Die Freiheit des anders Arbeitens
Über das Paradox des freien Autors
von Günter H. Jekubzik
Die Philosophie
Was ist Freiheit? Wenn man darüber philosophiert, dass die größte Freiheit in der Beschränkung liegt, passt sicher der feste Rahmen einer Redaktion so manchem besser als der Freie Journalismus. Als Freier schreibe ich nur über Themen, über die ich wirklich schreiben will – in der Theorie. Über alles schreiben, was mich fasziniert? Dazu fehlen Zeit und Geldgeber. Also führt auch hier der Weg zum Glück über die Beschränkung. Die immer wieder selbst zu steckenden Ziele müssen zwischen Begeisterung und Machbarkeit austariert werden.
Das ist der Kern und die Crux der Freiheit: Im Studium schon verlief die Trennlinie weniger zwischen Geistes- und sonstigen Wissenschaftlern als zwischen denen, die eine Stundenplan-Vorgabe als hilfreich empfanden und denen, die sich dadurch eingeschränkt fühlten. Dabei gibt es nicht den einen richtigen Weg, sondern nur einen guten für die jeweils eigene Persönlichkeitsstruktur. Bis hinein in ganz praktische Entscheidungen. Der eine Freie braucht den Rahmen einer Bürogemeinschaft und will die Arbeit nicht in den eigenen vier Wänden haben, der andere genießt es geradezu, jederzeit im Home-Office seiner Inspiration nachgehen zu können. Um dann beim klassischen Dilemma des Freien zu landen, dass man eigentlich immer arbeitet. Tag und Nacht, am Wochenende und auch in dem unbekannten Ding, die anderen Urlaub nennen.
Die Realitäten
Als Freier kann ich immer (noch) dem nachgehen, was mich begeistert. Doch solch hochfliegende Umschreibungen meiner Tätigkeit stürzen jäh ab, wenn ein guter Kunde unbedingt eine Kritik zu einer völlig uninteressanten romantischen Komödie haben will, oder wenn ein gerade aktueller deutscher TV-Komiker mit seiner Blödel- Komödie groß aufgemacht werden soll. Nicht jeder ist so nett wie Til Schweiger und zeigt seinen Kram gar nicht erst in Pressevorführungen. Bei einem solch drängenden Bitten im Interesse des Feuilletons bleibt auch dem Freien nichts anderes übrig, als die Freiheit andersgläubiger Publikumsschichten ("Das interessiert den Leser") zu akzeptieren und 120 Minuten seines Lebens zu opfern. Ansonsten ist es der tollste Beruf der Welt. Denn bei welcher Tätigkeit hat man andererseits täglich die Chance, dass die nächsten zwei Film-oder Arbeits-Stunden mit neuen Ideen das Leben verändern könnten?
Hat man als Freier auch mehr Frei-Zeit? Man darf nachts DVDs sichten und auch abends zu Pressevorführungen gehen. Und bei Festivals gleich 24 Stunden am Stück durcharbeiten. Wie effektiv man arbeitet, ist einem leider selbst überlassen. Vielleicht gibt man sich selbst auch öfter für Festivalreisen oder Drehberichte frei, als es ein Chefredakteur heute noch dem Kulturredakteur gestatten würde. Man ist flexibler für eine Menge mehr an Filmen und Begegnungen – wenn man die anfallende Arbeit vorher und nachher erledigt bekommt.
Hierbei stellt sich allerdings auch die Frage nach der Unabhängigkeit der Filmkritik. Während sich einige wenige Redaktionen noch den " Luxus der Unabhängigkeit" leisten können, in dem sie die Reisen zu Set-Besuchen oder Interviews ausdrücklich selbst bezahlen, bleibt den Freien gar nichts anderes übrig, als sich von den Verleihern und Produzenten bezahlen zu lassen – mit den entsprechenden Abhängigkeiten, die jeder mit sich selber verwalten muss. Der Anspruch absoluter Unabhängigkeit ist in der Realität der Filmpresse nicht praktikabel. Die Freiheit, seine Meinung ohne Scheren im Kopf sagen zu können, muss man immer wieder mit sich selbst erstreiten.
Den anderen Kampf führt man im Dialog mit Redakteuren, die nur im seltenen Glücksfall viel Ahnung vom Film haben, aber der Meinung sind, auch so mitreden zu können. Aber es gibt ja immer noch das Internet als Frei-Raum für Meinungsäußerung und für die Ur-Versionen der dann irgendwie auf irgendwelche Formate zusammengestauchten Texte. Hier stehen die Kritiken in unnormierter Länge, hier bleiben auch die Fehler drin, die der gute Redakteur redigiert hätte. Generell ist die Arbeit durch das Digitale allerdings nicht einfacher geworden: Die Piratenpanik der Verleiher macht aus einer 90-minütigen Pressevorstellung ein Sicherheitsfestival mit Wartezeiten und Metalldetektoren wie auf dem Flughafen. Die Briefe der diversen Presseagenturen landen heutzutage zwar papierfrei in der Mailbox, aber dafür werden zig-fach mehr "Informationen" verschickt. Es kostet ja nur unsere Zeit.
Das Materielle
Wenn man die Ergebnisse der VDFK-Umfrage zur ökonomischen Situation hochrechnet, kann kaum jemand vom Filmjournalismus allein leben. Man konkurriert bei der Tageszeitung mit einem absoluten Billiganbieter: Texte von Agenturen sind sowieso im Abo vorhanden, also praktisch umsonst. Da muss ein klares Profil her, um sich von dieser Massenware zu unterscheiden. Die Hoffnung auf das Internet als zusätzliche Einnahmequelle ist geplatzt wie die Blase der New Economy. Anfangs gab es reizvolle Aufgaben und Angebote, doch wer sein Honorar noch rechtzeitig einklagen konnte, bevor die Goldgräber Pleite gingen, hat Glück gehabt. Übrig blieben die Versuche von Verlegern, alle Rechte für alle zukünftigen und denkbaren Verwertungen durch Erpressung ("Sie brauchen ja nicht für uns zu schreiben") für 0 Cent abzuzwingen. Was jedoch gar nicht so weit von "normalen" Honoraren entfernt ist, wenn etwa eine ausgesprochen linke und kämpferische Zeitung Freie mit zehn Euro für 1000 Zeichen abspeisen will. Wer dachte, dass ein an Filmen, Texten und Interviews reiches Arbeitsleben mal einen Mehrwert in Form von akkumuliertem Wissen darstellt, darf vielleicht seine eigenen Texte demnächst nicht mehr wiederverwenden. Irgendeine Klausel haben die Rechte-Sammler sicher im Honorarvertrag untergebracht, bei dem nur die Summe nichtig war.
Doch all diese unschönen Bedingungen können die eigene Freiheit nicht aufwiegen. Man sollte da den Hetz-Spruch der Schnell-Schnell-Macher umdrehen: "Zeit ist Geld" heißt in meiner freien Entscheidung auch, dass es ein unbezahlbarer Wert ist, mit meiner Lebenszeit etwas Sinnvolles und den Horizont Erweiterndes anzufangen Das ist unbezahlbar und sollte zu den geringen Honoraren addiert werden.
Günter H. Jekubzik
© VDFK 2010
Günter H. Jekubzik arbeitet als Autor u.a. für Aachener Zeitung, Leipziger Zeitung und film-dienst.