Interview mit Erik Skjoldbjærg zum Film PIONEER

In ihrem Film „Pioneer“ geht es um Leben und Tod einiger Offshore-Taucher. Als man am 24. Oktober 1969 in 500 Meter Tiefe vor der Küste Norwegens auf wirtschaftlich nutzbare Erdöl-Quellen gestoßen war, stellten sich zahlreiche Pioniere für Tiefsee-Experimente zur Verfügung. Was sollten diese Taucher ergründen?

Diese Taucher sollten herausfinden ob man überhaupt bis zu einer derartigen Tiefe tauchen kann, um dann unter Wasser eine Öl-Pipeline zu verlegen. Das war vorher nirgendwo in der Welt erprobt worden. Die Idee kam von den US-Amerikanern und den Norwegern. Denn beide Nationen wussten von den riesigen Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee. Die Frage war nur, wie man diese Vorräte an die Erdoberfläche bringen könnte. Die Initiative wurde dann von der Norwegischen Regierung und den internationalen Öl-Gesellschaften ergriffen.

Welchem Genre würden Sie ihren Film zuordnen, wenn Sie ihn mit einem Schlagwort kennzeichnen sollten?

Es ist ein Triller. Ein Thriller unter Wasser. Seit meinem ersten Film „Insomnia“ wußte ich, dass man mit diesem Genre das größtmögliche Publikum erreicht. Man muss nur ein spezielles Thema, z. B. aus der Forschung, nehmen und es dabei gleichzeitig der breiten Masse zugänglich macht, indem ich die Zuschauer an einen Ort führe, wo sie noch nie gewesen sind.

Was hat Sie zu dieser Geschichte inspiriert?

Damals, in der Zeit, von der der Film handelt, gab es ein großes Interesse den Weltraum aber auch unbekannte Meerestiefen zu erforschen. Ich bin in dieser Zeit in einem Norwegen aufgewachsen, das vor der Öl-Zeit ein relativ armes Land in Europa war. Aber als wir das Öl in den 80/90er Jahren fanden, wurden wir reich. Ich will mit meiner Geschichte erzählen welchen Preis wir für diesen immensen Reichtum zu zahlen hatten.

Meinen Sie der neue Reichtum hat die Gesellschaft verändert?

Ja, alles hat sich enorm verändert. Er war ein Schlüsselmoment der Norwegischen Geschichte. Diese Rohstoffvorkommen sind die größten in Westeuropa und machten Norwegen – neben Saudi-Arabien und Russland – zum drittgrößten Öl-Exporteur der Welt.

Welcher sozialen Schicht in Norwegen gehören ihre Pioniere an?

Sie gehören zur Arbeiterklasse.

Haben diese jungen Männer neben ihrer Abenteuerlust auch ein gesellschaftliches Engagement?

Am meisten hat sie wohl nur das Abenteuer gereizt. Sie waren scharf darauf in unerforschte Gebiete vorzudringen, wo noch nie jemand gewesen war. Das war ihr Hauptinteresse. Sie waren inspiriert von den Astronauten und vom Mythos der Amerikaner in den 70er Jahren.

Haben Sie selbst auch Erfahrung als Taucher?  

Ja, ich habe Tauchversuche gemacht. Aber eigentlich nur bei den Recherchen für den Film.

Der Spannungsbogen in „Pioneer“ wird hauptsächlich dadurch gehalten, dass es für die Taucher nie eine Sicherheit gibt ob sie bei zu schnellem Auftauchen zu viel Stickstoff im Blut haben. Wie intensiv haben Sie sich mit den sogenannten Tauch-Normen von damals vertraut gemacht?

Ich habe darüber mit vielen Ärzten und Tauchern von damals gesprochen. Das Limit bei den Tauchversuchen wurde ja ständig hochgepuscht und die Tauch-Ergebnisse wurden aus Angst vor Spionage auch noch vernichtet. Die Dekompressions-Zeiträume nach den Tauchgängen waren zu kurz. Und Tauchanzüge waren für die kalte Nordsee zu dünn.

Das heißt, es ging um Leben und Tod. Tatsächlich sind ja 17 Taucher bei der Arbeit gestorben.

Ja die Taucher haben ihr Leben riskiert, aber auch ihre Gesundheit. Denn auf die Dauer wurden ihre Nerven geschädigt. Das haben sie aber erst mit der Zeit erfahren. – Während unserer Recherchen lief immer noch ein Prozess beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg zwischen der Regierung und einigen Tauchern, die sich damals neurologische Traumata bei den Tauchtests zugezogen hatten. Die Kläger bekamen erst im Dezember 2013 Recht. Immer noch wird dieses Thema in Norwegen sehr kontrovers diskutiert. Viele Leute wollen nicht mehr so gern mit dieser Pionierzeit des Öls in Verbindung gebracht werden.    

Weitere Elemente für ein Gefühl der Spannung und der Bedrohung in ihrem Film liefert der Kampf zwischen den US-Amerikanern als „Entdecker“ und den Norwegern als den eigentlichen Eigentümern der Erdölquellen. Welche Position nehmen Sie in diesem Kampf ein?

Ich sehe das Ganze aus Norwegischer Perspektive, denn wir als Volk haben ein eigenartiges Selbstbild von uns: Wir nehmen uns wahr, als eine saubere und fehlerfreie Nation, die sich sozusagen als ethisch positiv begreift. Wir waren zwar sehr erfolgreich darin, eine reiche Nation aufzubauen aber wir wurden genau dadurch auch korrupt. Die Leute glauben immer, dass man generös wird durch Reichtum. Aber ich denke, es passiert genau das Gegenteil.

Ihr Film erklärt sehr genau den Unterschied zwischen „explore“ (erforschen) und „exploit“ (ausbeuten). Für mich ist er ein gutes Beispiel dafür, dass die Amerikaner immer meinen, überall auf der Welt Heldentaten zu vollbringen wenn sie sich einmischen.

Ja, das ist wahr. Sie sind überall auf der Welt. Wo immer wertvolle Rohstoffquellen entdeckt werden sind die Amerikaner ganz schnell vor Ort. Aber auch schon in den 70ern waren sie sehr dominant. Sie bestanden immer darauf, dass sie am meisten vom Deal und von allen Herausforderungen verstehen würden. Sie traten immer schon als eine sehr selbstbewusste Nation auf.

Jetzt wechseln wir zu den Hauptpersonen in ihrem Film. Neben der weltberühmten norwegischen Filmschauspielerin Liv Ullmann sind männliche Darsteller aus ihrem Land eher weniger bekannt. Woran kann das liegen?

Norwegen, mit seinen vier Millionen Einwohner ist halt ein kleines Land. Da werden nicht so viele weltberühmte Filme hergestellt. Und wir haben keinen Lars von Trier. In denke man braucht viele Regisseure, die Filme machen, die rund um die Welt gehen damit dann auch deren Schauspieler bekannt werden. Dass Liv Ullmann so berühmt ist, lag zunächst auch an den Filmen, die sie mit den schwedischen Regisseuren Ingmar Bergmann und Jan Troell drehte.

Sie erzählen das Abenteuer aus der subjektiven Sicht des Tauchers “Petter“, gespielt von Aksel Hennie, der jetzt auf die 40 zugeht. Man kennt ihn aus Action- und Fantasy-Filmen. Oder aus „Headhunters“ und zuletzt besonders aus dem Monumentalfilm „Hercules“, der dieses Jahr seine Europapremiere in Berlin feierte. Warum haben Sie ihn als Hauptdarsteller gewählt?

Weil Aksel ein so vielseitiger und zugleich anpassungsfähiger Charakterschauspieler ist. Er hat den selben Forschergeist und dieselbe Energie wie diese jungen Taucher. Er hat so viele Ebenen. Er ist ungeheuer wandlungsfähig. Das wird sichtbar wenn man nur mal seine Rollen als Herkules und als Petter vergleicht. Er hat einfach eine sehr starke Bühnenpräsenz.

Bei Ihnen wirkt er zwar auch so muskulös wie in „Hercules“, aber so klein und schmächtig im Vergleich zu Wes Bently, der in „Pioneer“ als Offshore-Taucher für die Amerikaner arbeitet. Haben Sie die beiden mit Absicht so unterschiedlich stilisiert?

Ja, weil einige der amerikanischen Taucher, die hierher kamen, so wie Machos agierten und sich für die besseren Taucher hielten. Am Anfang blickten die Norweger zu den draufgängerischen Amerikanern auf weil diese so stark wirkten und weil die Norweger selbst kein so starkes Selbstbewusstsein hatten. Die Mentalität der Norweger erlaubte es nicht, dass sie sich selbst für das Maß aller Dinge hielten. Vielleicht ist das sogar prototypisch für unsere nationale Identität.

Hatten Sie irgendwann Bedenken, dass ihre Story -in der die Norweger über die Amerikaner siegen- dem Erfolg ihres Films auf dem internationalen Filmmarkt schaden könnte?

Nein. Als der Film in Amerika herauskam, wurden gleich, wie schon bei „Insomnia“, die Options-Rechte für ein US-Remake verhandelt. Zur Zeit bemüht sich George Clooney darum.

An was arbeiten Sie zur Zeit?

Ich arbeite gerade als Regisseur an einer 10-teiligen politischen Thriller-Serie mit, die das Fernsehen 2015 ausstrahlen wird. Der Titel ist „Occupied“ und fußt auf einem Kriminal-Roman von Jo Nesbø, in dem es darum geht, dass die Russen mit Glacéhandschuhen eine Invasion in Norwegen vorbereiten, um den Öl-Import für die ganze Welt absichern.

Angelika Kettelhack

Angelika Kettelhack hat mehrere Jahre als Redakteurin in der Filmredaktion des WDR (1.Programm) und als Redakteurin und Synchron-Regisseurin in der „Film- und Theater-Redaktion“ des NDR gearbeitet.

Sie hat mehr als 60 längere Filme (neben vielen kurzen Reportagen) als selbständige Regisseurin verantwortet. Ihr Schwerpunkt liegt in dokumentarischen Arbeiten.

Für Zeitungen & Zeitschriften hat sie 50 Jahre lang Filmkritiken & Interviews geschrieben.
So zum Beispiel für „Filmkritik“, „epd-film“, „Kameramann“, „action“ (in Wien), „Kölner Stadtanzeiger“, „Filmfest Journal“ der Berlinale, „Zitty“, „Süddeutsche“, „Der Abend“, „Tagesspiegel“, „Spandauer Volksblatt“, „Berliner Zeitung",“Neues Deutschland“, „Ossietzky“,
und seit 12 Jahren regelmäßig für „Die Rheinpfalz“.

Von der und über die „Berlinale“ hat Angelika Kettelhack mehrfach für "arte" berichtet. Zehn Jahre lang war sie Sekretär der FIPRESCI-Jury und hat im Alten Weinhaus Hut die Preisverleihung (zeitweise mit Europa Cinemas) veranstaltet.

Sie spricht Englisch, Französisch und Spanisch.