Interview mit Martin Langer von Angelika Kettelhack für „Film & TV Kameramann“, August-Heft 2014

Angelika Kettelhack:  Der Anlass für unser Interview ist ja der Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ von Giulio Ricciarelli, bei dem Sie der DOP (Director of Photography) waren für dieses packende Drama rund um einen kämpferischen jungen Anwalt, der sich Ende der 50er im Wirtschaftswunderland Deutschland für die Rehabilitierung von vergessenen Nazi-Opfern   einsetzt. Wie sehen Sie Ihre Rolle bei der Erarbeitung einer Geschichte, die mit dem Medium Film erzählt werden soll?

Martin Langer:  Es fängt damit an, dass ich bei einem Angebot das Drehbuch in einem Rutsch lesen muss. Das ist ganz wichtig, denn nur so kann ich mich in die Geschichte vertiefen und ein Gefühl und eine Haltung zu ihr finden. Häppchenweise oder zwischen Tür und Angel geht das nicht. Beim anschließenden Treffen mit dem Regisseur schildere ich, was ich beim Lesen empfunden habe, wie ich die Geschichte interpretiere, was mich berührt hat, welche Schwierigkeiten ich mit einzelnen Szenen habe, etc… Daraus entsteht ein Dialog, der von der Vorbereitungsphase über die Dreharbeiten bis in den Schneideraum andauert. Bei Regisseuren, mit denen ich bist dahin noch nicht zusammengearbeitet habe, entscheidet oft dieses Gespräch, ob es zu einer Zusammenarbeit für das Projekt kommt oder nicht.

Angelika Kettelhack:  Was ist wichtiger: Ein gutes Drehbuch oder die Persönlichkeit der Regisseurin / des Regisseurs?

Martin Langer:  Definitiv ist der Regisseur für mich das wichtigste Kriterium. Ganz einfach: ein guter Regisseur verfilmt kein schlechtes Buch und hat sich meistens schon lange vor unserem ersten Treffen mit dem Stoff befasst, oft sogar am Drehbuch mitgeschrieben. Außerdem arbeitet man über Monate hinweg aufs Engste miteinander zusammen und da sollte man sich schon gegenseitig schätzen und auch Sympathie füreinander empfinden.

Angelika Kettelhack:  Zu Ihrem Repertoire oder besser Ihrer Qualifikation gehören so erfolgreiche Regie-Leute wie Marc Rothemund, Roland Suso Richter, Hermine Huntgeburth, Matti Geschonneck, Detlev Buck, Nico Hoffmann, Philipp Stölzl, Margarethe von Trotta, Caroline Link und viele andere. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?

Martin Langer:  Das sollten Sie die Regisseure fragen. Ich vermute und hoffe, dass sie die Qualität meiner Arbeit schätzen, meine ruhige Arbeitsweise und die Loyalität, die mir wichtig ist. Regisseure, die bisher noch nicht mit mir gearbeitet haben, kommen zunächst sicherlich auf mich zu, weil sie einen Film mit meiner Arbeit als DOP gesehen haben und ihnen etwas daran gefallen hat.

Angelika Kettelhack:  Wenn Ihnen aber eine vorangegangene Zusammenarbeit nicht so zugesagt hätte, wie würden Sie sich bei einem neuen Angebot aus der selben Ecke aus der Affaire ziehen?

Martin Langer:  Das ist mir bisher noch nicht passiert. Und wenn, dann denke ich, sollte dies bereits unmittelbar nach Beendigung der Dreharbeiten geklärt worden sein.

Angelika Kettelhack:  Wie reagieren Sie wenn die Regie Ihnen zu genaue Vorschriften macht, etwa bestimmt, welches Objektiv oder welche Brennweite Sie benutzen sollen?

Martin Langer:  Auch das ist bisher noch nicht vorgekommen. Eigentlich ist jeder Regisseur gespannt darauf, wie ich das, was wir vorher besprochen und aus der Fantasie heraus entwickelt haben, am Set nun tatsächlich umsetze. Wenn Zweifel beim Regisseur aufkommen, ob die von mir eingerichtete Einstellung den Moment der Geschichte optimal und treffend erzählt, dann wird dies diskutiert und nach der besten Lösung gesucht. Dies geschieht in der Regel einvernehmlich (Eitelkeiten sind da fehl am Platze), denn wir wollen ja das Optimale für die Geschichte herausholen.

Angelika Kettelhack:  Wie schlichten Sie in Ihrer Funktion als leitender Kameramann Missverständnisse am Set?

Martin Langer:  Bei Missverständnissen innerhalb des Teams schalte ich mich erst ein, wenn diese zwischen den Parteien nicht aufgeklärt werden können. Am Set ist für mich ein ruhiger und konzentrierter Umgangston wichtig. Falls es tatsächlich mal zu Missverständnissen bzw. Unstimmigkeiten zwischen Regie und Kamera kommt, möchte ich diese nur ungern vor dem gesamten Team lösen, sondern im kleinen Kreis.

Angelika Kettelhack:  Welche Lichtverhältnisse halten Sie für eine besondere Herausforderung? Was z. B. bedeutete das wunderbare Licht für Sie auf der Insel Mallorca beim Dreh von „Da muss Mann durch“? Oder: Bei Abend-Dämmerung noch ein Interview oder ähnliches drehen ohne jedes Licht zu setzen?

Martin Langer:  Die größte Herausforderung wäre sicherlich die Äquatorsonne in der Mittagszeit, kombiniert mit einer langen Einstellung voller CloseUps und vielen Gängen der Schauspieler, ohne die Möglichkeit des Ausdeckens. Das versuche ich natürlich zu vermeiden oder mit Tricks zu umgehen. In der heutigen Produktionslandschaft und ihren finanziellen Zwängen ist die Ansage „Von 10 bis 16 Uhr keine Nahaufnahmen oder CloseUps“ leider nicht mehr möglich. Da muss man halt versuchen sich irgendwie anders zu behelfen. Wenn dies nicht möglich ist, leidet die Qualität, der Kameramann bekommt schlechte Laune am Set und spätestens bei der Premiere die Hauptdarstellerin.

In einer Interview-Situation war ich noch nicht, aber auch im Spielfilmbereich gibt es genügend Situationen, in denen man schnell und spontan reagieren muss. Und so manches Mal sind durch diese spontanen Entscheidungen und das schnelle Drehen ohne langes reflektives Denken, besondere einprägsame Szenen entstanden.

Angelika Kettelhack: Sicherlich arbeiten Sie auch mit Filtern. Aber welcher ist Ihr Lieblingsfilter ? Oder verraten Sie mit der Antwort eines Ihrer persönlichen Geheimnisse?

Martin Langer:  Alle Kameramänner habe im Grunde ähnliche Werkzeuge zur Verfügung, um das Drehbuch visuell umzusetzen (die Big-Budget-Produktionen lasse ich mal außen vor). Es gibt da auch keinen allgemein gültigen Trick bzgl. Filter, denn es kommen laufend neue Varianten auf den Markt. Da muss man einfach immer wieder experimentieren. Ich denke, dass die individuelle, persönliche Sichtweise am wichtigsten ist, um einen besonderen Film entstehen zu lassen. Damit meine ich nicht, dass nun jede Einstellung den künstlerischen Genius des Kameramannes offenbaren muss, denn dann kann man sich schnell von der Geschichte und der emotionalen Nähe zu den Figuren entfernen und so den Film im tieferen Sinne wertlos machen.
Schwierige Situationen meistert man am besten, indem man sich nicht von der großen Hektik um einen herum anstecken lässt, sondern einen kühlen Kopf bewahrt und sich mit seinen engsten Mitarbeitern berät, um aus einer eventuell sehr verfahrenen Situation herauszufinden.

Angelika Kettelhack:  Machen Sie in Ihrem Engagement für die Dreh-Arbeiten einen Unterschied zwischen schwerer und leichter Kost, zu der ich mal Filme wie „Da muss Mann durch“ und dessen Vorgänger „Mann tut was Mann kann“ rechnen möchte?

Martin Langer:  Nein, grundsätzlich nicht, aber eine gewisse Balance brauche ich. Dass ich in den letzten Jahren so unterschiedliche Filme wie “Im Labyrinth des Schweigens“, “Heute bin ich Blond“ , “Groupies bleiben nicht zum Frühstück“ oder “Der Geschmack von Apfelkernen“ drehen konnte, macht mich glücklich und stimmt mich zuversichtlich auf alles was noch kommen mag.

Angelika Kettelhack:  Haben Sie einen Wunsch für ein bestimmtes Thema für Ihren nächsten Film ?

Martin Langer:  Was mir definitiv noch fehlt ist ein Science-Fiction-Film und ein harter Genre-Film wie “Drive“. Und weiterhin träume ich vom europäischen Kino. Filme zu drehen, die in Europa und auf der ganzen Welt gesehen und verstanden werden.

Angelika Kettelhack

Angelika Kettelhack hat mehrere Jahre als Redakteurin in der Filmredaktion des WDR (1.Programm) und als Redakteurin und Synchron-Regisseurin in der „Film- und Theater-Redaktion“ des NDR gearbeitet.

Sie hat mehr als 60 längere Filme (neben vielen kurzen Reportagen) als selbständige Regisseurin verantwortet. Ihr Schwerpunkt liegt in dokumentarischen Arbeiten.

Für Zeitungen & Zeitschriften hat sie 50 Jahre lang Filmkritiken & Interviews geschrieben.
So zum Beispiel für „Filmkritik“, „epd-film“, „Kameramann“, „action“ (in Wien), „Kölner Stadtanzeiger“, „Filmfest Journal“ der Berlinale, „Zitty“, „Süddeutsche“, „Der Abend“, „Tagesspiegel“, „Spandauer Volksblatt“, „Berliner Zeitung",“Neues Deutschland“, „Ossietzky“,
und seit 12 Jahren regelmäßig für „Die Rheinpfalz“.

Von der und über die „Berlinale“ hat Angelika Kettelhack mehrfach für "arte" berichtet. Zehn Jahre lang war sie Sekretär der FIPRESCI-Jury und hat im Alten Weinhaus Hut die Preisverleihung (zeitweise mit Europa Cinemas) veranstaltet.

Sie spricht Englisch, Französisch und Spanisch.