Am 25. Januar 2007 veranstaltete der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) und die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) geinen öffentlichen Workshop zu diesem Thema, in dem Experten und Filmstudenten diskutieren konnten. Die Ergebnisse werden auf den folgenden Seiten veröffentlicht.
Rüdiger Suchsland
Filmkritik im Fernsehen
von Rüdiger Suchsland
Am Anfang stand eine Beobachtung: Obwohl das Fernsehen als Bildmedium prinzipiell dazu prädestiniert zu sein scheint, obwohl zudem das Fernsehen mehr und mehr auch als Produzent von Kinofilmen auftritt, findet eine ernsthafte ästhetische Reflexion über das Kino dort so gut wie nicht statt. Spaßkultur und Trash-TV zum Trotz gilt diese Beobachtung für andere Kunstformen überhaupt nicht. Sie werden sehr wohl immer wieder zum Gegenstand erfolgreicher TV-Formate auch zur „Prime Time“ gemacht – etwa die Literatur derzeit in den Sendungen, die mit den Moderatoren Elke Heidenreich, Ulrich Wickert und Denis Scheck verbunden sind. Selbst für philosophische Themen gibt es allein im ZDF mehrmals im Jahr das „Philosophische Quartett“, für allgemeine kulturwissenschaftliche Themen das wöchentliche „Nachtstudio“. Und das obwohl Literatur und Philosophie weniger Menschen interessiert und „komplizierter“ zu sein scheint, als das ungleich populärere Medium Film. Warum also gibt es eigentlich nicht auch ein „Filmisches Quartett“? Oder eine andere regelmäßige niveauvolle Talk- und Debattensendung? Oder andere Formate zwischen „Cinema de notre temps“ und „analog zu den mehr oder weniger gut funktionierenden Vorbildern anderer Länder.
Im Hauptprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender – von den privaten schweigen wir hier mal lieber ganz – findet Kino kaum noch statt. Spartensender wie 3sat und arte schließen sich dem generellen Trend der Kinoabstinenz an, während dort selbst Sendungen über weitaus schwierigere und entlegenere Themenfelder erfolgreich sind.
Nur die dritten Programme von WDR, BR und RBB haben derzeit eigene, wenn auch mitunter ziemlich populistische Kinosendungen. Dagegen hat das ZDF „apropos film“ vor einiger Zeit eingestellt. Dort gibt es nur noch wenige einzelne Beiträge zu Trends oder Festivals zu sehen. Auch der „Filmtip“ des WDR scheint bedroht.
Kino findet heute allenfalls noch in den allgemeinen Kultursendungen und in Form von Nachrichtenbeiträgen statt, von Filmkritik im eigentlichen Sinn kann man dabei aber zumeist gar nicht sprechen.
Weil das alles einmal ganz anders war, wollten wir genauer den Bedingungen und Möglichkeiten von Filmkritik im gegenwärtigen Fernsehen und dem Verhältnis von Kino und Fernsehen genauer nachforschen. Dabei sollten Standpunkte und Positionen der Macher genauso berücksichtigt werden wie die Beobachtungen Außenstehender. Denn es handelt sich um eine Sonderform unseres Berufes, den eigenen Gesetzen des Mediums Fernsehen genauso unterworfen, wie den besonderen Arbeits- und Produktionsbedingungen. Die liegen vor allem darin, dass der Zugang zu den Filmbildern, die Möglichkeit also, die jeweilige Filmkritik mit Bildern zu beglaubigen, eingeschränkt ist.
Am 25. Januar veranstaltete der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) und die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) daher gemeinsam einen öffentlichen Workshop zu diesem Thema, in dem Experten und Filmstudenten diskutieren konnten. Die Ergebnisse werden auf den folgenden Seiten veröffentlicht.
Einige Grundgedanken durchziehen alle Beiträge, wie bereits die Diskussionen des Workshops: Am wichtigsten scheint zum einen die Frage, wie überhaupt Filmkritik zu definieren ist. Ist denn jede Sendung über das Kino auch sofort gleich ein Beitrag zur Filmkritik? Oder gibt es prinzipielle qualitative Vorstellungen und Ansprüche, mit denen sich Filmkritik von bloßer Filmbeschreibung und reinem Service unterscheidet. Letzteres hieße übrigens nicht, dass Filmkritik kein Service für das Publikum wäre – es handelt sich allerdings um eine sehr bestimmte Art von Service.
Von den Verteidigern der gegenwärtigen Situation wird gegen all das gern ins Feld geführt, so wie in der Zeitung sei Filmkritik im Fernsehen gar nicht möglich. Die entscheidende Frage scheint dann allerdings zu sein, ob Filmkritik denn in anderer, fernsehgerechter Form möglich ist? Und wenn ja, wo? Wenn sie aber nicht möglich sein sollte – bedeutet dies in der Konsequenz, dass eben Filmkritik im Fernsehen gar nicht stattfinden kann, nicht etwa „anders“. Was übrig bleibt, sind dann „Filmsendungen“.
Purismus und „Reinheitsgebote“, mit denen sich „richtige“ Filmkritik vom schnöden Rest abhebt, sind gewiss antiquierte und überdies erst einmal unsympathische Kategorien. Verzicht auf Purismus könnte tatsächlich neue Möglichkeiten des Mediums ausloten – allerdings wären dann auch Kategorien nötig, um aufzuzeigen, wo aus dem wohltuenden, erfrischenden Verzicht die Nichterfüllung der Aufgabe wird.
Dies weist auf den letzten Punkt: Was ist überhaupt die Aufgabe von Filmkritik im Allgemeinen? Und was ist sie unter den besonderen Bedingungen des Fernsehens? Zur Beantwortung dieser Fragen bieten die folgenden Beiträge – wie auch jene des zweiten Themen-Schwerpunkts – wichtige Anregungen. Endgültige Antworten wird in ihnen zwar man kaum finden, eher Zwischenbilanzen und Ausgangspunkte zum Weiterdenken. Aber es ist ja vielleicht das Kennzeichen der besseren unter den Kritikern, dass sie mehr Fragen stellen, als Antworten geben – und dass sie die richtigen Fragen stellen.
Rüdiger Suchsland
© VdFk 2007