Piratenfreie schöne neue Welt
Von Josef Schnelle
Manchmal hat Herr K. vom Verleiherverband diesen Traum: Mit seiner kleinen Flotte von Kanonenbooten legt er gerade noch rechtzeitig an der Lehrervilla in einem Kölner Vorort direkt am Rhein an. Gerade noch rechtzeitig, weil die Hubschrauber-Squad schon am Horizont mit ihrem Rotorenlärm zu hören ist. Jetzt Musik. Am liebsten Wagners „Walkürenritt“. Und dann sausen schon die tiefschwarzen Einsatzfahrzeuge heran. Dieses Zusammenspiel haben sie schon seit Jahren geübt. Keine Chance für den Missetäter, der jetzt schon mit erhobenen Händen in den Vorgarten tritt.
Er lässt eine Handvoll DVDs auf den Rasen fallen. „Damit kommst du mir nicht davon!“ denkt Herr K. und zieht seine Sonnenbrille fester ins Gesicht, damit er der jungen Frau mit der kleinen Tochter, die jetzt in der Haustür erscheinen, nicht in die Augen schauen muss. An die Tränen hat er sich immer noch nicht gewöhnt. „Sie müssen doch etwas gewusst haben“, meldet sich sein Adjutant, „vielleicht haben sie sogar mitgemacht“. Schon fangen die Spezialtruppen an, das Mobiliar auf die Straße zu werfen. Das Ende einer langen Jagd.
„Köln piratenfrei“, meldet er kaum eine halbe Stunde später in der Europazentrale der IDRP (International Digital Rights Police). Auf tausend Monitoren hier tief in einem Bergwerksstollen in den Ardennen und in den fliegenden Festungen über allen Territorien der Welt verfolgen die Piratenjäger in ihren schmucken schwarzen Lederuniformen das digitale Geschehen. Und dann schlagen sie zu, hart aber gerecht. Alle sind verdächtig. Bald, ja bald wird es nur noch vereinzelte Widerstandsnester geben – irgendwo in den Straßenschluchten der Megagroßstädte Asiens. Dabei hatte alles so bescheiden angefangen, mit verlachten Kinospots gegen die neuen Verbrechen am Copyright. Die amtliche Jubelsirene heult auf. Flackerndes Licht erhellt die Zentrale. Wieder wird einer gebracht – ein auf frischer Tat erwischter Netzpirat. Herr K. polierte schnell noch mal seine Dienstmarke zum feierlichen Anlass. Dann wird ihm der Übeltäter direkt vor die Füße geworfen. Ein blonder Junge schaute hoch und sagt: „Papa, deine James-Bond-Sammlung haben sie auch gefunden.“ Herr K. hört die Handschellen einschnappen. Und spürt sie an den Handgelenken. An seinen eigenen.
„Das Ende des Kinos wie wir es kennen“, beklage Michael Althen, nach der Pressevorführung von Krieg der Welten 2005 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) und dass „unter dem Deckmantel der Verbrechensbekämpfung ein Überwachungsapparat eingeführt wird.“ Prophetische Worte. Seit dieser Zeit konnte keiner mehr ungestört auf die Leinwand schauen oder vergnügt im Kino knutschen. Die Leinwand schaute nämlich zurück. Erst waren es winzige Nachtsichtgeräte gewesen und schwarz gekleidete Bodyguards mit Froschmasken. Doch bald waren die großen fest installierten Überwachungskameras Pflicht geworden. Immer weniger Kinozuschauer hatten sich von Jahr zu Jahr durch immer mehr Sicherheitsschleusen gequält. Warum nur? „Weil sie bequem zu Hause auf immer besseren Fernsehern immer bessere illegale Piratenkassetten anschauen“, mutmaßten die Rechte-Inhaber, erhöhten noch einmal die Preise für legal erworbene DVDs und forderten eine schlagkräftige internationale Polizeitruppe. Die haben sie ja dann bekommen. Die leeren Kinos wurden inzwischen als Untersuchungsgefängnisse für DVD-Piraten genutzt. Auf diese Weise gab’s endlich wieder volle Kinos.
Herr K. wacht schweißgebadet auf. Vor seinem Fernsehapparat nicht im harten Kinosessel. Er blickt auf das prall gefüllte Regal mit allen Schätzen der Kinogeschichte. „Das mit der Flatrate war eine geniale Idee von dir“, sagt eine Stimme. „Hätten wir sonst all diese Filme?“ Herr K. sieht wie sich sein Sohn ihn Schale wirft. „Wo willst du hin?“ – „Ins Kino natürlich. Ich möchte mal wieder gemeinsam mit Fremden im Dunklen einen Film sehen. Das ist ein geiles Erlebnis. Ist gerade der letzte Schrei.“
Die kleine Science-Fiction-Geschichte ist natürlich pure Phantasie. Sie hat vorerst nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Noch ist das Kino ein echtes Massenmedium. Mit ihren Piratenkampagnen beweisen die Filmverleiher nur, wie wenig sie die Kulturgeschichte der Medien-Innovation studiert haben. Schon bei der Einführung des Radios wollten die Musikproduzenten, Überwachung und Einschränkungen durchsetzen, durften dann aber gerade den Siegeszug ihres Mediums erleben, weil sie die Musik prinzipiell frei gaben. Auch das Vorhaben, viel später jedes Kassettengerät bei der GEMA registrieren zu lassen, wurde in den 60er Jahren erst vom Bundesverfassungsgericht gestoppt. Kopierschutz für Videorekorder, anfangs gewollt, setzte sich ebenso wenig durch, wie heute das Verbot des privaten Brennens von Musik und Bilddateien. Man kann das fordern, sogar gesetzlich vorschreiben. Durchsetzen lässt sich das nicht. Das hat objektive Gründe. Schließlich möchte die Apparateindustrie (PCs, Brenner, DVD-Rekorder) sich ihr Geschäft durch die Content-Industrie (Filme, Musik und Spiele) nicht verderben lassen. Manchmal gehören beide Bereiche zum selben Konzern, der sich dann gewissermaßen selbst bekämpft. Die Apparate-Hersteller wollen vielseitige Alleskönner mit möglichst wenigen Einschränkungen verkaufen. Die Content-Lieferanten möchten ihre Inhalte aber möglichst kontrolliert veröffentlichen. Dieser „Krieg der Welten“ ist für die Produzenten von Inhalt schon jetzt verloren – wenn die Rechte-Inhaber nicht umdenken. Schließlich geht es nicht darum, das Copyright auszuhöhlen. Die Frage ist nur, wie das gehen könnte.
„Kompensation ohne Kontrolle“, fordert eine Gruppe von Organisationen um das Netzwerk „Attac“ und den Chaos Computer Club in einer Stellungnahme, die Justizministerin Brigitte Zypris 2004 überreicht wurde. Die Studie macht sich die Forderung nach einer „Kulturflatrate“ zu Eigen, die der Medienökonom Felix Stadler von der Züricher Hochschule für Gestaltung und Kunst und führende Zukunftsforscher schon seit geraumer Zeit fordert. An die Stelle von immer neuen Überwachungsmaßnahmen soll eine Art Grundgebühr für alle Netzinhalte treten. Endlich wäre man raus aus der Falle der Forderung nach der totalen Überwachung und könnte trotzdem weiter Geld für die Inhalte generieren.
Mit Überwachungsphantasien kommt man ohnehin nicht weiter. Es muss ja nur ein einzige „Pirat“ auf der ganzen Welt an den Film kommen um ihn für alle Welt zugänglich ins Netz zu stellen. Einer aber, das lehren nicht nur die im Kino so beliebten Piratenfilme, kommt immer durch. Eine solche Flatrate muss nicht teuer sein. William Fischer, ein Jura-Professor an der Harvard Universität hat das Modell durchgerechnet und kommt auf eine Gebühr von ca. fünf Dollar pro Haushalt und Monat. Das entspricht in etwa, dem was ein amerikanischer Haushalt ohnehin für das Leihen und Kaufen von Filmen und Musikstücken ausgibt. Für 3,50 Euro also wäre der Spuk vorbei. Eine „Verwertungsgesellschaft Online“ würde ermitteln, welcher Titel wie oft heruntergeladen wird und die weltweit erhobenen Gebühren verteilen. Der Aufbau einer solchen Institution wäre nicht umsonst, läge aber weit unter den Kosten einer multinationalen Polizei, die eigentlich nur unter totalitären Bedingungen perfekt funktionieren würde. Anders als die gegenwärtigen Kriminalisierungskampagnen würde die Flatrate auch das Publikum nicht aus den Paradiesen vertreiben, die das Kino seit mehr als hundert Jahren bietet. Schon wieder Science-Fiction. Die Kinos werden wieder zu Tempeln des Filmgenusses.
Josef Schnelle
© VdFk 2006