Notizen zum Kino 3: Schwerpunkt Rohrbach und die Folgen

Zur Standortbestimmung der Filmkritik
von Rüdiger Suchsland

„Einer hat was erlebt, jetzt will er davon erzählen.“ Keiner hat die Essenz einer Filmkritik besser auf den Punkt gebracht, als Michael Althen. [in: revolver 14; S.43] Natürlich geht es in einer Filmkritik um alles Mögliche, und manchmal sogar darum, eine Art Ersatz für all das darzustellen, was an Filmkultur und -wissenschaft in Deutschland fehlt. Aber in erster Linie geht es doch erst einmal darum, einen unmittelbaren Eindruck abzubilden, in Worte zu fassen, und ihn dabei zu reflektieren. Und die Geringschätzung des Eindrucks, des Unmittelbaren und des Erlebnisses ist es vermutlich, woran die Filmkultur in Deutschland krankt, wie an nichts sonst.

Es begann im November 2003. Eigenlob stinkt, ok, und darum wollen wir auch gar nicht lange darauf herumreiten – aber erwähnen möchten wir es schon -, dass unser Verband damals die Debatte begonnen hat, die zuerst sachte, dann immer vehementer vor allem im letzten Jahr geführt wurde und ihr Ende längst nicht erreicht hat. Damals, Ende 2003, veranstalteten wir in Kooperation mit dem Filmfestival Mannheim-Heidelberg eine Tagung über „Film-Journalismus zwischen Kritik und Kommerz“ – über Sinn und Unsinn, Praxis und Theorie einer gegenwärtigen Filmkritik, die, wie das Gespräch zeigte, zwischen Anschmiegung und Gefangenschaft in pragmatischen Schleifen ein wenig diffus flaniert.

Wenn man die Gespräche von damals, an denen Filmemacher ebenso beteiligt waren, wie Kollegen aus dem Ausland, heute nachliest – sie ist in ihrem Wortlaut im Internetmagazin artechock  nahezu vollständig protokolliert, dann findet man dort schon fast alle Argumente, die die Diskussion seitdem dominieren.
(www.artechock.de/film//text/artikel/2004/11_18_mannheimerkritik.htm)

Im Frühsommer 2005 gab es dann einen regnerischen Berliner Abend im Prater. Dort versuchten sich die für die Zeitschrift „revolver“ verantwortlichen Filmemacher an einem Gespräch mit Kritikern, versuchten zugleich über den Tellerrand des Alltagsgeschäfts hinaus den filmkritischen und filmkulturellen Diskurs zu erneuern. Filmkritiker sind Lohnschreiber, aber wenn sie gut sind, sind sie immer mehr – das war die erste Zwischenbilanz. Ein Jahr später kombinierte „revolver“ dann im Heft 14 Ausschnitte der Diskussionen von Mannheim und Berlin mit neuen Beiträgen.

Dieses Heft ist ein Meilenstein in der Diskussion um den Stand der Filmkritik: ein vielstimmiger Querschnitt, und doch versammelt dieser Querschnitt genau die richtigen Leute, vereint durch fehlende Gewissheiten, einen vorurteilfreien, suchenden Blick, die in ihrer Arbeit dem unmittelbaren Eindruck Vorrang geben vor vorgefassten Überzeugungen. Die Skepsis, die die Herausgeber etwas überrascht konstatieren, könnte man also auch als Tugend entdecken, als Haltung, die einen Film erst einmal kommen lässt, und ihn nicht vorab durch Gewissheiten – und seien sie auch noch reflektiert, gutbegründet und mainstreamfern -zukleistert. Die „Kritik der Kritik“, die Diedrich Diederichsen damals in Berlin einforderte, hätte ja wohl so anzufangen: Als selbstkritische Befreiung von den eigenen Gewissheiten.

Nein, Günter Rohrbach hätten wir also nicht gebraucht, um über Filmkritik nachzudenken. Und auch wenn die oberflächlichen Provokationen seines befremdlichen Pamphlets („Das Schmollen der Autisten“, in „Der Spiegel“, 22. 1. 2007) fast alle an den eigenen Widersprüchen verpuffen, ist sein Text doch recht repräsentativ für eine Filmkultur, die von Dünnhäutigkeit und Neid, von Cliquenwesen und Amigotum, von Ressentiment gegenüber jeder Kritik und einer grundsätzlichen Unfähigkeit zu streiten geprägt ist. Wer das Spiel der Amigos dann nicht mitspielen will, wird ausgegrenzt: man ruft bei Chefredakteuren an, wie Rohrbach erstaunlicherweise – oder einfach dreist? – freimütig zugibt; man bestraft mißliebige Kritiker durch öffentliches Anschwärzen und heimliche schwarze Listen bei den PR-Agenturen und unabhängige Regisseure durch zur Schau getragene Verachtung und Stripperziehereien in den Fördergremien; man betrachtet schließlich die Medien nicht als unabhängige – und gerade in dieser Unabhängigkeit auch hilfreiche – Instanz, sondern als verlängerten Arm fürs Marketing. Das alles tangiert die Filmkritik nur dort, wo Verleger und Redakteure ihre Aufgaben verraten – aus Feigheit vor dem Feind und Anzeigenkunden, aus vorauseilendem Gehorsam oder einfach, weil schließlich eine kapitalistische Krähe der anderen kein Auge aushackt. Aber die Kritiker werden trotzdem weiter schreiben und sagen, was sie wollen – und wenn die letzte Zeitungsfilmseite zur Fortsetzung der „Kinonews“ ohne Fleischbeilage degeneriert ist, dann eben im Internet.

Wirklich in Mitleidenschaft gezogen wird durch Beiträge à la Rohrbach aber die Filmkultur in Deutschland. Zu ihr gehört ein Festival wie die Filmfestspiele von Berlin, dessen Leiter Dieter Kosslick – dem bisher eigentlich noch niemand unterstellt hat, etwas gegen Volksnähe zu haben – sich öffentlich als „Floppmacher“ schmähen lassen muss, weil er lieber anspruchsvolle statt populistische Filme in den Wettbewerb einlädt.

Zu ihr gehören diejenigen Filmproduzenten, gegen die die Lobbyisten der nichtexistierenden „Filmindustrie“ jetzt mobil machen, weil sie weiterhin Filme machen wollen, die womöglich etwas komplizierter sind, als die „Sieben Zwerge“, und die erkennen, dass 95 Prozent der deutschen Filme und ihre Etats nicht einmal im Entferntesten einer Großproduktion wie „Das Parfum“ ähneln – einem internationalen, stargespickten Blockbuster bei dem ein bekannter Regisseur einen Millionenbesteller verfilmt, und dessen derzeitige einseitige Begünstigung durch die Förderinstitutionen ihren Interessen und denen des deutschen Films nicht wirklich dient.

Zur ihr gehört schließlich eine „Deutsche Filmakademie“, die gerade beginnt, sich aus dem Klammergriff der Großproduzenten zu emanzipieren und ihre Aufgaben jenseits der Filmpreisvergabe zu suchen, und deren Präsident und Constantin-Aufsichtsrat sie durch solche Beiträge – natürlich ganz „Privatmann“, also weder für die Akademie noch im Sold der Constantin sprechend – verzweifelt wieder zu disziplinieren sucht. Die Unruhe innerhalb der Akademie, nicht nur über Rohrbachs Beitrag, ist längst nach Außen gedrungen, aber noch ist die tatsächliche Vielstimmigkeit des deutschen Kinos nicht an öffentlichen Statements oder den Filmpreisnominierungen erkennbar.

Die folgenden Beiträge sind daher keine „Widerlegungen“ oder „Antworten“ auf das Jammern der Kapitalisten, sondern Überlegungen zur Standortbestimmung von Filmkritik und Filmkultur, „Kritik der Kritik“ im Sinne von Diederichsen und insofern auch als Beiträge zu der so wünschenswerten Vielstimmigkeit zu verstehen. Wir fragen nach Arbeitsbedingungen und Wirkungen – und in beiden Fällen liegen die Dinge wieder mal komplizierter, als viele, auch viele Filmkritiker wahrhaben wollen.

Aufgabe der Filmkritik ist es gerade, inmitten des Marketingtrubels den Überblick zu behalten und auf das aufmerksam zu machen, was vielleicht leiser und schwieriger, aber nachhaltiger ist: Filmkunst eben, nicht lärmendes Blockbusterkino.

Die Antwort auf Rohrbachs Frage „Wem dienen die Kritiker?“ ist daher einfach. Sie dienen einer Filmkultur, in der es neben Kassenerfolgen und Unterhaltungsmainstream auch ein breites Spektrum an ungewöhnlichen, anspruchsvollen, manchmal „schwierigen“, jedenfalls künstlerisch herausfordernden, eigensinnigen Filmen gibt – und ein Publikum, das das zu schätzen weiß.

Rüdiger Suchsland
© VdFk 2007

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