pablo LarraínsEl Club ist die dritte von 12 Filmkritiken des Siegfried-Kracauer-Preisträgers 2015 im Rahmen seines Stipendiums. Sie wurde beim Kooperationspartner des Preises, der Zeitschrift FILMDIENST veröffentlicht (www.filmdienst.de).

 

„El Club“ von Pablo Larraín

Sven von Reden

 

Tief hängende Wolken. Bläulich-graues Zwielicht. Gegen den Himmel lassen sich nur die dunklen Umrisse eines Mannes und eines Hundes erkennen, die einen seltsamen Tanz aufführen. An einer Art Angel hängt ein Fellfetzen, den der Mann um sich herum durch die Luft wirbelt, während der Hund laufend und springend versucht, die falsche Beute zu erhaschen.

Der Mann, der seinen Windhund trainiert, lebt in einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft. Schweigsam hocken vier nicht mehr junge Männer und eine Frau in einem Haus auf den Klippen über einer rauen Küste. Gemeinsam verlassen sie ihr Heim nur für die Hunderennen in der Gegend. Das Abschneiden ihres Kandidaten verfolgen die Männer dabei seltsamerweise nur aus der Ferne. Wenn sie Zuhause sind, nähert sich die Kamera ihnen meist nur in ganz langsamen, vorsichtigen Fahrten wie einem potentiell gefährlichen unbekannten Tier. Trotz der Panoramafenster im oberen Stockwerk scheint das Innere des Hauses im ewigen Halbdunkel zu versinken. Es ist Winter, die umliegenden Gebäude sind weitgehend verlassen. Die Stimmung bedrückt.

Die Atmosphäre, vermittelt durch Kamera und Licht, sei das wichtigste in seinen Filmen und nicht etwa die Geschichte, betont der Chilene Pablo Larraín gerne in Interviews. Seine Filme zeichnet dabei natürlich gerade aus, mit welcher Kunstfertigkeit sie beides miteinander verknüpfen, wie in ihnen die Atmosphäre nicht direkt sichtbares „erzählt“. Wie etwa in „Tony Manero“ (2008) die Handkamera die innere Unruhe seines Protagonisten „fühlbar“ macht; wie in „Post Mortem“ (2010) die schattenarmen, perfekt komponierten Cinemascope-Bilder etwas über die innere Leere der Hauptfigur aussagen; oder wie in „No“ (2012) – Larraíns wortlastigstem und optimistischstem Film – die billige Videoästhetik nicht nur Zeitkolorit liefert, sondern auch etwas von der Asymetrie der Machtverhältnisse im Kampf gegen die Diktatur Pinochets vermittelt. Der 39-Jährige zeigt sich hier als Regisseur, der wirklich für das Kino arbeitet. Seine Filme brauchen die große Leinwand, um diese Verknüpfungen wirklich zu vermitteln.

Die Lichtsetzung der ersten Einstellungen von „El Club“ verrät bereits: Diese Männer haben etwas zu verbergen. Es ist im doppelten Sinne eine „zwielichtige“ Welt, in der sie leben. Wer sie sind und was ihr Geheimnis ist, bleibt unklar, bis eines Tages ein fünfter Mann ins Haus gebracht wird. Der Neue ist Priester, wie die anderen auch. Er soll vor der Öffentlichkeit geschützt werden – und die vor ihm. Das wird deutlich, als ein ganz offenbar schwer traumatisierter Mann vor dem Haus an der Steilküste auftaucht und dort für alle hörbar in allen Details herausruft, wie der Neuankömmling ihn in jungen Jahren als Messdiener sexuell missbraucht hat. Die Konfrontation mit dem Opfer lässt die Situation eskalieren. Es kommt zu einer tragischen Gewalttat.

In der Folge wird ein junger Psychologe aus dem Vatikan geschickt, um sich ein Bild von der Lage zu machen und die Wohngemeinschaft danach aufzulösen – natürlich ohne dass die Öffentlichkeit davon irgendetwas mitbekommt. Kindesmissbrauch, Kollaboration mit dem Militärregime Pinochets und der Raub von Babys armer Mütter, um sie wohlhabenderen katholischen Paaren zu geben – die Untaten der Gottesdiener, die Pater García in einer Reihe von Einzelgesprächen aufdeckt, sind lang.

Sie basieren zumindest lose auf wahren Geschichten. Etwa die des Bischofs der nordchilenischen Gemeinde La Serena, Francisco José Cox, der Anfang der 2000er abdanken musste wegen seiner von der Kirche eingeräumten „etwas überschwänglichen Zuneigung“ besonders zu Kindern. Daraufhin verschwand er aus der Öffentlichkeit – er lebt seit einigen Jahren offenbar in der Nähe von Koblenz. Larraín spielt außerdem auf einen letztes Jahr aufgedeckten Skandal an: Katholische Priester haben in Chile vor allem in den siebziger und achtziger Jahren die Neugeborenen armer, alleinstehender Mütter gestohlen, um sie in „traditionellen“ katholischen Familien aufwachsen zu lassen. Den Müttern wurde weisgemacht, ihre Kinder seien bei der Geburt gestorben.

Die verhörartigen Gespräche mit den Priestern, in denen solche Verbrechen aufgedeckt werden, bilden das Kernstück von „El Club“. Inszeniert sind sie auf den ersten Blick ganz schlicht als Rededuelle im Schuss-Gegenschuss-Rhythmus, dabei vermittelt ihr Setting subtil das Machtverhältnis zwischen Befragten und Befragenden. Während Pater García frei im Raum sitzt mit dem langen und schmalen WG-Wohnzimmer hinter sich, versinken seine Kollegen in einem Sofa im wahrsten Sinne mit dem Rücken zur Wand. Ihre im Gegenlicht gefilmten Köpfe befinden sich dabei meist im Zentrum eines Kreuzes, Symbol für Schuld und Sühnung, das vom unteren Rahmen des Fensters in ihrem Rücken und einer Fenstersprosse gebildet wird.

Keiner der Padres erkennt in den Gesprächen seine Schuld wirklich an. Die Verteidigungsstrategien reichen von Leugnen und Verteidigen über Relativierung bis hin zu Angriffen auf die Person von Pater García. „Sie sind einer dieser neuen Priester“, erklärt ihm einer der WG-Bewohner voller Verachtung. Auch wenn im Vatikan vielleicht ein frischerer Wind weht, ändern soll sich nichts im Haus, da sind sich die vier Alteingesessenen und ihre Aufpasserin und Haushälterin Schwester Mónica einig.

Diese Art von fehlendem Bewusstsein für den Wandel der Umwelt verbindet die Priester mit Larraíns Protagonisten aus seiner vorhergehenden Trilogie von Filmen, die die gesamte Zeitspanne der Pinochet-Diktatur in seinem Land abdecken. Auch in ihnen entpuppt es sich letztlich als unmöglich, ein Leben jenseits der gesellschaftlichen Umwälzungen zu führen. Nur in „No“ führte das allerdings zu einem Happy End. „El Club“ ist in der Hinsicht ambivalenter – so wie die Atmosphäre geprägt wird durch das ewige winterliche Zwielicht.

Am Anfang des Films steht ein Zitat aus der Bibel: „Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis“. Larraín zeigt sich am Ende skeptisch, dass die katholische Kirche ihre dunkelsten Kapitel wirklich ans Licht bringen will.