Erinnerung an Christa Maerker (1941-2023)

Im Alter von 81 Jahren ist die Filmjournalistin, Fernsehdokumentaristin und Drehbuchautorin Christa Maerker gestorben. Seit 1974 realisierte sie über 50 Fernsehdokumentationen, viele davon zu Themen des Kinos. Von 1979 bis 1986 war sie auch Mitglied im Berliner Vorstand des Verbands der deutschen Filmkritik, der sich damals noch Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten nannte. 

In einem sehr persönlichen Nachruf erinnert VdFk-Verbandsmitglied Gerhard Midding vor allem auch an ihre legendären Interviews.

Christa Maerker 2009 bei einem Drehbuch-Workshop der Hessischen Film-und Medienakademie an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Foto © hFMA

Hartnäckige Interviewerin

Ein Nachruf von Gerhard Midding

Wenn sie anfing, Geschichten zu erzählen, hing man an ihren Lippen. Ihre Anekdoten waren wie Zeitreisen in eine Vergangenheit, die entrückt und durchaus heroisch erschien. Sie schlugen in den Bann. Luchino Visconti hatte sie auf dem Set von Tod in Venedig interviewt. Und wenn sie seine Erscheinung beschrieb – kein Kopf, sondern ein Haupt, dann hatte sie ihre Zuhörer damit schon in der Tasche. Christa genoss beides: das Erzählen und die Aufmerksamkeit, mit der man ihr folgte.

Im Nachhinein erscheint mir ihr großes Verdienst in der lebendigen Überlieferung von Filmgeschichte zu bestehen, wobei jedoch ihr Denken über das Kino zugleich auch viel zu gegenwärtig war. Womöglich war das aber kein Widerspruch im Leben dieser unbedingten Zeitgenossin.

Gleichviel, ich bin mit den Dokumentationen aufgewachsen, die sie ab den 1970ern für die ARD und das ZDF drehte. John Wayne porträtierte sie einige Jahre vor dessen Tod, und mir ist unvergesslich, wie Wayne sich auf den Zaun eines Corrals auf seiner Ranch stützt und erklärt, dass der Western nicht verschwinden wird, weil er amerikanische Folklore ist. Leichtes Spiel hatte er bestimmt nicht mit ihr, denn Christas Fragen waren ideologisch stets auf der Höhe der Zeit, inklusive Scheuklappen.

Eine weitere lebhafte TV-Erinnerung ist ein Gespräch, das sie mit Michael Douglas führte, von dessen nächstem Projekt als Darsteller und Produzent zu diesem Zeitpunkt nur der Titel bekannt war: Das China-Syndrom. Sie vermutete dahinter antikommunistische Propaganda à la Hollywood. Aber fruchtlos war ihre Voreingenommenheit nicht: Die Frage animierte ihren Gesprächspartner, der ernsthaft antwortete und, wie sich später herausstellen sollte, mit der Haltung seines Atomkraft-kritischen Films 1979 politisch ohnehin aus dem Schneider war.

Engagement auf beiden Seiten, das prägte Christa Maerkers TV-Dokumentationen, die sich keineswegs nur auf das Kino beschränkten, sondern neugierig auch die Literatur in den Blick nahmen. Schlicht unglaublich, wie sich bei ihr Philip Roth vor der Kamera entäußerte. Auch da war übrigens die Körperhaltung wichtig, denn der Schriftsteller demonstrierte, dass er am besten stehend vor einem Pult schrieb. Wie gern hätte ich ihr Stadtporträt von Warschau gesehen!

Was für eine forsche, hartnäckige Interviewerin sie war, kann man in zahlreichen Bänden der seligen Blauen Reihe von Hanser nachlesen. Robert Altman befragte sie auch als eine Feministin, die nicht sehr glücklich war über die Rolle, die Frauen in seinem Oeuvre spielen. Er erwies sich als wehrhafter Gesprächspartner, was umso ertragreicher war, da er es mit einem Gegenüber von ebenbürtiger Klugheit zu tun hatte. 

Christa hatte ein Talent dafür, ihre Gesprächspartner auf dem falschen Fuß zu erwischen, was sich in der Folge dann als genau der richtige erweisen sollte. Der Einstieg zu ihrem Gespräch mit Martin Scorsese ist allein schon situativ genial. Christa war aufgefallen, dass sich gegenüber seinem Büro ein „unvorstellbar riesiges“ Plakat des aktuellen Stallone-Reißers Cobra befand. Beide zusammen sogen sie nun Honig aus dem Werbeslogan des Films, („Crime is a disease, meet the cure“) und klagten dann gemeinsam leidenschaftlich und differenziert über die Auswüchse des damaligen Blockbuster-Kinos.

Als ich Christa kennenlernte, gab es nur noch sporadisch Gelegenheit, sie als Kritikerin zu erleben. Immerhin genug, um zu merken, dass sie auch in dieser Disziplin scharfzüngig war. Ihre Arbeit als Filmkritikerin wäre einer eigenen Würdigung wert; sie war ein alter Hase, hatte in den frühen 1960ern beim Spandauer Volksblatt begonnen, dann für die Frankfurter Rundschau und deren Konkurrenten, die FAZ und die Süddeutsche Zeitung, geschrieben. Aber unser gemeinsames Medium und das, in dem ich sie als Autorin vor allem bewunderte, war das Gespräch. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, ihre Offenheit verschonte niemanden.

Neben zahllosen anderen Tätigkeiten hat Christa auch an mehreren Drehbüchern mitgewirkt, darunter einem veritablen Kassenschlager: Die Schweizermacher. Glücklich waren diese kreativen Seitenwechsel nicht immer verlaufen, sondern oft auch eine Erfahrung der Enteignung gewesen. Selbst Regisseure aus der ach so höflichen Schweiz verstanden es, ihre Szenaristinnen über den Tisch zu ziehen.

Man konnte großartig mit ihr streiten. Als ich Anfang des Jahrhunderts einmal über die aktuelle Hollywood-Mode der Biopics klagte, deren Darstellung reine Oscar-Köder und eitle Mimikry seien, erhielt ich tagelang empörte Emails, in denen sie mir kratzbürstig die Vokabel „Mimikry“ erklärte. Sie liebte das Kino, und wenn sie es gut fand, verteidigte sie es mit Haut und Haaren.

Neben den Biographien berühmter Paare (Burton/Taylor, Monroe/Miller), die sie für Rowohlt verfasste, wirkte sie in den letzten Jahrzehnten vor allem hinter den Kulissen. Ich glaube, niemand war so viele Jahre für die Berlinale tätig wie sie. Die Arbeit, die sie ab 1979 dort leistete – als Mitglied des Auswahlkomitees für die Sektion der Neuen Deutschen Filme, als Autorin für den Katalog und nicht zuletzt beim Protokoll – kann man gar nicht hoch genug einschätzen.

Für das Letztere war sie unverzichtbar. Dank ihrer Wärme und Menschenkenntnis galt sie als die ideale Betreuerin von Filmkünstler*innen, die besonders anspruchsvoll, intelligent oder aber pflegebedürftig waren. Christa war diesen Aufgaben, die Empathie und Weltgewandtheit erforderten, stets gewachsen. Den Vorschlag, dafür mit einer Berlinale-Kamera ausgezeichnet zu werden, lehnte sie entrüstet ab. Das vergaß man mitunter: Bescheidenheit zählte ebenfalls zu ihren Tugenden.  

Wir bedanken uns herzlich bei Gerhard Midding für diesen Text.