Ein Neustart für „Vision Kino“ ist unumgänglich

Für eine Revision der Film- und Medienbildung für Kinder und Jugendliche

Gemeinsame Erklärung der

AG Kurzfilm – Bundesverband Deutscher Kurzfilm
Bundesverband Kommunale Filmarbeit
FILM MACHT SCHULE
HVC Hauptverband Cinephilie
Produzentenverband
Verband der deutschen Filmkritik

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Berlin, August 2019. Die anstehende Neubesetzung der Geschäftsführung bei „Vision Kino“ bietet die Chance zu einem Neustart und einer Revision der bisherigen Arbeit. Filmbildung und -vermittlung sowie ein Verständnis für Kino als eines attraktiven sozialen Orts des Austauschs müssen als wesentlicher Bestandteil von Filmpolitik begriffen werden, denn die Förderung von Filmkultur bei Heranwachsenden ist wichtiger denn je. „Vision Kino“ sollte künftig von der Ambition getragen sein, die bisher dürftige Wirkung der Filmbildung in Deutschland signifikant zu verbessern.

Wir fordern Gesellschafter und Aufsichtsrat auf, diese Chance zu nutzen und die bisherige Arbeit von „Vision Kino“ kritisch an den ursprünglichen Absichten dieser gemeinnützigen Gesellschaft zu messen, und diese wichtige Einrichtung zur Förderung der Kino- und Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen den aktuellen Entwicklungen im Kino und im Medienverhalten der Zielgruppe anzupassen.

Wir setzen in diesem Zusammenhang ebenso auf Herrn Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier als Schirmherrn von „Vision Kino“ und bitten ihn, seine Fürsorgepflicht auch inhaltlich wahrzunehmen.

Die Chance einer Neuausrichtung von „Vision Kino“ sollten wir gemeinsam angehen. Dabei sehen wir uns als Vertreter der Filmbranche ebenso in der Pflicht, wie die Politik und stellen unsere Expertise bereit, um zusammen wirkliche Visionen zu entwickeln und Kinder und Jugendliche wieder mehr für das Kino zu begeistern.

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Der Neustart für „Vision Kino“ muss unter Berücksichtigung folgender Prinzipien erfolgen:

1. Schule des Sehens. Es muss über Konzepte und Methoden der Filmvermittlung im Kino nachgedacht werden. Diese müssen das Originäre des Kinos, seine Bildsprache und seine handwerklichen Mittel, sowie Filmgeschichte behandeln. Film muss als auch formal vielfältige Kunstform mit unterschiedlichen ästhetischen Ausprägungen betrachtet werden; er darf nicht nur auf ein Vehikel zum Vermitteln von Inhalten reduziert werden oder sich auf reine Medienpädagogik mit aktuellen Filmen zu bestimmten Themen beschränken. Im Mittelpunkt der Filmbildung sollte stets ein Verständnis für Filmsprache und die Vermittlung ästhetischer Formen stehen. Inhalte, Geschichten und Ästhetik hängen zusammen, und sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden.

2. Diversität und Anspruch. Das Filmangebot von „Vision Kino“ muss qualitativ deutlich verbessert und verbreitert werden. Es darf sich nicht länger auf vermeintlich „jugendaffinen“ Mainstream (wie etwa „Spiderman“ oder „Bibi & Tina“) und weitgehend deutsche Produktionen beschränken. Filmgeschichte, zeitgenössische Filmkunst und Filmexperimente müssen eine Rolle spielen, ebenso wie Kurzfilme oder Filme aus Ländern außerhalb Europas und Nordamerikas. Es darf nicht darum gehen, Erwartungen nur zu erfüllen, sondern herauszufordern. Beispiele der meisten anderen europäischen Länder zeigen, dass es viele erfolgversprechende Möglichkeiten gibt, Jugendliche für das Kino und den Autorenfilm zu interessieren, hinter denen Deutschland zur Zeit deutlich zurückbleibt.
Wir fordern mehr Diversität und ein besseres Niveau der angebotenen Filme. „Vision Kino“ wurde zum Weg der Zweitauswertung kommerzieller Filme; das ist eine vertane Chance.

3. Kino findet im Kino statt. Kino ist ein wichtiger, niederschwelliger kultureller Ort. Auch der beste Videoprojektor im Physikraum ersetzt nicht den Besuch im Kinosaal, und die Erfahrung, einen Film auf der Leinwand vorgeführt zu sehen. DVDs und andere Auswertungsformen können die Medienkunde ergänzen, aber nicht das Kino ersetzen. Das Ziel, für den Kulturort und originären Rezeptionsort des Films, das Kino, zu sensibilisieren, den „Vision Kino“ im Namen trägt, kann nur durch regelmäßigen Besuch des Ortes Kino erreicht werden.

4. Kontinuität. Um Kinder und Jugendliche für das Kino als kulturellen Ort und kulturelle Praxis zu begeistern ist weit mehr notwendig, als jährlich stattfindende Schulkinowochen. Hier ist kontinuierliche, nachhaltige Arbeit gefragt – in Zusammenarbeit mit Schulen aber ebenso mit außerschulischen Einrichtungen und Initiativen.

5. Integratives Netzwerk. „Vision Kino“ sollte ein Netzwerk sein und keine Verwaltungsinstitution für einige wenige Veranstaltungen oder lediglich Informationsquelle über neue Filme für Lehrerinnen und Lehrer. Lehrerfortbildung muss hingegen in Zukunft eine wesentlich größere Rolle spielen, denn nur Lehrerinnen und Lehrer, die die Filmsprache verstehen und Filme kennen, können Filme und Filmgeschichte auch vermitteln.
Dazu müsste auch die unübersichtliche, große Anzahl an bereits existierenden Filmbildungsinitiativen unterschiedlicher Akteure mit großer Expertise zusammengetragen, übersichtlich gelistet und verbunden werden. Hier bleiben z.Z. viele mögliche Synergien und Kooperationsmöglichkeiten ungenutzt.

Die Filmkritik sollte bei der schulischen Filmvermittlung einbezogen werden. Eine kritische Haltung fördert den geschärften Blick auf das Medium und führt zur Mündigkeit, Filme einzuordnen, ästhetisch und inhaltlich zu beurteilen sowie Marktmechanismen zu erkennen.

Eine bessere Information und Einbeziehung aller Institutionen der Filmbranche auf der konzeptionellen Ebene ist ebenso geboten und dringend wünschenswert. Ausgrenzung ist der falsche Weg. „Vision Kino“ kann nur als gemeinschaftliches integratives Projekt funktionieren und leisten, was wir alle wollen: die Kinokultur stärken.

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Darüber hinaus erscheinen aus unserer Sicht Schritte notwendig, die über das bisherige Profil von „Vision Kino“ hinausgehen. Hier sind verschiedene Partner gefragt.

Kultusministerkonferenz:

1. Film bzw. Bewegtbild ist gegenwärtig das Leitmedium von Kindern und Jugendlichen. Daher ist die verstärkte Vermittlung von Medienkompetenz dringend erforderlich, die möglichst früh die Kompetenz Heranwachsender zum Thema Film und Medien ausbildet und Lust auf die Beschäftigung mit Kino macht. Selbst die in einigen Lehrplänen vorgesehene Beschäftigung mit Film im Deutschunterricht wird unseres Wissens unzureichend umgesetzt.

2. Filmbildung muss Bestandteil der Lehrerausbildung werden. Nur dann können Lehrerinnen und Lehrer filmbezogenes Wissen vermitteln, filmästhetische Bildung sowie rezeptive und produktive Kompetenzen im Umgang mit Film auch vermitteln.

3. Die Rahmenbedingungen an den Schulen müssen dringend dahingehend geändert werden, dass Lernorte außerhalb der Schule genutzt werden können, etwa Kinos und Filmfestivals.

Andere:

1. Der 16 Jahre alte „Kinokanon“ der BpB muss dringend überarbeitet und erweitert werden. Ein Kinokanon, der unter 35 Filmen keinen Film einer Frau und nur zwei Filme enthält, die nicht aus Europa oder Hollywood stammen, ist mehr als antiquiert. Ebenso gibt es nur einen Kurzfilm, keinen „klassischen“ Dokumentarfilm, keinen Animationsfilm für Erwachsene, keine Experimentalfilme.
Wir fordern mehr Diversität und eine entsprechende Erweiterung des vorhandenen Kanons.

2. Wir regen an, eine unabhängige Langzeitstudie in Auftrag zu geben, die überprüft, welche Lerneffekte durch „Vision Kino“ entstehen, um die Programme regelmäßig entsprechend zu verbessern.

August 2019