Anmerkungen zu Günter Rohrbachs Filmkritikerschelte
von Josef Schnelle
Als ich dem Nestor der deutschen Filmkritik Peter W. Jansen den Artikel Günter Rohrbachs aus dem „Spiegel“ (22.1.2007) weiter mailte, um mit ihm meine Empörung über die Kritikerschelte des Präsidenten der Deutschen Filmakademie zu teilen, schrieb er mir nur zurück: „Ach weißt du, die schärfsten Kritiker der Elche…“ Natürlich ist auch Rohrbach einmal Kritiker gewesen. Kramt man die verstaubten Nachdrucke der „Filmkritik“, des filmkritischen Leitmediums der 50er und 60er Jahre, hervor, findet man sie unter dem Kürzel „rob“. Rohrbach setzt sich da etwa leidenschaftlich für Michelangelo Antonionis L’avventura ein, kritisiert, die Kürzung des Films durch den Verleih von 145 auf 100 Minuten: Das habe, so Rohrbach in der „Filmkritik“ 3/1961 weiter, die Ratlosigkeit der Kinobesucher gegenüber dem Film verursacht. Was war noch gleich Kritikersünde Nummer eins: Die kleinen unbedeutend erscheinenden Filme gegen die großen in Schutz nehmen. So machen das doch die im „Spiegel“-Artikel angegriffenen Kritiker, die zum Beispiel die Filme von Christian Petzold, Valeska Grisebach und Christoph Hochhäusler hochleben lassen und die Klassiker von morgen zumindest entdecken zu wollen. Nebenbei wetterte Rohrbach – damals in der „Filmkritik“ – gegen Großproduktionen wie Ben Hur und Der Cid, vertut sich aber auch schon mal, wenn er in der Ausgabe 1/1961 gegen Stanley Kubrick und seinen Spartacus wütet: „Dass ein junger Regisseur wie Stanley Kubrick mit dieser monströsen Fehlspekulation viel von seinem Kredit verspielte, ist unter allen Enttäuschungen die bitterste.“ Dies ist Kritikersünde Nummer zwei: Manchmal irren sie sich gründlich. Auch sie hat Rohrbach begangen, wie wir alle, immer und immer wieder. Aber es kann manchmal sogar richtig schön sein, sich selbst beim Irren zu erwischen. Aus dem Krzystof Kieslowskis Meisterwerk Ein kurzer Film über das Töten bin ich dreimal raus gelaufen; erst dann wurde mir klar, was ich da gesehen hatte. Es ist eben nicht leicht, ein Kritiker zu sein.
Die dritte Sünde der Kritiker hat Rohrbach auch begangen und die kritisiert er heute am meisten: sich filmpolitisch einmischen, herummäkeln. Damals in der Nummer 4/1961 der „Filmkritik“ bezog sich die Kritik nicht auf die Filmakademie sondern auf die Filmbewertungsstelle in Wiesbaden, die John Waynes primitiv-patriotischer Heldenschnulze Alamo 1961 das Prädikat „Besonders wertvoll“ verliehen hatte, „das Filmen der ersten Garnitur beharrlich vorenthalten wird“: „Es hat den Eindruck, als sei die Filmbewertungstelle in Wiesbaden bereits vom Bonner Verteidigungsministerium unterwandert.“ Willkommen im Club.
Werden nicht die Filme der „ersten Garnitur“ jetzt von der Filmakademie beharrlich übersehen? Aber Schluss mit dem Spiel „alte Kritiken lesen“. Natürlich ist Günter Rohrbach heute ein anderer Mensch als damals. Er vertritt zumindest andere Interessen. Auch als WDR-Fernsehspielchef brachte er viele anfangs kleine Filme von Fassbinder und Co auf den Weg und auch die noch heute existierende filmanalytische TV-Reihe Filmtip. (Es wurden dort letztes Jahr zum Beispiel Sehnsucht und Falscher Bekenner besprochen, Das Parfum nicht.) Als Geschäftsführer bei der WDR-Tochter Bavaria war er unter anderem für Wolfgang Petersens Das Boot und für Berlin Alexanderplatz von Rainer Werner Fassbinder verantwortlich.
Seine Bilanz als freier Produzent ab 1994 ist allerdings eher durchwachsen. Gut und schlecht. Anything Goes. Seit 2003 ist Rohrbach nun zusammen mit der Schauspielerin Senta Berger Präsident der Deutschen Filmakademie. Bereits 2001 kam er in den Aufsichtsrat der Constantin Film AG. Sein Engagement für die Constantin-Produktion Das Parfum ist also kein Wunder. Die filmkritische Reaktion auf Das Parfum war im Übrigen durchaus widersprüchlich. Drei volle lobende Zeitungsseiten widmete zum Beispiel die FAZ dem Film. „Der Spiegel“ freute sich mit. Von einer Kampagne gegen den Film kann also keine Rede sein.
Um so überraschender ist Rohrbachs Forderung nach der ersatzlosen Abschaffung der Filmkritik. Im Branchenblatt „Blickpunkt Film“ verteidigten in einer Internetumfrage fast 60 Prozent der Leser die Unabhängigkeit der Filmkritik. Nur 20 Prozent machten sich Rohrbachs Position zu eigen. Eine glatte Niederlage also. Wenn man die letzten zwei Jahre mit unverstelltem Blick betrachtet, ist festzustellen, dass es seit den Zeiten des Neuen deutschen Films noch nie einen solchen Zuspruch, eine derart breite Auseinandersetzung mit dem deutschen Film gegeben hat. Vorbei die Zeit, als ein Filmkritiker – ohne empörten Widerspruch – sagen konnte, deutsche Filme schaue er sich erst gar nicht an. Freilich konzentriert sich die neu erwachte Liebe der Kritiker zum deutschen Film nicht automatisch auf die finanzintensiven Großproduktionen aus dem Hause Constantin. Die Entdeckerfreude der unabhängigen Filmliebhaber mit Kritikerfeder wird da eher von kleinen, vom Munde abgesparten Filmen angezogen (Wie einst auch bei Parfum-Regisseur Tom Tykwer, der durch die leidenschaftliche Liebe der Kritiker zu seinem Werk und entsprechende Texte über viele Jahre hinweg, allererst die Chancen bekam, die er heute hat und nutzt.) Was Rohrbach zwei „Spiegel“-Seiten lang leugnet – den Einfluss und die Bedeutung der Kritik – beweist sich gerade auf das Schönste an seinem Schützling, den er doch verteidigen möchte.
Der Zeitpunkt ist natürlich verdächtig. Das Parfum hat sein Millionenzuschauerdeputat eingefahren. Herzlichen Glückwunsch. Die offenbar so wenig geschätzten „kleinen“ Filme der „Berliner Schule“ sind nach grandiosen Kritiken in der maroden Kinolandschaft zwar versackt; künstlerisch waren sie trotzdem die Highlights des Jahres. Warum also jetzt nochmal die große Klatsche im Leitmedium „Spiegel“? Gewiss, die Nominierungsphase für den hoch dotierten „Deutschen Filmpreis“ war in vollem Gange. Ist das also „Pfeifen im Wald“? Angst, dass der so sicher geglaubte Zugriff auf den Staatssäckel am Ende doch noch schief geht? Dass „Der Spiegel“ da mitmacht, mag dem skandalistischen Grundprinzip des dortigen Feuilletons geschuldet sein. Die Filmkritiker des Nachrichtenmagazins haben erst nach Wochen auf Rohrbach reagiert. Vermutlich waren sie vorher nicht gefragt worden.
Aber was will eigentlich Günter Rohrbach? Auch wenn man es kaum glauben mag, sagen die „gut unterrichteten Kreise“, die Kampfansage an die Kritik sei in der Deutschen Filmakademie nicht abgesprochen gewesen. Dafür spricht, dass Günter Rohrbach Dani Levy, der sich in den Kritiken zu Mein Führer ebenfalls schlecht behandelt fühlte und antwortete, in seinem Generalangriff auf die Filmkritik mit keinem Wort erwähnt. Auch Mein Führer liegt aussichtsreich in den Nominierungen zum Deutschen Filmpreis und ist – rund heraus gesagt – ein direkter Konkurrent von Das Parfum. So weit, so durchsichtig.
Was tun? Weiter streiten! Schließlich sind wir gar nicht so zart besaitet, wie Günter Rohrbach zu denken scheint. Bange machen gilt nicht. An den Lagerfeuern der Filmkritik wird immer noch davon geschwärmt wie einmal, wirklich nur einmal, ein Filmemacher einen Filmkritiker geohrfeigt hat. Der Filmkritiker wurde dann Filmemacher. Fortan waren ihm Kritiker ein Graus. Damit muss man leben. Die Mitglieder der Deutschen Filmakademie sollten allerdings mal darüber nachdenken, wie ihr Metier ohne Filmkritik aussähe: Immer nur der starre Blick aufs Geld – und keine Liebe.
Josef Schnelle
© VdFk 2007