Der Frankfurter Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann ist am 1. Juni im Alter von 92 Jahren gestorben.
Vor vier Jahren kehrte er noch einmal an den Ort zurück, an dem seine Karriere begann: Oberhausen. Hilmar Hoffmann, der 20 Jahre Kulturdezernent der Stadt Frankfurt und neun Jahre Präsident der Goethe-Institute war, diskutierte mit dem jetzigen Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen, Lars Henrik Gass, über die Anfänge des Festivals, das er 1954 gegründet hatte. Es war ein amüsantes und anekdotenreiches Gespräch. Hoffmann erzählte, wie sich das Festival, als das noch gar nicht politisch opportun war, um eine Öffnung gegenüber den sozialistischen Ländern Osteuropas bemühte. Und er gab Einblicke, wie die Politik jener frühen Jahre funktionierte, als Verabredungen noch mit einem Handschlag besiegelt wurden.
Für unseren Verband bedeuteten die Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen, wie sie damals hießen, in den sechziger und siebziger Jahren zusammen vielleicht mit der Mannheimer Filmwoche das damals wichtigste Festival in der Bundesrepublik. Es bedeutete einen Blick über den Eisernen Vorhang, aber auch einen Ort der Diskussion und der Kommunikation untereinander. In dieser Zeit war der Festsaal der Luise-Albertz-Halle, der immerhin 1600 Zuschauer fasste, im internationalen Wettbewerbsprogramm meist ziemlich gefüllt. Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten e.V. hieß der Verband damals. Hoffmann war Mitglied und blieb bis zu seinem Tod Ehrenmitglied. Die AG hatte in Oberhausen den Status eines zumindest ideellen Mitveranstalters; erst Angela Hardt, eine seiner Nachfolgerinnen, löste diese Verbindung in den neunziger Jahren auf.
Hilmar Hoffmann war zum Zeitpunkt der Gründung des Festivals der Direktor der Volkshochschule, später wurde er Kulturverantwortlicher der Stadt Oberhausen. 1970 wechselte er als Kulturdezernent nach Frankfurt und hatte dieses Amt bis 1990 inne. Der Name Hilmar Hoffmann stand für eine Frankfurter Kulturpolitik, die wegweisend für viele andere Städte war. In ihr findet sich viel von der Aufbruchsstimmung der sechziger Jahre. Hoffmanns Politik stand für eine Demokratisierung der Kultur. Hoffmann hat sich schon als Frankfurter Kulturdezernent immer geweigert, eine allzu simple Kosten-Nutzen-Rechnung aufzustellen.
Die zwei Jahrzehnte in Frankfurt ließen ihn zum profiliertesten Kulturpolitiker der deutschen Nachkriegsgeschichte werden, ein Mann mit Visionen, der Ideen aufgriff, die in der Luft lagen, sie aber auch politisch umsetzen konnte. 15 neue Museen oder Ausstellungshäuser wurden in seiner Zeit neu errichtet oder umgebaut, er installierte das Museumsufer, eine Kette von meist in alten Patrizierhäusern untergebrachten Museumsbauten. Viele, wie etwa das Architekturmuseum oder das Jüdische Museum, waren Neugründungen. Die Frankfurter Oper wurde in seiner Zeit zum vielleicht wichtigsten Regie-Musiktheater, im Schauspiel führte er unter dem Brecht-Schüler Peter Palitzsch ein Mitbestimmungsmodell ein, im Theater am Turm berief er Rainer Werner Fassbinder.
Als 1977 die CDU die absolute Mehrheit in Frankfurt erreichte, blieb der überzeugte – aber auch kritische – Sozialdemokrat Hoffmann im Amt. Was ihm damals manche durchaus vorgeworfen haben. Und es gelang ihm, seine Kulturpolitik weitgehend auch in der Ära des liberalkonservativen Oberbürgermeisters Walter Wallmann weiterzuführen. Und dafür auch das nötige Geld zu besorgen, ein Vermögen, das seine Karriere auch später noch auszeichnen sollte. Die Stadt Frankfurt, die zu Beginn der siebziger Jahre mit dem Kampf gegen die Spekulation noch als unregierbar galt, wurde zur Stadt mit dem höchsten prozentualen Anteil der Kultur am Haushalt. Zur Kulturhauptstadt der Bundesrepublik – von Berlin sprach damals keiner.
Hoffmann hat die Losung von der „Kultur für alle“ erfunden. Sein erstes großes programmatisches kulturpolitisches Buch hatte diesen Titel (1979), und hinter dieser modernen Losung steckte auch die alte zutiefst sozialdemokratische Vorstellung von der Eroberung der Höhen der bürgerlichen Kultur. Wenn in diesem Buch, wie auch in Hoffmanns späteren, so oft von Diskursen und Lernprozessen die Rede ist, dann wird auch klar, dass diese Eroberung nicht nur lustvoll sein kann, sondern mit Arbeit zu tun hat. Den Folgeband „Kultur für morgen“ schrieb er 1985 schon im Angesicht der konservativen Wende und der ersten Sparkrise. Bis Ende der achtziger Jahre gab es übrigens in fast allen Frankfurter städtischen Museen freien Eintritt, nur Wechselausstellungen kosteten Geld.
Dem Film stand Hoffmann am nächsten. Die von ihm gegründeten Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen erlebten 1962 mit der Verkündung des „Oberhausener Manifests“ die Geburt des neuen deutschen Autorenfilms. Sein Amt als Kulturdezernent der Stadt Frankfurt begann er mit einem Paukenschlag: Er gründete das erste „Kommunale Kino“ in der Bundesrepublik und setzte diese Idee auch gerichtlich gegen die gewerblichen Kinobesitzer durch. Es spielte damals zuerst im Volksbildungsheim, später dann im Historischen Museum und fand schließlich sein Domizil im Deutschen Filmmuseum Frankfurt, das im Jahr 1984 am Museumsufer eröffnete. Auch dieses Haus war eine Vision Hoffmanns: es sollte alles, was zum Film gehört, unter einem Dach vereinen, ein Kino, eine Bibliothek, Ausstellungsräume, Archive – und ein Café, in dem man über das Gesehene diskutieren konnte. Hilmar Hoffmann war auch ein Pionier in Sachen Filmbildung und Medienkompetenz, als es dieses Wort noch gar nicht gab. Schon in „Kultur für alle“ hatte er beklagt, dass Film nicht Lehrfach an „Höheren Schulen“ sei und diese Bildungsaufgabe den Kommunalen Kinos zugewiesen, die für „Kommunikation, Information, Bildung (durch und über Film), Kreativität“ einstehen müssten. „Glotzen ist nicht sehen“, zitierte er Brechts „Galilei“.
Als Chef einer Kulturbehörde respektierte er die Autonomie seiner Institute. Zumindest im Deutschen Filmmuseum, in dem ich von 1986 bis 1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter war, hat er sich programmatisch nie eingemischt. Es gehörte auch zu seinen Tugenden, sich nicht zur Politik seiner – unglücklich agierenden – Nachfolgerin Linda Reisch zu äußern – obwohl er sich immer gerne zu Wort gemeldet hat und seine Streitgespräche legendär waren. Aber einmal hat er diese vornehme Zurückhaltung aufgegeben, in einer der schwärzesten Stunden Frankfurter Kulturpolitik. Im Oktober 1993 beschloss der Magistrat der Stadt Frankfurt die Schließung des Kommunalen Kinos, orchestriert mit hanebüchenen Argumenten von seiten etwa der Kulturdezernentin, dass doch die Filmgeschichte über Video verfügbar sei. Schon in einem Koalitionspapier vom März tauchte die Formulierung von der „Privatisierung“ des kommunalen Kinos auf. Die neue Generation sozialdemokratischer Funktionsträger gerade in der Kultur liebt ja bis heute die Privatisierung – siehe die Vergabe der Deutschen Filmpreise durch die Filmakademie. Hilmar Hoffmann mischte sich ein, er verfasste mit Wolfram Schütte, damals der Filmredakteur der „Frankfurter Rundschau“, eine Erklärung, in der er den Beschluss des Magistrats und seiner Dezernentin als eine „monströse kulturpolitische Ignoranz“ bezeichnete. Und Hoffmann, der große Kulturpragmatiker, initiierte flugs einen Freundeskreis, damit Spenden für das Kino nicht in den allgemeinen Stadtsäckel flossen. Er selbst spendete 10.000 Mark und machte sich ans Sammeln. Auf sein Betreiben hin spendete die Verwertungsgesellschaft Film dem Kino 100.000 Mark. Der Schließungsbeschluss ist nie zurückgenommen worden. Und doch spielt das Kino bis heute.
Aber Hoffmann war nicht nur ein Mann der „Hochkultur“, er integrierte auch alternative Bestrebungen, veranstaltete „Lieder im Park“ und sorgte mit dem Mousonturm für einen neuen Spielort für freie Theatergruppen und Veranstaltungen. „Keine Reden – keine Blasmusik – keine Geschenke“ stand auf den Einladungen zu seinen runden Geburtstagsfeiern, als er sie noch im Garten seines Hauses, dem alten Forsthaus des Frankfurter Vororts Oberrad, feierte. Keine Blasmusik: Hilmar Hoffmann war nie ein Populist, ein Volkstümler. Er hat sich nicht angebiedert und es auch in „seiner“ Partei, der SPD, nicht immer leicht gehabt. Kulturverständnis gehörte damals eher nicht zu den Kardinaltugenden der Sozialdemokratie. Wegen Differenzen mit dem damaligen OB Volker Hauff (SPD) schied er 1990 freiwillig aus dem Amt, obwohl er bis 1994 gewählt war.
Von 1993 bis 2002 war Hoffmann Präsident des Goethe-Instituts, das deutsche Kultur im Ausland vermitteln soll. Er hatte es nicht mehr so leicht in einer Zeit, in der auch die Mittel des Bundes sich drastisch reduzierten. 38 Institute mussten in seiner Zeit schließen, aber 19 neue konnte er auch eröffnen. In den neun Jahren seiner Präsidentschaft hat er 45 Millionen Euro an Sponsorengeldern gesammelt. Die Losung von der „Kultur für alle“ bekam mit der Arbeit der Goethe-Institute eine neue Dimension. Wer seine Arbeit kennt, weiß, dass es ihm damit nicht um die Repräsentation von so etwas wie Nationalkultur ging. Kulturpolitik, hat er einmal gesagt, und das ist sehr modern, sei „der Schlüssel für alle Friedensbemühungen überhaupt“.
Wenn man ihn in seinem Haus in Oberrad besuchte, hat er meist an seinem Schreibtisch gesessen und gearbeitet. Viele Bücher hat er geschrieben, gerade auch zum Film. Und er hat sie selbst geschrieben. Für sein Buch „Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit – Propaganda im NS-Film“ (1988) kam er immer wieder, wenn es seine Zeit erlaubte, zu uns ins Filmmuseum, um am Schneidetisch die Wochenschauen zu sichten, die er sich aus dem Bundesarchiv besorgt hatte. Aufs Altenteil hat er sich nie zurückgezogen. Bis zu seinem Tod hat er geschrieben, Anfang diesen Jahres erschien mit „Generation Hitlerjugend“ seine Erinnerungen an die NS-Zeit. Zuletzt plante er eine Geschichte des Frankfurter Schauspielhauses. Die muss jetzt ein anderer schreiben.
Rudolf Worschech