Notizen zum Kino 4: Inszenierte Öffentlichkeit

Eine Debatte um die symbolische Macht der Filmkritik

Der öffentliche Raum, in dem über Kunst debat­tiert wird – gibt es ihn noch? Im letzten Jahr dis­kutierte die Berliner Akademie der Künste über die schleichende Ökonomisierung und Quanti­fizierung des Kulturbegriffs. Am Beispiel Filmjournalismus – so die Idee zu einer gemeinsamen Veranstaltung der Akademie-Sektion Film- und Medienkunst mit dem Verband der deutschen Filmkritik – sollte exemplarisch der wachsende Einfluss von Public Relation auf die Filmkritik thematisiert werden.

Hinter dieser Frage standen Erfahrungen von Ulrike Roesen (Leiterin der Sektion Film- und Medienkunst) und mir bei der Planung der Reihe Filmgespräche, die auf der Zusammenarbeit mit Filmverleihen und Presse- und PR-Agenturen basiert, in den vergangenen Jahren jedoch öfter auch mit unverfrorener Instrumentalisierung verbunden war.

Bei Filmgesprächen arbeitet man mit Agenturen zusammen, die zum Start eines Films z. B. die Interviewreisen von Regisseuren und Schauspielern managen, mit denen man auf einem Podium unter Umständen auch kritisch über ihre Filme reden möchte. Dass öffentliche Kritik anstelle eines werbenden Premierentalks dem Publikumszuspruch schaden könnte, ist eine große Angst der Branche – jedenfalls wird sie in der Selbsteinschätzung ihrer Leistung nicht als PR-Erfolg verbucht und folglich eher abgewehrt.

Die Förderungsbedingungen vieler Filme sind in den letzten Jahren um das Marketing-Element ergänzt worden. Subventionen gibt es nur, wenn ein entsprechendes professionelles Konzept vorgelegt wird. Diese Entwicklung hat die Ausbreitung und Ausdifferenzierung zahlloser Agenturen auf dem heiß umkämpften, durch mediale Überproduktion verstopften deutschen Markt befördert. Neben der klassischen Pressearbeit, die ein logistisches Unternehmen zur Bereitstellung von Informationen, Organisation von Presse-Vorsichtungen etc. ist, legitimieren sie ihre Budgets durch ein Bündel kulturmanagement-technischer Maßnahmen, die die Event-Kultur anfüttern, bespie­len und aufblähen.

Kreativität beim Marketing, vor allem für Filme mit geringem Budget, ist wichtig. Uns ging es bei der Frage nach dem öffentlichen Raum nicht um ein allgemein kulturpessimistisches Beharren auf der überkommenen Vormachtstellung der Kritik im Sinn einer argumentativen Auseinandersetzung in Wort und Schrift. In Zeiten des „Iconic Turn“ sind Bilder, Trailer etc. in Printmedien, Fernsehen und Internet ebenso Anlass zu persönlicher Mundpropaganda wie vermutlich auch zu kritischer Geschmacksbildung, ohne die Institution von „Kunstrichtern“.

Die Ironie der Situation ist jedoch, dass im informationellen Überangebot der Alltagskultur ausgerechnet wieder die autoritäre Empfehlung oder der affektgeladene Verriss Macht gewinnt. Prominente, nicht nur vom Schlage Elke Heidenreich oder Marcel Reich-Ranicki, lösen messbar hohe Kaufimpulse aus.

Zu dieser Fixierung auf Prominente, Meinungsführer und „Peer Groups“ gehört auch der Trend, Filme mit einem geschichtspolitischen Thema quasi zur nationalen Identitätsstiftung unmittelbar für Parlamentarier vorzuführen und darüber kampagnenartige Aufmerksamkeit und staatsnahe Aufwertung des Prestiges zu gewinnen, die sich u.a. auch in der nachfolgenden me­dienpädagogischen Platzierung des Films (d.h. in erster Linie seines Inhalts) niederschlägt. „Spinning“, das durchgeplante Pushen von Botschaften und Persönlichkeitsprofilen, aus Wahlkampagnen ermüdend bekannt, ist im öffentlichen Raum der Kultur Alltagsgeschäft.

Eine Erfahrung mit dem Film Das Leben der Anderen, über den die Akademie der Künste im April 2006, d.h. nach dem Filmstart, nach lobenden Politikeräußerungen, einem ersten Preisregen in Bayern und großem Publikumszulauf eine Diskussion veranstalten wollte. Damals diktierte die PR-Agentur Just Publicity im Auftrag des Verleihs Buena Vista und des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck, dass der Regisseur nur dann an der Diskussion teilnehmen werde, wenn ne­ben seinem Star Ulrich Mühe und zustimmend argumentierenden Zeitzeugen zusätzlich auch der befürwortende Kritiker Rainer Gansera von der Süddeutschen Zeitung teilnehme, mit dem durch eine negativ argumentierende Kritik aufgefallenen Moderator Claus Loeser fühle sich der Regisseur nicht wohl. Die Teilnahme des Filmemachers war klar an die Strategie gebunden, die Diskussion müsse ihn positiv positionieren. Selbstverständlich wird die Synthese von Analyse und Kritik mit marketingorientierter PR vorausgesetzt.

An solchen Beispielen der strukturellen Veränderungen des öffentlichen Raums interessierten uns zwei Momente:

1. die mangelnde Offenlegung von Interessenlagen, die dem Publikum die selbständige Unter­scheidung von Werbung und unabhängigem Diskurs erschweren.

2. das Manko von Spielregeln zwischen der PR-Branche und den klassischen Institutionen der Filmkritik.

Dass letztere zu den marginalisierten Stimmen in der neuen Unübersichtlichkeit in Zeiten massiver Medienumbrüche gehören, ist dabei nicht Anlass zum Lamento. Was uns auffiel, war die enorme Zuschreibung von meinungsbildender Macht, die Filmkritiker von Seiten der PR-Branche erfahren. Sie drückt sich in offenen und versteckten Versuchen zur Instrumentalisierung aus. Filmkritik soll ein Teil der „Darstellungsindustrie“ unserer Mediengesellschaft sein. Wie kann man die Trennschärfe zwischen PR und Filmkritik wieder neu herstellen?

In die Vorbereitung der Veranstaltung, die die Akademie der Künste am 8. Mai 2007 zu dem Thema „Kunst und öffentlicher Raum, Beispiel Filmkritik: Journalismus und Public Relations“ vorbereitete, platzte der polemische Artikel des Produzenten und Präsidenten der Deutschen Filmakademie, Günter Rohrbach, „Das Schmollen der Autisten – Hat die deutsche Filmkritik aus­gedient?“ (Der Spiegel, 22. Januar 2007), der die Debatte um die Unabhängigkeit der Filmkritik neu entfachte. Was lag näher, als Günter Rohrbach zur geplanten Veranstaltung einzuladen? Seine Darstellung und Rechtfertigung der Ansicht, Filmkritik müsse sich „das Vertrauen ihres Publikums“ erschreiben, nahm folgerichtig breiten Raum in der Diskussion ein. Seine Argumente, Filmkritik solle dem Mainstream folgend erfolgreiche Filme wie Tom Tykwers Das Parfum positiv „begleiten“, einen kleinen Film wie Valeska Grisebachs Sehnsucht eher negativ, schärften die Debatte jedoch, indem sie das Produzenteninteresse an einer „funktionierenden“ Filmkritik deutlich machte.

Das Kino griff immer wieder Strömungen aus Avantgarde und Außenseiterkino auf und inte­grierte sie, um sich ästhetisch weiter zu entwickeln und neue Generationen anzusprechen. An diesen überraschenden Prozessen der Öffentlichkeit hat Filmkritik ihren Anteil. Dieses Potential, das sich kurzfristigen Marketing-Strategien prinzipiell widersetzt, war das zentrale Thema der Diskussion. Welche Spielregeln für die Sphären von Kritik und PR daraus folgen, wird sich zeigen müssen.

Claudia Lenssen ist freie Filmkritikerin.

zurück zur Inhaltsübersicht