Notizen zum Kino # 7: Vorwort

Die nobelste Aufgabe
Erkenntnis oder Publicity – Das Interview als Form der Vermittlung
Von Gerhard Midding

 

Vor einigen Monaten, im Herbst 2010, las ich in der Neuen Zürcher Zeitung eine Rezension des neuen Buches, das der Papst veröffentlicht hatte. Der Rezensent schrieb, diesmal habe das Oberhaupt der Katholischen Kirche ein "lockeres Genre" gewählt: Schon als Kardinal habe er die Form des Gesprächs und Interviews genutzt, um seine Gedanken über Gott, Kirche und Gesellschaft kund zu tun.

Ich versuchte mir vorzustellen, in welchem Tonfall der Rezensent diesen Satz wohl gemeint hatte: ob vielleicht ein amüsiertes Lächeln seine Mundwinkel umspielte, als er ein Inbild der Erhabenheit mit etwas Entspanntem, vielleicht gar Entkrampftem zusammenbrachte? Womöglich sah er darin eine hübsche Mesalliance. Ich unterstelle ihm nicht, dass er ihn aus einer gönnerhaften Haltung heraus verfasste. Aber eine vergnügte Skepsis klingt doch aus ihm: Wahrscheinlich ist das Gespräch eine weniger anstrengende Lektüre. Freilich hat das Zwiegespräch spätestens seit der Aufklärung in Deutschland eine stolze philosophische und literarische Tradition. Im Heimatland Heinrich von Kleists haftet dem Verfertigen der Gedanke beim Reden kein schlechter Ruf an. Was dem Vatikan billig ist, kann der Filmkritik recht sein.

Deshalb widmete sich das letztjährige Symposium des Verbandes der deutschen Filmkritik diesem journalistischen Genre. Es ging aus von dem Diktum, die nobelste Aufgabe eines Journalisten sei es, Fragen zu stellen. Anspruch und Realität klaffen hier freilich oft auseinander. Das Filminterview besitzt eine Ambivalenz, die das Kino insgesamt prägt. Es ist nicht nur der intellektuellen Auseinandersetzung verpflichtet, sondern auch den Mechanismen eines Marktes unterworfen. Heute wird es vielfach als ein Instrument des Marketings betrachtet, als eine eitle Plauderei, die mithelfen soll, Kinokarten zu verkaufen. Man muss dafür streiten, es als Möglichkeit der Auseinandersetzung mit einem künstlerischen Werk, als Selbstverständigung von Fragendem und Filmkünstler zu bewahren. Das sehen manche Redakteure anders, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Nicht selten wird man mit der Haltung konfrontiert (auch bei Redakteuren, die sich selbst gewiss als seriös betrachten), es gebe doch kaum etwas Uninteressanteres als ein Interview, das sich ausführlich mit dem jeweils aktuellen Film beschäftigt.

An dem Tag, als wir das Symposium veranstalteten, startete in den deutschen Kinos der zweite Film von Florian Henckel von Donnersmarck, THE TOURIST. In den Tageszeitungen und Zeitschriften war der Regisseur als Interviewter allgegenwärtig. Zu dem Zeitpunkt, als diese Interviews angebahnt wurden, war womöglich noch nicht abzusehen, wie hart die Kritik mit diesem Film ins Gericht gehen würde. Interviews waren da eindeutig die schonendere Form, Aufmerksamkeit für ihn zu wecken. Der Argwohn war nicht unbegründet, der filmische Diskurs solle wieder einmal nicht nur ins Gespräch verlagert, sondern durch es ersetzt werden. Über den Film selbst war in diesen Interviews nicht viel zu erfahren. Allerdings gibt er seine Absichten auch deutlich zu erkennen. Er enthält wenig, das ein Interviewer hätte entschlüsseln müssen. Anders als beispielsweise die moderne Bildende Kunst bedürfen die meisten Filme keiner Interpretationshilfe.

Vielen Filmkritikern erscheint das Medium des Interviews deshalb verdächtig. Es ist eine unwägbare Disziplin: Eine Kritik lässt sich nicht fälschen, ein Interview unter Umständen schon. Nicht jeder gute Kritiker ist auch ein guter Interviewer. Nicht jeder vertraut dem Genie des Augenblicks, ohne das kein gutes Interview gelingt. Überschwängliche Theoriefreude führt in der Begegnung mit Filmemachern höchst selten zum Ziel. Es ist ein zwiespältiges Unterfangen, ihnen die Deutungshoheit über ihre Arbeit zu überlassen. Als Kritiker dürfen wir das nicht widerstandslos tun. Dennoch besitzt das Interview eine große Anziehungskraft. Es entspricht einer Wissbegierde auch des Publikums: Es kann aus erster Hand erfahren, wie Kino entsteht. Nicht von ungefähr zählen Interviewbücher wie François Truffauts „M. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ nach wie vor zu den populärsten Filmbüchern überhaupt.

Die Konzeption des Symposiums, das am 16. 12. 2010 stattfand, war auch eine Wette mit der Form des Gesprächs: Es waren keine Referate vorgesehen, sondern nur Diskussionen, bei denen die Rolle des Fragenden und des Antwortenden nicht eindeutig verteilt sein sollten. Das Spektrum war weit gefächert. Es reichte von der Archäologie des Filminterviews, einer cinéphilen Liebhaberei, bis zum Gespräch mit einem Filmemacher, der seine eigene Perspektive auf das Thema vertrat. Mit Andres Veiel konnte ein Regisseur gewonnen werden, für dessen dokumentarische Arbeit Interviews eine wichtige Grundlage liefern und der gern in der öffentlichen Rede für seine Filme und seine Positionen eintritt. Sie werden beim Lesen entscheiden, ob es uns gelang, den Gegenstand im Zwiegespräch ebenso gründlich zu durchdringen, wie es ein präzise ausgearbeiteter Vortrag vermag.  

Die Breviers der Vorjahre waren jeweils einem einzigen Thema gewidmet. Diesmal haben wir das Konzept variiert. Gewissermaßen als Bonusmaterial ist eine Podiumsdiskussion enthalten, die der Verband am 17.11.2010 auf Einladung des Cinefest, des Internationalen Festivals des deutschen Filmerbes in Hamburg veranstaltete. In den letzten Jahren wollten wir vermeiden, dass das Brevier zu einem Gemischtwarenladen wird. Es sollte vielmehr eine konzentrierte Auseinandersetzung mit einem Gegenstand widerspiegeln. Der diesjährige Abschied von der Monothematik erschien uns jedoch nicht als Sündenfall, denn auch bei dem „Bonusmaterial“ handelt es sich um ein Gespräch, bei dem intensiv eine Problematik dargelegt wird. Wie auf dem DVD-Markt üblich, gibt es auch in diesem Fall zwei Versionen. Da die Diskussion in Hamburg aus Platzgründen nicht annähernd vollständig Eingang ins Brevier finden konnte, steht eine längere Version mit sehr, sehr vielen Extras auf unserer Website (www.vdfk.de).  

Ich danke allen Gesprächsteilnehmern für Ihre Zeit, Vorbereitung und ihr Engagement. Sie wurden alle mit Bedacht gewählt. Entweder schätze ich sie als Interviewer, durch deren Fragen ich etwas über das Werk von Filmkünstlern oder über das Kino überhaupt erfahren habe, das ich vorher nicht wusste. Oder sie haben sich durch ihre besondere Fachkenntnis für ein Gespräch über den kritischen Umgang mit dem Medium DVD empfohlen. Ohne die Unterstützung von Sandra Hollmann, Rainer Rother und Stephan Werner (von der Deutschen Kinemathek/ Filmmuseum Berlin) hätte das Symposium nicht so reibungslos verlaufen können. Gleiches gilt für Erika Wottrich, Hans Michael Bock und die Mitarbeiter des Cinefest in Hamburg. Wir hoffen, dass wir die Zusammenarbeit mit ihnen auch in Zukunft fortsetzen können.

Gerhard Midding
© VDFK 2011

Gerhard Midding ist freier Filmjournalist und Vor­standsmitglied des Verbandes der deutschen Filmkritik.

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