„Frau Müller muss weg“ — Ein unterhaltsam angerichtetes Chaos von Sönke Wortmann

Sönke Wortmann, 55, wurde als Sohn eines Bergmannes in Marl, der Stadt der Grimme-Preise, geboren. Nach dem Abi wollte er zunächst Profi-Fußballer werden, studierte aber dann doch Soziologie in Münster und Film-Wissenschaften an der Filmhochschule in München und am Royal College of Art in London. Heute lebt er mit seiner Frau, der Schauspielerin Cecilia Kunz und drei Kindern in Düsseldorf. Neben Werbe-Spots zu Dutzenden von Top-Marken (Nike, Nivea, Sony, Honda, Vodafone, Air Berlin, diversen Bieren und Banken, usw.) hat er bisher an die 20 Spielfilme gedreht von denen die meisten überraschend hohe Zuschauerzahlen erzielten: 1994 „Der Bewegte Mann“ 6,6 Millionen Kinobesucher, 2003 „Das Wunder von Bern“ 3,6 Millionen, 2006 „Deutschland ein Sommermärchen“ 4 Millionen, 2009 „Die Päpstin“ 2,5 Millionen. Jetzt kommt sein Film „Frau Müller muss weg“ in die Kinos und verspricht ein ebenso großer Erfolg zu werden wie das gleichnamige Theaterstück von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, das Wortmann schon 2010 für das Berliner Grips-Theater inszenierte. Die Handlung spielt in Dresden, gedreht wurde in Köln, u.a. auch mit Wortmanns Produktionsfirma „Little Shark Entertainment“.

Sönke Wortmann wie gelingt es Ihnen ihre Geschichten so kurz und präzise, in meist weniger als 90 Minuten, zu erzählen während viele ihrer Kollegen heutzutage dazu oft zwei Stunden benötigen?

Wie mache ich das? Generell bin ich der Meinung, ein Film soll nur das erzählen, was unbedingt notwendig ist. Und alles was nicht notwendig ist, schneide ich auch wieder weg oder drehe es erst gar nicht. Daher gibt es bei mir tatsächlich so manche Filme, die mit 85 Minuten auskommen. Doch auch ich habe schon über 140 Minuten gebraucht. Das muss ich auch gestehen. Denn wenn so ein ganzes Leben einer Päpstin erzählt wird, dauert das einfach länger. Aber generell bin ich schon der Meinung: „So kurz wies geht.“ Und das geht sogar bei Kurzfilmen, die ich ja auch gedreht habe. Wenn man einen 10-Minuten-Kurzfilm machen soll, kann man den auch in acht Minuten erzählen.

Aber fällt es nicht auch Ihnen manchmal schwer sich von einer bestimmten Szene zu trennen?

Ja, aber manchmal sieht man auch, dass diese oder jene Szene nicht so wichtig ist. Und man merkt, wenn sie dann weg wäre, läuft das alles irgendwie schneller und kompakter und die Leute verstehen, was danach kommt viel besser, kommen also einfach besser zurecht mit dem Film.

Sie erreichen ja auch trotz ihrer oft einfachen Titel außergewöhnlich viele Zuschauer für deutsche Verhältnisse: Auch „Frau Müller muss weg“ klingt ja zunächst ziemlich harmlos und verrät nicht worum es eigentlich geht.

Aber wenn es dann heißt: „Eine Komödie über einen Elternabend“ – das ist ja sozusagen auch mein Untertitel – dann sagt jeder: „Pah, das wurde aber auch mal Zeit. Da könnte ich auch was erzählen!“ So geht mir das immer wenn die Leute mich fragen. „Woran arbeitest Du gerade?“ Wenn dann das Wort Elternabend fällt, ist das wie ein Schlüsselwort: Da brechen sofort alle Dämme. Denn bei diesem Thema ist der Leidensdruck sehr gross.

Besonders in der Altersstufe, bei der es um den Wechsel zum Gymnasium geht.

Ja, da ist der gesellschaftliche Druck für Eltern und Kinder – aber auch für die Lehrer – besonders groß weil die Zensuren angeblich über das ganze zukünftige Leben entscheiden. Und trotzdem durfte der Film zu diesem Thema nicht schwer oder schwerfällig werden, sondern sollte wie schon meine Theater-Inszenierung zum selben Stoff eine Komödie werden.

Sind ihre Filme vielleicht deshalb so erfolgreich weil Sie ein Gespür haben für „Leute wie Du und ich“, was sich zeigt wenn Sie mit Schauspielern wie Gabriela Maria Schmeide arbeiten?

Ja, ich kenne Gabriela schon aus „Halbe Treppe“. Und davor hat sie – auch mit Andreas Dresen – schon 2001 den Fernsehfilm „Die Polizistin“ gedreht. Als ich sie darin zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: „Wer ist das denn? Wow, das ist aber ein Kaliber!“ Und dann habe ich vor drei Jahren mit ihr schon den Film „Ruhm“, nach dem Buch von Daniel Kehlmann, produziert. Da spielt sie auch großartig. Für „Frau Müller muss weg“ hatte ich sie sofort als allererste im Kopf für die Rolle einer so warmherzigen, wie soll ich sagen, so ein bisschen muttihaften Lehrerin. Der möchte man wirklich nicht den Stuhl vor die Tür stellen weil sie ja auch so sympathisch ist. Und ich bin natürlich froh, dass sie diese Rolle übernommen und auch so wunderbar gespielt hat.

Diese Lebensnähe in ihren Filmen ist tatsächlich immer erstaunlich. Haben Sie irgendeinen Trick, mit dem Sie das erreichen ?

Ich habe da keinen Trick. Ich arbeite ja nach Gefühl, so wie ein Maler, der auch nicht sagen kann, warum er etwas so oder so gemalt hat. Ich glaube, dass man in seinem Beruf immer Schwächen und Stärken hat und, dass ich ein ganz gutes Händchen für die Auswahl der Schauspieler habe. Aber auf Anke Engelke muss man erst mal kommen. Für mich war das klar, weil sie eine ganz großartige Schauspielerin ist. Wer ihre Sketch-Sendung „Ladykracher“ gesehen hat, muss einfach merken, was da für ein Potenzial ist. Und trotzdem wird sie im deutschen Kino eigentlich wenig besetzt. Die kann ja alles. Da kann man auch ein bisschen Komplexe kriegen. Denn sie kann singen, tanzen, spricht mindestens drei Sprachen fließend, hat Humor, moderiert seit Jahren die “Berlinale“ und macht Sendungen über den Tod für die ARD. Und vierfache Mutter ist auch noch. Da kann man nur sagen: „Chapeau.“

Anke Engelke, die im Film als Elternsprecherin die stärkste Gegnerin von Frau Müller spielt, ist ja trotz all ihrer Fähigkeiten auch ein sehr gutes Beispiel für Natürlichkeit, Lebensnähe und Spontaneität. Lassen Sie ihren Schauspielern eigentlich die Freiheit, andere Texte zu erfinden als die im Drehbuch vorgeschriebenen?

Ja. – Ja schon, wenn es besser ist als das, was ich vorhabe, dann gerne. Aber wenn es dann doch nicht so richtig passt, bestehe ich lieber auf dem, was ich vorher ausgearbeitet hatte.

Sie machen – wenn man das so sagen darf – Filme fürs Volk . . .

Ja, darf man sagen. Ich fasse das als Kompliment auf.

. . . wie zum Beispiel die Fussball-Filme „Das Wunder von Bern“ (2003) oder „Ein Sommermärchen“ (2006). Aber auch dann, wenn es um Gesellschaftskritisches geht, um Ansprüche und Erwartungen an die Schule wie in „Frau Müller muss weg“, wird das von Ihnen nicht mit Didaktik überfrachtet, sondern mit feiner Ironie unterhaltsam kommentiert und . . .

Wunderbar, nehme ich wieder als Kompliment. Genau das will ich auch. Ich will natürlich die Welt besser machen, aber man muss das schlau machen. Wenn man das didaktisch macht, dann vertut man viele Chancen. Man muss das schon ein bisschen cleverer anstellen, zum Beispiel in Form einer Komödie. Lernen durch Lachen geht immer gut!

Befürchten Sie, dass es einen Vergleich geben könnte mit Polanskis Film „Der Gott des Gemetzels“?

Nee, mich nervt es nur ein bisschen weil ich das in jedem zweiten Interview höre. Wenn ich dann aber sage: Unser Stoff ist ja viel älter, gibt es fragende Augen. Dann erklär ich: „Die Premiere von „Frau Müller“ war Januar 2010. „Der Gott des Gemetzels“ kam im Mai 2012 ins Kino. Also man muss da auch mal die Reihenfolge beachten.“ Inhaltlich, natürlich richtig, gibt es ein paar Parallelen. Aber auch nicht allzu große. Also Angst habe ich nicht davor. Es gibt auch Schlimmeres als mit diesem Film verglichen zu werden.

Manchmal arbeiten Sie auch mit Klischees, die Sie dann aber so ad absurdum führen, dass man das genüsslich hinnimmt. Zum Beispiel als Anke Engelke auf der Suche nach der verschwundenen Lehrerin das Handy ins Schul-Schwimmbad rutscht. Ist Ihnen das egal wenn Sie Versatzstücke nehmen, die man eventuell schon kennt oder auch nur erahnt?

Ja, das ist eine Gradwanderung mit den Klischees. Aber eine Komödie kommt ohne gar nicht aus. Man darf da nur nicht noch mit dem Holzhammer draufhauen. Und das versuche ich dann hinzukriegen.

2001 konnten Sie in den USA den Film „Der Himmel von Hollywood“ drehen. Warum sind Sie nach Deutschland zurückgekehrt?

Amerika hat mich natürlich interessiert – bis ich dann da war. Und den Film habe ich auch sehr gern gemacht. Aber ich habe immer wieder gemerkt, obwohl ich gut Englisch spreche, dass ich bei bestimmten Dingen, die mir wichtig sind, zum Beispiel bei der Schauspielerarbeit, in der fremden Sprache nicht so präzise sein kann wie auf Deutsch. Da war für mich bei dem Film immer so ein Frust dabei. Dann wollte ich aber auch unbedingt zurück, um zur 50-Jahr-Feier „Das Wunder von Bern“ zu drehen. Das war ja mein größtes Herzens-Projekt. Und dann bin ich natürlich hier geblieben, weil es hier in Europa auch viel schöner ist.   

Angelika Kettelhack

Angelika Kettelhack hat mehrere Jahre als Redakteurin in der Filmredaktion des WDR (1.Programm) und als Redakteurin und Synchron-Regisseurin in der „Film- und Theater-Redaktion“ des NDR gearbeitet.

Sie hat mehr als 60 längere Filme (neben vielen kurzen Reportagen) als selbständige Regisseurin verantwortet. Ihr Schwerpunkt liegt in dokumentarischen Arbeiten.

Für Zeitungen & Zeitschriften hat sie 50 Jahre lang Filmkritiken & Interviews geschrieben.
So zum Beispiel für „Filmkritik“, „epd-film“, „Kameramann“, „action“ (in Wien), „Kölner Stadtanzeiger“, „Filmfest Journal“ der Berlinale, „Zitty“, „Süddeutsche“, „Der Abend“, „Tagesspiegel“, „Spandauer Volksblatt“, „Berliner Zeitung",“Neues Deutschland“, „Ossietzky“,
und seit 12 Jahren regelmäßig für „Die Rheinpfalz“.

Von der und über die „Berlinale“ hat Angelika Kettelhack mehrfach für "arte" berichtet. Zehn Jahre lang war sie Sekretär der FIPRESCI-Jury und hat im Alten Weinhaus Hut die Preisverleihung (zeitweise mit Europa Cinemas) veranstaltet.

Sie spricht Englisch, Französisch und Spanisch.