Heiliges Licht
Reines Licht als Signum der Transzendenz im Film
Izzi (Rachel Weisz) in „The Fountain“ (2006) weiß bereits, dass sie dem Tode geweiht ist, während ihr Ehemann Tommy (Hugh Jackman) noch verzweifelt an einem Heilmittel arbeitet. Izzi gleitet allmählich ins süße Jenseits hinüber mit der Erkenntnis, dass der Kampf gegen den Tod aussichtslos ist – also schreibt sie eine Ode an das Leben, die Tommy erst viel zu spät verstehen wird. Eine Korona von Licht und Weiß wird sie oft umgeben, wenn sie im Museum einen Zusammenbruch erleidet, wenn sie einen letzten Spaziergang im Schnee wagt, dessen Kälte sie nicht mehr spüren kann, oder wenn sie als Inkarnation einer spanischen Königin den Konquistador Tomas (ebenfalls Jackman) auf die Suche nach dem Baum des Lebens schickt. Licht überflutet die Leinwand und blendet die Sicht. Nur noch Fragmente zeichnen sich gegen die dominierende weiße Fläche ab, die wir ohnehin nur betrachten können, da es sich um eine Reflexion handelt, nicht um die Lichtquelle selbst. In solche Momenten, ‚lichtet’ sich auf dem Leinwand das Nichtabbildbare, das Unbenennbare, letztlich: das Transzendentale. Werden die Grenzen menschlichen Empfindens und menschlicher Wahrnehmung erreicht, sind auch die Gesetze filmischer Bildkomposition außer Kraft gesetzt. Reines weißes Licht tritt an die Stelle der Formen und Elemente, um eine Ahnung des Höheren, der absolut Heiligen zu vermitteln. Das Nichtdarstellbare als Vision der Transzendenz funktioniert nur noch als Projektionsmoment für die individuelle Assoziationskraft der Betrachters. Reines weißes Licht fungiert als Signum der Transzendenz im Film. Izzi wird in „The Fountain“ von Darren Aronofsky (jetzt bei Kinowelt/Arthaus als Special Edition DVD) zu einer lichtumfluteten Heiligen, die das Geheimnis des Lebens bereits birgt, als Tomas/Tommy noch um den Quell des Lebens kämpft…
Transzendentaler Stil
Im Jahre 1972 veröffentlichte der damalige Filmkritiker und spätere Regisseur Paul Schrader eines der bis heute schönsten Filmbücher: „Transcendental Style in Film“ (erhältlich im englischen Original). Am Beispiel des Oeuvres dreier Regisseure – Yasujiro Ozu, Robert Bresson und Carl Theodor Dreyer – untersucht er deren inszenatorische Versuche, das Heilige filmisch auszudrücken. Die auftauchenden stilistischen Gemeinsamkeiten bezeichnet er als transcendental style, wobei er all die verwendeten Begriffe einer eingehenden Definition unterzieht, die auch in der Betrachtung von Filmen Ingmar Bergmans, Nicolas Roegs, Martin Scorseses, Abel Ferraras, Michael Manns, Terence Malicks oder auch Paul Schraders selbst eine Rolle spielen: „Das Transzendente liegt jenseits der normalen Sinneswahrnehmung, und was es transzendiert, ist das Immanente. […] Das kann direkt oder indirekt bedeuten: (1) das Transzendente, Heilige oder Ideale selbst […], (2) transzendentale menschliche Handlungsweisen oder Artefakte, die dem Transzendenten Ausdruck verleihen […], (3) Transzendenz, die menschliche religiöse Erfahrung, die entweder motiviert ist durch ein tiefes psychologisches Bedürfnis oder eine Neurose (Freud), oder aber durch eine äußere, ‚andersartige’ Macht (Jung). […] Transzendenz in der Kunst ist oft gleichgestellt mit Transzendenz in der Religion, da beides aus der Basis transzendentaler Erfahrung schöpft“ (S.5-7, Übersetzung M.S.). Welche Konsequenz hat das für das Medium Film, das per se ein Medium des Lichts ist? Schrader sucht diese ‚Lichtung’ der Transzendenz im filmischen Stil: „Stil kann den individuellen Ausdruck bezeichnen, den Raymond Durgnat beschreibt als ‚Erschaffung eine persönlichen, subjektiven, ‚nicht-objektiven’ Welt’ oder er kann mit Heinrich Wölfflin eine ‚grundsätzlich repräsentative Form’ bezeichnen“ (S.8). Schrader interessiert sich für Wölfflins Definition und sucht nach solchen ‚grundsätzlich repräsentativen Formen’ im filmischen Ausdruck der besagten drei Regisseure wobei er den Ausdruck ähnlicher Ideen mittels ähnlicher Formen in völligverschiedenen Kulturen entdeckt.
So definiert er den transzendentalen Stil als eine „grundsätzlich repräsentative Form, die das Transzendente ausdrückt“, eine universale Form der Repräsentation des Unbenennbaren, des Heiligen die er in den Kinematographien unterschiedlicher Filmkulturen (Europa, Japan, aber auch den USA) entdeckt. Schraders These nimmt also eine kulturübergreifende Gemeinsamkeit an, die in der filmischen Inszenierung des Heiligen zutage tritt.
Die Filme von Ozu, Bresson und Dreyer stehen in ihren stillen, konzentrierten Bildarrangements in deutlichem Gegensatz zu Hollywoods expressivem Ansatz, ein christlich-religiöses Propagandakino zu inszenieren, etwa in Cecil B. DeMilles „Die zehn Gebote“ (1956). Schrader unterscheidet hier unterschiedliche Herangehensweisen, wobei der überbordende religiöse Film leicht in die Nähe des Kitsches gerät, der extrem minimalistische Film leicht ins Apathische abgleiten kann. Den transzendentalen Stil, wie er auch bei Ozu, Bresson und Dreyer auftritt, verortet Schrader zwischen diesen Polen, denn in einem Film mit spirituellem Gehalt sei es nötig, das alltäglich und das außeralltäglich in eine Beziehung zu setzen – das Profane, Alltäglich und das Heilige durchdringen sich ebenso wie beide Phänomene auseinander hervorgehen. Da sich das Heilige einer konkreten Darstellung entzieht, kann es nur als eine Differenz auftreten zwischen nachvollziehbarer Alltagssituation und jener leichten Differenz, in der sich die Hierophanie offenbart. In diesem Kontext machen Bressons und Ozus aufs Äußerste reduzierte Inszenierungen Sinn. Und so erklärt sich auch die unfreiwillige Komik, die in der ‚Übererfüllung‘ der Inszenierung des Heiligen liegt. Man vergleiche unter diesem Aspekt etwa Martin Scorseses fast schon existenzialistisch-karge Interpretation der Jesus-Geschichte in „Die letzte Versuchung Christi“ (1988, nach Schraders Drehbuch) mit dem naiven „Die zehn Gebote“. Das Heilige mag dem Alltag inhärent sein, seine wahres Gesicht aber entzieht sich der Wahrnehmung, es verlangt nach der totalen Auflösung der Form – in reinem weißem Licht.
Paul Schrader selbst hat als Regisseur immer wieder versucht, filmische Zugänge zu einer Erlösungsgeschichte zu finden: Sei es in „Ein Mann für gewisse Stunden“ (1980), wo er die Räume auf ihre Flächigkeit reduziert, die Farben abdämpft und die Zeit vor allem in der letzten Sequenz konsequent dehnt, oder in „Light Sleeper“ (1988), der von der selbst herbeigeführten Sühne eines Drogendealers (Willem Dafoe) erzählt und am Ende zunehmend das symmetrische Bildarrangement von russischen Heiligenikonen nachstellt. Im Moment der Hierophanie, dem Gewahrwerden des Heiligen, scheint die Welt zu erstarren, die Figuren, die bei Schrader wie bei Bresson oft erstaunlich künstlich und distanziert wirken, erscheinen völlig isoliert in ihrer Welt: In „Katzenmenschen“ (1981) hat die junge Protagonistin (Nastassia Kinski) im Flugzeug eine vorzeitliche Offenbarung – eine subtile Überblendung ihres Gesichtes versetzt sie zurück an den Flughafen von New Orleans. In einer Totalen geht sie vor einer riesigen Glaswand vorbei und lässt die Statistenmenge hinter sich. Ein Wind kommt auf. Im Gegenlicht bewegt sie sich mit abwesendem Blick langsam auf die untersichtig platzierte Kamera zu. Ein Umschnitt in die Subjektive zeigt einen geländergesäumten, bläulich beleuchteten Steg, eine Brücke oder Passage, die auf eine orange ‚glühende’ Pforte hin führt. Die Grenzen zwischen profanem Alltag und mythischer Offenbarung verschwimmen, auch wenn sich diese Sequenz noch als Traumdarstellung zu erkennen gibt. In seinen späteren Werken wird Schrader solche Kunstgriffe nicht mehr bemühen. Doch die Geste des transzendentalen Minimalismus ist auch hier präsent.
Das Blau des Himmels
Es war ausgerechnet ein schwarzweiß inszenierter Film, der das bläulich schimmernde Licht zumindest im Titel mit einer Ahnung des Heiligen koppelte („Das blaue Licht“, 1932, von Leni Riefenstahl), und es sollte erstaunlich lange dauern, bis der Farbfilm gerade dieses Gestaltungsmittel mit dem Signum der Transzendenz verband. Das kann überdeutlich erfolgen, wenn etwa Mel Gibson seinen Jesus (Jim Caviezel) in „Die Passion Christi“ (2002) im Garten Getsemane in kaltem, blauem Licht badet. Oder es kann ein ganzes Oeuvre durchdringen, wie in den Gangsterfilmen und Melodramen von Abel Ferrara und Michael Mann, die ganz in blaues Licht getauchte Szenarien einsetzen, um die Gegenwart des Todes oder des Spirituellen zu kennzeichnen. In Manns „Manhunter / Roter Drache“ (1985) wird eine eheliche Liebesszene in reines Blau getaucht, um die symbiotische Paarexistenz als Gegenwelt zu den deformierten Psychen der Serialkiller zu entwerfen, in die der Profiler hier sonst eintaucht. Aber auch für den Killer birgt das blaue Licht eine Ahnung des Heiligen: „Haben Sie schon einmal Blut im Mondlicht gesehen?“ sagt Hannibal Lecter hier, „es ist fast schwarz. Und sie sollten in diesem Moment besser alleine sein…“ Während bei Michael Mann diese Spur nicht konsequent verfolgt wird, erwies sich ausgerechnet enfant terrible Abel Ferrara als wahrhaft spiritueller Künstler, der mit „Mary“ (2006) seine eigene Variante einer „letzten Versuchung Christi“ inszenierte: ein Selbstfindungsdrama über Suchende und ihre eigene Ahnung des Heiligen, die in langen, kontemplativen, extrem entschlackten Bildern kulminiert…
Das Licht des Himmels ist es vor allem in den letzten beiden Filmen von Terence Malick, das von der Allgegenwart des Heiligen kündet: Orte der Transzendenz sind in „Der schmale Grat“ (1998) und „The New World“ (2005) der von Menschenhand geschändete und infiltrierte Urwald einer Pazifik-Insel und der amerikanischen Westküste. In „Der schmale Grat“ sind es die zerschossenen Blätter, die den Blick zum Himmel verdecken und dennoch zeigen, dass ihnen die banale Geschäftigkeit des Menschen nichts anhaben kann. So philosophieren Malicks Soldaten in diesem Film über die wahre Natur des Bösen und die Ewigkeit der sie umgebenden Welt. Mag das Paradies am Ende auch verloren scheinen, zu Beginn zeigt Malick es noch intakt: Vom Meeresboden aus schweben die Körper der amerikanischen Deserteure im blauen Nichts des Himmels, der alles überstrahlt. „The New World“, Malicks Idee der Pocahontas-Geschichte, zeigt ebenfalls den Verlust des Paradieses, doch diesmal noch fragmentarischer, noch kontemplativer. Immer wieder schweift der Blick der Kamera ab, spart die Menschen aus und verliert sich in den Baumkronen, durch die das blendende Licht des Himmels blitzt, eine Ahnung jenes Ewigen und Unnennbaren vermittelnd, dem sich seine Protagonisten in Krisensituationen stets gegenüber sehen. Es ist ein suchender und ahnender Blick, und doch der Blick eines Menschen, der die eigene Bedeutungslosigkeit begreift für Momente. Und dabei ist der Blick auf diese Ahnenden bei Malick wie auch bei Aronofsky in „The Fountain“ vor allem eines: voller Liebe. Marcus Stiglegger