Interview mit Burhan Qurbani zu seinem Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“

Burhan Qurbani wurde als Sohn politischer Flüchtlinge aus Afghanistan 1980 in Erkelenz geboren, lebt abwechselnd in Berlin, Stuttgart und Helsinki, spricht Deutsch, Persisch und Englisch, studierte Szenische Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg und war Sänger in einer englischsprachigen Rockband. In seinem zweiten Spielfilm erinnert er an die bürgerkriegsähnlichen ausländerfeindlichen Angriffe durch leere, gelangweilte und arbeitslose Jugendliche, die 1992 in Rostock-Lichtenhagen – unterstützt von tausenden Schaulustigen und vor allen Dingen von rechtsradikalen Aufwieglern – Steine und Brandsätze auf ein Asylantenheim und ein benachbartes von Vietnamesen bewohntes Hochhaus warfen. Sein Film berichtet auch von der Unfähigkeit der Lokal-Politiker, die Gewaltbereitschaft der Massen richtig einzuschätzen und von der Hilflosigkeit von Hundertschaften orientierungsloser Polizisten. Qurbani nennt die Zeit der vermehrten radikalen Angriffe auf Ausländer Anfang der 90er Jahre „Die Zeit der Monster“. Er schafft es, die um sich greifende Desillusionierung und Frustration in der Nachwende-DDR mit Hilfe einer ganzen Riege von großartigen jungen Schauspielern sehr differenziert und ohne jede Schuldzuweisung an eine bestimmte Gruppe darzustellen.

Das Thema Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit ist gerade wieder sehr aktuell geworden. Was war für Sie der Anlass, den Überfall auf das „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen nach über 20 Jahren wieder aufzugreifen?

1992 war ich noch sehr jung, aber dieses Ereignis hat sich bei mir sehr stark eingebrannt. Ich war gerade in dem Alter, in dem man sich selbst zum ersten Mal wahrnimmt als Mensch innerhalb der Gesellschaft. Und wenn man über vier Tage hinweg im Fernsehen Leute sieht, die aussehen wie Freunde oder wie Nachbarn, die man beim Bäcker trifft, und dann miterlebt wie diese Leute Menschen angreifen, die aussehen wie ich mit schwarzen Haaren und Schlitzaugen, dann ist das schon sehr verstörend. Ich glaube, dass ich damals als Jugendlicher das erste Mal wahrgenommen habe: Hier bist Du fremd. Du gehörst nicht wirklich dazu. Das hatte für mich bis dahin gar keine Rolle gespielt. Aber deshalb hat mich dieses Thema irgendwie nie wieder richtig losgelassen. Klar, ich war damals ein bisschen links wie man links ist wenn man 16 ist. Ich habe Punk gehört und eben auch immer wieder bestimmte Musik, die das Thema aufgriff. Aber erst vor ein paar Jahren habe ich dann im Internet recherchiert, um vielleicht einen Dokumentarfilm über Rostock-Lichtenhagen zu finden. Es gab keinen bis auf eine einzige Doku, die damals in einem Jugendhaus in Rostock gemacht worden war. Mit viel Herz aber ein bisschen sehr dilettantisch.

Sie meinen damit, dass Sie über dieses schreckliche Ereignis tatsächlich nichts im Fernsehen wiedergefunden haben?

Doch es gab Ausschnitte in verschiedenen Journalen und es gab so ein bisschen Presse, damals also hauptsächlich noch Print. Aber es gab keinen Spielfilm und keinen größeren, längeren und fundierten Bericht außer einem mit dem Titel „Politische Brandstiftung“ von Jochen Schmidt, der damals mit dem ZDF-Team als Volontär in dem „Sonnenblumenhaus“ gefangen war. Und ich bin ich dann 2010 nach meinem Abschlussfilm „Shahada“ zu meinem Redakteur Burkhard Althoff vom Kleinen Fernsehspiel beim ZDF gegangen und habe gemeint: Ich glaube, wir müssen darüber einen Film machen sonst vergisst man das.  Das war noch bevor wir wussten, dass es eine NSU gibt, bevor wir überhaupt ahnen konnten, dass mit den Pegida-Aufmärschen oder Parteien wie der AfD alles wieder so aktuell werden würde. Uns interessierte 2010 zunächst nur: Damals ist etwas passiert, das man als eine der größten zivilen Katastrophen der jüngeren deutschen Geschichte beschreiben kann. – Und wir vergessen das.

Der Hauptgrund dieses Thema noch vor dem neuen Aufschwung der jetzigen Ausländerfeindlichkeit aufzugreifen liegt also darin, dass Sie damals plötzlich entdeckt hatten ein Fremder in Deutschland zu sein?

Ja ich hielt das für absolut notwendig. Das wurde mir dann auch dadurch bestätigt, dass viele meiner Schauspieler, die fast alle Anfang der 90er Jahre geboren wurden und dann beim Dreharbeiten so um die 20 waren, nichts von Rostock wussten. Sie kamen zu uns ins Casting und fragten: „Was ist denn da eigentlich passiert?“ Und so geht es vielen Leuten – auch in meiner Generation. Wir wollten einfach gegen das Vergessen andrehen.

Sehen Sie sich als politischen Regisseur?

Meine Filme sind politisch. Ich bin ein großer Fan von Demokratie. Ich bin sozusagen ein Demokratie-Groupie, aber ich bin kein Aktivist. Und ich machte diesen Film auch nicht um Lösungsvorschläge zu bieten, sondern um Fragen zu stellen. Aber ich glaube, ich bin ein Regisseur, der politische Filme dreht in einer Zeit, in der mehr und mehr politische Filme gemacht werden in Deutschland. Gott sei Dank.

Ihr Abschlussfilm an der Filmakademie mit dem Titel „Shahada“ wurde 2010 ja gleich im Wettbewerbs-Programm der Berlinale gezeigt. Hat Ihnen diese Einladung eigentlich Vorteile gebracht?

Das hat uns in jedem Fall eine Menge Aufmerksamkeit gebracht. Und das hat Gutes und Schlechtes. Als wir mit dem neuen Stoff angetreten sind, da wussten die Leute sofort wer wir waren.

Wer sind die Leute und wer ist wir? Meinen Sie damit Ihren Drehbuchautor Martin Behnke?

Ja, mein Ko-Autor Martin Behnke und auch die Produzenten Leif Alexis und Jochen Laube von UFA Fiction. Denn wenn wir dann zu viert irgendwo anmarschiert sind, dann kannte man uns. Das war auf jeden Fall ein Vorteil. Und natürlich, war die Erfahrung an sich  großartig und dramatisch. Das kann ich in ein und dem selben Atemzug so sagen. Also das war eine ganz, ganz tolle Sache. Aber gleichzeitig wurden wir auf eine Art und Weise ins öffentliche Licht gezerrt, auf die wir nicht vorbereitet waren.

Was schätzen Sie an der Ko-Operation mit ihrem Drehbuchautor Martin Behnke?

Wir haben beide sehr unterschiedliche Gemüter. Martin hat etwas sehr Geerdetes. Er ist, ich weiß nicht ob ich das so sagen kann, aber er ist sehr deutsch. Er ist sehr ruhig und er hat ein unglaubliches Talent für Dialog-Rhythmus und Dialog-Witz. Ich bin dagegen ein bisschen temperamentvoller und ungeduldiger in meiner Art. Aber wir gleichen uns ganz gut aus. Er aber bringt noch den Vorteil mit, dass er in der DDR aufgewachsen ist und genau in dem Alter war wie die Jugendlichen im Film zu der Zeit als die Wende kam, so dass er nochmal einen ganz anderen Zugang hat zu der Geschichte von damals hatte.

„So wuchtig darf deutsches Kino öfters sein“ hieß es in der TV-Sendung „Kino Kino“ vom Bayrischen Rundfunk über ihren Film. Was halten Sie persönlich denn vom deutschen Kino?

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich gucke nicht viel deutsches Kino, und es muss wohl seine Gründe haben.

Noch ein Zitat zu ihrer Arbeit vom ZDF Heute Journal: „Ein Film, den man sehen und hören sollte“.  Damit ist wohl nicht nur das Geschrei der radikalisierten Jugendlichen und der Beifall der tosenden Menge gemeint, sondern auch diese hinreißende klassische wie auch die mitreißende eher punkige Filmmusik.

Ja, das sind einmal die ruhigeren Passagen von dem Cellisten Tim Ströble von „quattrocelli“ und dann die Crossover Kompositionen von Matthias Sayer, früher Metal, heute Klassik, der sich vom Farmer Boys-Frontmann zum Filmkomponisten entwickelt hat.

Im Gegensatz zu der vorantreibenden Musik steht der lethargische Lokal-Politiker – von Devid Striesow so eindrucksvoll gespielt – dass man ihm am liebsten in den Hintern treten möchte, damit er endlich die von Tag zu Tag sich zuspitzende Fremdenfeindlichkeit stoppt.

Dieser Lokal-Politiker war damals zu unerfahren und genauso hilflos wie die Polizei, die sich unbegreiflicherweise immer wieder zurückzog.

Wie haben sich die heutigen Bewohner des Sonnenblumenhauses bei ihren Dreharbeiten verhalten?

Wir haben dort gar nicht drehen können. Das Haus ist bewohnt und die Wiese davor, wo damals die Krawalle stattgefunden haben, ist inzwischen bebaut. Das heißt, es war uns technisch nie möglich dort zu drehen. Und wir haben dann in Halle ein leerstehendes Abriss-Wohnhaus gefunden, wo wir über sechs Wochen hin laut sein konnten, wo wir Feuer machen durften, usw. Es gab vor dem Abrisshaus in Halle auch eine Wiese, auf der wir eine lange Plansequenz mit 500 Komparsen drehen konnten. Mit denen haben wir über zwei Tage lang geprobt und wir hatten dann, weil wir unbedingt bei Sonnenuntergang drehen wollten, ein Zeitfenster von genau einer Stunde. Das Haus des Lokal-Politikers haben wir in Berlin und den Strand wirklich in Rostock aufgenommen.

Es hat ja zum Glück keine Toten gegeben, was bei diesen hasserfüllten Angriffen kaum zu glauben ist. Hat das bei der Themenwahl auch Einfluss auf ihre Arbeit gehabt?

Ich glaube, das ist auch genau einer der Gründe warum es so lange gedauert hat bis dieser Film gemacht werden konnte, weil es so schwer ist diese Geschichte zu erzählen, Aber für mich ist der Horror nicht, dass jemand hätte sterben können, sondern der Horror ist, dass tausende von Bürgern aus der Mitte der Bevölkerung sich dort versammelt haben, um Jagd auf Menschen zu machen. Und das finde ich fast genauso schlimm wie einen tatsächlichen Mord. Wenn man von Solingen oder Mölln redet, wo wirklich Menschen gestorben sind, dann waren dort noch mehr rechts orientierte oder ideologische Neonazis. Aber dass es in Rostock die breite Masse war, das ist so erschreckend. Und hoffentlich wird uns das in der kommenden Zeit nicht wieder einholen wenn Pegida noch weiter anwachsen sollte.

Angelika Kettelhack

Angelika Kettelhack hat mehrere Jahre als Redakteurin in der Filmredaktion des WDR (1.Programm) und als Redakteurin und Synchron-Regisseurin in der „Film- und Theater-Redaktion“ des NDR gearbeitet.

Sie hat mehr als 60 längere Filme (neben vielen kurzen Reportagen) als selbständige Regisseurin verantwortet. Ihr Schwerpunkt liegt in dokumentarischen Arbeiten.

Für Zeitungen & Zeitschriften hat sie 50 Jahre lang Filmkritiken & Interviews geschrieben.
So zum Beispiel für „Filmkritik“, „epd-film“, „Kameramann“, „action“ (in Wien), „Kölner Stadtanzeiger“, „Filmfest Journal“ der Berlinale, „Zitty“, „Süddeutsche“, „Der Abend“, „Tagesspiegel“, „Spandauer Volksblatt“, „Berliner Zeitung",“Neues Deutschland“, „Ossietzky“,
und seit 12 Jahren regelmäßig für „Die Rheinpfalz“.

Von der und über die „Berlinale“ hat Angelika Kettelhack mehrfach für "arte" berichtet. Zehn Jahre lang war sie Sekretär der FIPRESCI-Jury und hat im Alten Weinhaus Hut die Preisverleihung (zeitweise mit Europa Cinemas) veranstaltet.

Sie spricht Englisch, Französisch und Spanisch.