Am Montag erreichte uns die traurige Nachricht vom überraschenden Tod von Hans Hurch in Rom. Der Verband der Deutschen Filmkritik e.V. trauert mit seinen Angehörigen, Freunden, mit dem Team der Viennale und vielen Weggefährten in der internationalen Filmszene.
Der Tod von Hans Hurch ist ein Verlust für uns alle. Wir verneigen uns in der Erinnerung an einen bedeutenden Kurator, Programmmacher und Festivaldirektor, an einen Kritikerkollegen von Rang und an einen wichtigen Impulsgeber weit über Wien hinaus.
Auch für seine deutschen Kollegen und den Verband der Deutschen Filmkritik e.V. war Hans Hurch ein kluger Ratgeber und eindrucksvolles Vorbild, vor allem aber ein Freund.
Er zeigte beispielhaft, dass Enthusiasmus für das Kino und Lust an der Debatte Hand in Hand gehen, dass Unterscheidungsvermögen, Klarheit des Urteils und Bereitschaft zum Streit unerlässlich sind, um Standpunkte deutlich zu machen, und das Nachdenken über das Kino weiterzuführen.
Wir schätzten Hans Hurch auch als einen harten, aber immer produktiv herausfordernden Kritiker der Filmkritik und des Festivalbetriebs. Er befand in der Position, genau da deutlicher zu werden, als es den allermeisten Kollegen möglich ist. Wenn er an konkreten Beispielen den „Zynismus“ mancher Festivalmacher kritisierte, wenn er zeitgenössische Kritiker als „Sklavenseelen“ und „Parkplatzsherrifs“ kritisierte, war hinter solchen Worten immer die Sehnsucht spürbar nach einer Kritik und nach Filmen, die ein Gegenentwurf und eine Herausforderung für das Bestehende sind.
Der vom VdFk 2015 erstmals parallel zur Berlinale veranstalteten „Woche der Kritik“ war Hans Hurch von Anfang an ein in freundschaftlicher Sympathie zugetaner Wegbegleiter. Sehr gern erinnern wir uns an seine Teilnahme bei einem unserer Debatten-Panel 2015 – es ist keinesfalls Zufall, dass es gerade das Thema „Provokation“ unter jenen sieben Leitmotiven war, das Hans Hurch besonderes Interesse weckte.
Hans Hurchs Leidenschaft galt immer dem Kino und noch mehr den Menschen, die es ermöglichten.
Vorstand und Beirat
Monarch in der Demokratie
Zum Tode des Dokumentarfilmers, Filmkritikers und Festivaldirektors Hans Hurch
Von Rüdiger Suchsland
Einprägsam war seine Erscheinung: Groß, kräftig, mit schwarzem, allmählich von ein paar grauen Strähnen durchzogenen Vollbart – seit vielen Jahren war Hans Hurch eine unverwechselbare Figur in der internationalen Filmszene. Oft trug er einen langen schwarzen Mantel, der einer Kutte nicht unähnlich war, und ihn mitunter wie den Jünger eines seltsamen Mönchs-Ordens wirken ließ. Aber wenn es überhaupt eine Religion gab, der Hans Hurch anhing, dann war es der Glaube ans Kino und auch hier war er eher ein Apostat, ein Abtrünniger, einer, der zwar für vieles ein offenes Herz hatte, aber nur die eine Überzeugung: Dass immer das unabhängigste Urteil das beste ist. Skepsis gegenüber festgefahrenen Ansichten, Abneigung gegenüber Schulen, gerade den anerkanntesten, ob sie nun Nouvelle Vague oder Berliner Schule heißen, und die Lust am produktiven Dissens prägten das Gespräch mit ihm. Diese Haltung konnte man erleben, wenn man mit Hurch kurz nach einer Festivalvorführung ein paar Worte wechselte – mehr als zwei, drei Sätze waren es kaum, dann musste er weiter. Aber sie sagten oft alles, und es war ihnen schwer zu widersprechen, manchmal apodiktisch hart, manchmal eher anschmiegend, überzeugen wollend.
Aber es war auch nicht weiter schlimm, wenn man die Dinge ganz anders sah, als er. „Ja, wenn Du das so siehst…“ war dann seine tolerante Haltung, wenn er sicher war, dass der andere auch gute Gründe hatte. Nur wenn einer gar nichts dachte, nicht Fisch, nicht Fleisch war, reagierte er unwirsch. Neugier und Unterscheidungsvermögen war es, worauf er Wert legte.
Hurchs offene, zugleich von prägnantem, unbestechlichen Urteil bestimmte Herangehensweise kennzeichnete auch das Programm der VIENNALE, der Hans Hurch seit 1997 als Direktor vorstand. Es gab dort viel Kollegialität, aber keine Auswahlkommission – ganz offen stand Hurch dazu, dass er das Programm vollkommen allein entschied: „In der Kunst ist Demokratie fehl am Platz.“ Mit dieser nicht bei allen unumstrittenen Position und seinem Enthusiasmus hatte er großen Erfolg, und machte die Viennale zum wichtigsten europäischen Filmfestival neben den großen A-Festivals, zu einem Ort für die Filmemacher, der unglaublich gastfreundlich und dabei vollkommen unabhängig von allem Taktieren, allem Anbiedern an Branchen- oder Publikumswünsche war.
2015 war sein Vertrag noch einmal verlängert worden, bis 2018. Dann sollte endgültig Schluss sein – es reiche dann auch mal, und er wolle noch ein paar andere Dinge machen, versicherte Hurch erst vor ein paar Wochen in Cannes.
1952 in Nordösterreich geboren, auf dem Land aufgewachsen, kam Hurch nach Wien, um Kunstgeschichte, Philosophie, Soziologie und Psychologie zu studieren, und um intensiv das Filmmuseum zu besuchen. Seit Mitte der 70er Jahr schrieb er für den „Falter“, wo er eine exzellente Filmredaktion aufbaute, danach drehte er ein paar Dokumentarfilme und arbeitete zweimal auch als Assistent für den von ihm verehrten Jean-Marie Straub. Dann kuratierte er 1995 das Projekt „hundertjahrekino“, das in Österreich vor allem die Filmbildung stark beeinflusste.
Aus deutscher Sicht erschien Hans Hurch als typischer Wiener – großzügig und humanistisch im Konkreten, immer an der direkten Begegnung interessiert, dabei zugleich immer bereit zum charmanten Schimpfen, voller Lust am Schmäh und der Provokation, politisch und künstlerisch unerbittlich und oft unbequem in seiner Offenheit. Das konnte man auch in Berlin erleben, wo er die Gründung der unabhängigen „Woche der Kritik“ parallel zur Berlinale unterstützte, und genervt von deutscher Harmonieseligkeit mit seiner Ansicht nicht hinter dem Berg hielt, dass ein gutes Festival nicht „das Publikum als Legitimation für alles nehmen“ dürfe, das die nur in Berlin beliebte Formel vom Publikumsfestival „eigentlich zynisch“ sei. „Supermarkt sozusagen“.
Am Sonntag ist Hans Hurch in Rom überraschend an Herzversagen gestorben. Hurchs enthusiastisches Eintreten für das Autorenkino wird hoffentlich nicht nur in der Viennale weiter wirken.
Der Text ist eine abgewandelte Form des Nachrufs von Rüdiger Suchsland für die „Berliner Zeitung“. Wir danken dem Autoren für die freundliche Abdruckgenehmigung.