LEO HAAS und seinem Adoptivsohn Thomas Haas, dessen leiblichem Vater Bedrich Fritta das Jüdische Museum Berlin gerade eine vielbesuchte Ausstellung widmet.
Ohne Leo Haas, den jüdischen Künstler, der Jahrzehnte als Karikaturist für „Neues Deutschland“ und „Eulenspiegel“ in Berlin gearbeitet hat, würde es Thomas Fritta-Haas und seine große Familie in Mannheim wahrscheinlich nicht geben. Und auch die aktuelle Ausstellung „Bedrich Fritta: Zeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt“ im Jüdischen Museum Berlin gäbe es wohl kaum, wenn Leo Haas als einziger Überlebender der „Theresienstadt-Maler“ die vergrabenen und eingemauerten Kunstwerke nach dem Ende der Nazi-Herrschaft nicht aus ihren Verstecken geholt hätte. Frittas Sohn Thomas, der sich heute Fritta-Haas nennt, wurde 1941 -gerade mal zehn Monate alt- mit seiner Mutter Johanna und seinem Vater Bedrich Fritta von Prag aus in das Ghetto von Theresienstadt deportiert. Bei seiner Befreiung durch die Rote Armee im Mai 1945 war Tomas vier Jahre alt und Vollwaise: Sein Vater wurde in Auschwitz ermordet, seine Mutter starb an Hunger und Fleckfieber im Gestapo-Gefängnis „Kleine Festung“, nördlich von Theresienstadt. 1945 kam Leo Haas ins Lager zurück und adoptierte, so wie er es seinem Künstlerfreund und Kollegen Bedrich Fritta versprochen hatte, dessen kleinen Sohn Tommy und rettete gleichzeitig die versteckten Bilder.
Bedrich Fritta, Leo Haas, Otto Ungar und Felix Bloch gehörten zu jener Häftlings-Gruppe, die im Auftrag der Nazis zur "Verschönerung" des Lagers beitragen sollte. Denn der Garnisionsort Theresienstadt diente der Nazipropaganda als Vorzeige-Lager. Hier sollte die Weltöffentlichkeit, insbesondere das "Internationale Rote Kreuz", über das wahre Schicksal der dort inhaftierten Juden getäuscht werden: Theresienstadt, das ursprünglich 7.000 Bewohner zählte, wurden ab 1941 für mehr als 50.000 Juden zum Ghetto. Im Laufe der Zeit wurde es Sammel- und Durchgangs-Station zu den anderen Vernichtungslagern. Aber auch hier wurden bereits viele Juden durch Hunger und Zwangsarbeit vernichtet.
Bedrich Fritta, der unter dem Namen Fritz Taussig als Redakteur, Werbegraphiker und Karikaturist für das „Prager Tageblatt“ und die Satire-Zeitschrift „Simplicius“ gearbeitet hatte, leitete auf Befehl der SS das Zeichenstudio, in dem inhaftierte Künstler Baupläne und Propaganda-Material herstellen mussten. Nachts aber hielten er und seine Freunde heimlich das wahre Grauen fest, das sich hinter den potemkinschen Fassaden des Konzentrationslagers abspielte: Mit entwendetem Papier und beiseite gebrachtem Mal- und Zeichen-Werkzeug dokumentierten sie Tod, Verderben und Entsetzen: Die Leichenzüge, die Schornsteine des Krematoriums, die grausamen Wachen, die ausgemergelten Gesichter der Gefangenen, die auf engstem Raum zusammengepferchten Menschen, denen jede Individualität und Intimität verwehrt wurde.
Gleichzeitig malte Bedrich Fritta für seinen Sohn Thomas zum dritten Geburtstag ein Bilderbuch, das ihm ein Leben außerhalb des Lager-Elends zeigen sollte: Eine ganze Welt in bunten Farben, eine Kuh, einen Hund, eine Eisenbahn… Auch Berufe, die Thomas später mal ergreifen könnte: "Maler oder Pilot?" -Vielleicht. – "Aber bitte kein Kaufmann und erst recht kein General". Es gibt eine Zukunft, erzählt das Buch. Und Tommy wird sie erleben.
Doch irgendjemand verriet den heimlichen Widerstand der vier Künstlerfreunde.
Mitte Juli 1944 wurden sie wegen „Verbreitung von Gräuelpropaganda“ in die kargen Zellen der „Kleinen Festung“ gesperrt. Getrennt von ihren Frauen und Kindern. Ende Oktober 1944, nach langen, schrecklichen Verhören, wurden sie nach Auschwitz deportiert, wo Bedrich Fritta mit nur 38 Jahren einen qualvollen Tod starb. Leo Haas überlebte noch weitere KZs. So auch Sachsenhausen, wo er gezwungen wurde, bei den „Spezialisten“ des Geldfälscher-Sonderkommandos mitzuarbeiten.
Nach seiner Befreiung löste Haas sein Versprechen ein, das er Fritta gegeben hatte, und nahm den kleinen Tomitschek zu sich, der nach dem Tod seiner leiblichen Mutter in der Zelle N° 38 von Erna Haas liebevoll versorgt worden war. Das Vermächtnis des Vaters, das in Sackleinen gebundene Buch -das das Jüdische Museum in Berlin in einer gesicherten Vitrine ausstellt- händigte Leo Haas seinem Adoptivsohn erst zu dessen Volljährigkeit aus. Denn er war der Meinung, dass Thomas erst als Erwachsener diesen Schatz richtig zu würdigen wüsste: Diese bunten Kinderbilder der väterlicher Liebe und auch die unbestechlichen Zeichnungen des alltäglichen Schreckens im Lager sind heute noch im Besitz von Thomas Haas.
„Ich lebe. Ich habe diese Chance bekommen, aber wo sind meine Eltern?“ Das sagte Thomas 1988, als ich den ersten von drei Filmen über ihn und seine vier Kinder drehte. „Das einzige, was mir geblieben ist, was mir gehört, was man nur für mich gemacht hat, ist das Buch von meinem Vater.“ Thomas Haas ist heute 72 Jahre alt. Er hat die für ihn anstrengende Reise von Mannheim zur Ausstellung nach Berlin auf sich genommen. Auch deshalb, um voller Dankbarkeit das Grab seines Adoptiv-Vaters Leo Haas auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde, in der Reihe der Künstlergräber, mit seinen Söhnen zu besuchen.
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