Zuerst Mainstream, dann Arthouse
Filmkritiken für Nachrichtenagenturen – Balance zwischen Masse und Klasse
von Birgit Roschy
Nachrichtenagenturen sind Großanbieter von Berichterstattung und beliefern alle Medien. Die Verbreitung reicht von Print über Online-Portale bis zu Fernseh- und Rundfunksendern und Verbänden. Die Texte müssen also von allen verstanden werden, die der deutschen Sprache einigermaßen mächtig sind. Die oberste Schreib- Maxime lautet: informativ, aktuell, verständlich und lesbar, und im Falle von "weichen Themen" im Ressort Kultur, möglichst auch unterhaltsam.
Filmkritiken haben im Gegensatz zu anderen Nachrichten, die in den Agenturen unter großem Zeitdruck stante pede verfasst und im Wettlauf mit der Konkurrenz den Redaktionen angeboten werden müssen, den Vorteil einer längeren Planung, da die Pressevorführungen meist mehrere Tage oder Wochen vorher stattfinden. In den letzten Jahren werden leider vermehrt auch Pressevorführungen erst kurz vor Bundesstart anberaumt.
Ich kann hier nur meine persönliche Erfahrung bei der Presseagentur DAPD, vormals AP, schildern. Seit 13 Jahren schreibe ich Filmkritiken für die Agentur, arbeite aber auch als freie Journalistin für Tageszeitungen, Online-Portale und Filmzeitschriften. Seit September 2009 bin ich als Pauschalistin für das wöchentlich geschnürte "Kinopaket" bei DAPD allein verantwortlich. Die Agentur bietet ihren Abonnenten an jedem Montag vor dem Programmwechsel der Kinos eine Reihe von Artikeln an. Unter den bis zu zwölf pro Woche neu anlaufenden Filmen wähle ich zwei bis fünf aus, die ich größtenteils selbst bespreche, ein bis zwei Filme werden von anderen freien Mitarbeitern übernommen.
Das erste Auswahlkriterium ist die Kopienzahl, also Filme, die bis hin zum Dorfkino flächendeckend starten und im Kulturteil der jeweiligen Regionalzeitungen berücksichtigt werden müssen. Neben Blockbustern und anderen Hollywoodfilmen mit Stars und großem Budget sind dies oft auch deutsche Kinderfilme oder Prestigefilme wie Der Untergang. Ausreißer jenseits des US-Mainstreams wie der französische Erfolgsfilm Die fabelhafte Welt der Amelie sind leider selten Das zweite Kriterium sind Filme, die im Vorfeld auf sich aufmerksam gemacht haben und ein "Muss" sind, wie zum Beispiel die Dokumentarfilme von Michael Moore. Erst dann können kleinere Arthouse-Filme berücksichtigt werden, die ich aus den oft ein Dutzend Pressevorführungen pro Woche auswähle. Es sind dies meist Filme europäischer Herkunft mit geringerer Kopienzahl, die sich eventuell als Dauerbrenner entpuppen könnten wie etwa die schwedische Tragikomödie Wie im Himmel. Erfahrungsgemäß laufen solche Filme in der Provinz oft erst einige Wochen nach dem Bundesstart in Programmkinos, d.h. die Kunden greifen zeitverzögert auf die Agenturkritiken zu.
Das Kinopaket wird oft ergänzt von Interviews mit oder Porträts von Filmschaffenden sowie von Artikeln zu runden Geburts- oder Todestagen. Daneben beinhaltet es Artikel über Tendenzen der hiesigen Filmwirtschaft, technische Neuerungen wie die Einführung von digitalem 3-D oder aber begleitende Reportagen wie etwa im Falle des Science-Fiction-Dramas District 9, das Anlass für einen Artikel über das filmische Schwellenland Südafrika bot. Außerhalb des Kinopakets muss gelegentlich aktuelle Berichterstattung von Filmfestivals wie der Berlinale, von Filmpreisverleihungen und Drehbesuchen gemacht werden.
Die formalen Vorgaben sind relativ strikt; eine Kritik umfasst 3000 bis 4500 Zeichen in fünf bis sechs Abschnitten sowie aussagekräftige Titel, Unter- und Zwischentitel. Im ersten Abschnitt müssen relevante Informationen wie Titel, Starttermin und Stichwörter untergebracht werden. Stilistisch sind seltene Fremdwörter, "denglisch", Cinéphilen-Vokabular, Insiderjargon und Tunnelperspektive ebenso unangebracht wie gewundene Verweise auf andere Filme oder weitschweifige politische und gesellschaftliche Anspielungen. Eine Agenturbesprechung richtet sich nicht in erster Linie an Cinéphile und ist weder Feuilletonartikel noch Filmseminar (selbst wenn in beiden gelegentlich aus Agenturbesprechungen zitiert wird).
Innerhalb dieses Rahmens ist aber durchaus kreatives Schreiben möglich und erforderlich. An ausgeschlafenen Tagen können auf den Punkt gebrachte Formulierungen jene tiefschürfenden Analysen, wie sie beispielsweise in Filmzeitschriften angebracht sind, ersetzen. Wie bei allen Journalisten ist besonders im Hinblick auf Agenturkunden, die von der FAZ bis zur Bäckerblume reichen, eine breite Allgemeinbildung von Vorteil, die es erlaubt, einen farbigen und anspielungsreichen Text zu schreiben, ohne die unterschiedlichen Adressaten zu überfordern. Humor und Ironie, überhaupt eine gewisse Distanz zum Thema, erzeugen einen eigenen Lesewert. Mein Vorbild ist in dieser Hinsicht der unprätentiöse, lockere Schreibstil angelsächsischer Filmkritiker, die ihr Publikum ohne ideologische Scheuklappen ebenso sehr unterhalten wie belehren wollen. So verstehe ich eine Agenturfilmkritik einerseits auch als Serviceangebot: Ein Familienvater sollte etwa anhand einer Besprechung des Trickfilms Oben erkennen, ob sich die Investition in teure Tickets inklusive Popcorn und Cola lohnt. Darüber hinaus soll eine Filmkritik auch Menschen, die nicht unbedingt die Absicht haben, ins Kino zu gehen, einfach nebenbei zum Lesen anregen.
Die Planung des wöchentlichen Kinopaketes wird mit einem Redakteur abgesprochen, der auch die Texte redigiert. Im Gegensatz zu Mitarbeitern anderer Ressorts genießt aber der Kulturjournalist im Agenturbetrieb, wie oben angedeutet, eine gewisse Narrenfreiheit. In seinen Artikeln geht es meist nicht um harte Fakten, sondern um Meinungen und Schöngeistiges jenseits der üblichen Nachrichtenkriterien.
Dennoch verschieben sich für den Agenturmitarbeiter, der ja vor allem Mainstream-Filme berücksichtigen muss, die Koordinaten von Kunst und Kommerz und machen aus dem Fundi schnell einen Realo. Dem Cinéphilen im Agenturjournalisten mag das Herz bluten angesichts tumber Action-Spektakel, die bessere Filme aus den Kinos drängen. Andererseits freut man sich über jeden Euro, den Kinobesitzer mit Blockbustern einnehmen, weil sie sich damit gelegentlich einen Arthouse-Film mit wenig Publikum leisten können.
Als Agenturjournalist sollte man sich auch ein dickes Fell hinsichtlich der Unversehrtheit des eigenen Wortes zulegen. Agenturtexte werden in den Redaktionen oft als Rohmaterial und Ideensteinbruch verwendet, nach Belieben gekürzt, umgeschrieben und nicht selten verschlimmbessert. Dank Google lassen sich mittlerweile die ganz dreisten Plagiatoren aufspüren, die nicht nur einzelne Sätze kopieren, sondern unter den Agenturtext ihren eigenen Namen setzen.
Die beruflichen Aussichten für Agenturmitarbeiter sind leider wenig erfreulich. Besonders die Hauptkunden der Agenturen, die Tageszeitungen, sind von Wirtschaftskrise und Strukturwandel betroffen und kämpfen seit Jahren mit sinkenden Auflagen und schwindenden Anzeigen. Das verschärft auch den Wettbewerb unter den Nachrichtenagenturen.
Birgit Roschy
© VDFK 2010
Birgit Roschy betreut hauptberuflich das Kinoressort einer Nachrichtenagentur und arbeitet für Tageszeitungen, Magazine, epd Film und Online-Portale.