Helmut Merker

Ein leidenschaftlicher Cineast ist soeben mit 76 gestorben.

Von Josef Schnelle

Helmut Merker war mein Redakteur beim Radio und beim Fernsehen des WDR. Und ein guter Freund. Er lebte damals im von ihm ungeliebten Köln, das er nach seiner Pensionierung sehr schnell in Richtung Berlin verließ. Trotzdem traf ich ihn regelmäßig wieder bei den großen Filmfestivals in Berlin (natürlich) , in Cannes und Venedig. Und er war stets stolz, wenn er in sein kleines Büchlein, in das er die gesehenen Filme eintrug, endlich bei den letzten Filmen eine 5 vorweg setzen konnte. Ein fleißiger Liebhaber des Films also. Viele Filme hat er immer gerne gesehen und leidenschaftlich für seine Lieblingsfilme gekämpft, als Redakteur der Filmredaktion des WDR, deren Programm mindestens eine ganze Generation von Filmliebhabern geprägt hat. Helmut war auch für das Plakat für die „Kinozeit“ zuständig und war stets auf der Jagd nach dem einen ganz besonderen Aufmacherbild zu einem der besonderen Filme dieser Reihe für deren Beschaffung die Redakteure Wilfried Reichart, Roland Johannes, Werner Dütsch und eben Helmut Merker damals tatsächlich noch um die Welt – und ja (!) auch nach Hollywood – reisen durften. Die künstliche Trennung zwischen Autorenkino und Mainstreamfilm existierte für ihn ja nie. Es gab allein gute und schlechte Filme.

Am 4. Januar 1978 startete unter der Regie von Helmut Merker selbst zu Francois Truffauts „Der Mann  der die Frauen liebte“ eine filmkundliche Reihe, die bis heute von anderen Fernsehformaten unerreichte Maßstäbe setzen sollte. Dabei fing der „Filmtip“ (der sich auch nach der Schreibreform von 1996 konsequent dem neuen DoppelP verweigerte) als fast unsichtbare Piratenaktion an. Wegen unterschiedlicher Filmlaufzeiten blieb manchmal nach dem Ende des Spielfilms am Abend im WDR Fernsehen eine Restlaufzeit, die irgendwie gefüllt werden musste. Das hätte man auch mit beliebigen Programmtrailern, Schrifttafeln oder Testbildern machen können. Stattdessen entstand quasi „klammheimlich“ eine neue Form der Auseinandersetzung mit Filmen im Fernsehen mit strenger Form und eisernen Prinzipien. Zunächst bekamen die Autoren, oft die Crème de la Creme der damaligen deutschen Filmkritik, immer den gesamten Film als Material gestellt. Es wurde also nicht mit den von PR-Agenturen stets angebotenen Trailern oder Electronic Press Kits (EPKs) gearbeitet, sondern grundsätzlich der gesamte Film analysiert und damit in einer Montage von freistehenden Ausschnitten und betexteten und von den Autoren mit analytischen Blick übersprochenen Standphotos gearbeitet, die auf Kameraeinstellungen, Licht und Schattenspielen oder besonderen Schauspielerleitungen überprüft worden waren.  Getreu der Devise von Jaques Rivette: “Die einzig wahre Kritik eines Films kann nur ein anderer Film sein“ versuchten die Autoren wie André Bazin es einmal ausgedrückt hatte, „den Schock des Kunstwerks zu verlängern“.  Seinen programmatischen Text zum 300. Filmtip  betitelte Helmut Merker 2007  „Das Verstehen als sinnliches Vergnügen“. 2007 war auch das Jahr in dem Merker als letzter der legendären Filmredaktion in Rente ging.

Er hat sich auch danach im „Tagesspiegel“ und in der „TAZ“ immer wieder zu aktuellen Filmen geäußert, besonders wenn es um seine große Liebe, um das asiatische Kino ging und war gern gesehener Gast bei allen Debatten um das Kino.
Der hagere Einzelgänger stach heraus und wenn er eine Tendenz oder einen Stil nicht mochte, konnte seine Leidenschaft ihn auch zu heftiger Ablehnung verleiten. Mit der Reihe „Filmtip“, zu der auch ich zwei Dutzend Beiträge beisteuern durfte und einigen größeren filmkundlichen Sendungen wie zum Beispiel „Das Kino bittet zu Tisch“ (Autor: Michael Althen. 1996 ausgezeichnet mit dem Adolf Grimme Preis) und „Das Kino von Null auf 2000“ von Rainer Gansera, Norbert Grob, Anke Leweke, Katja Nicodemus und Josef Schnelle wird Helmut Merker unvergessen bleiben.

Zu meinen Lieblingstexten von Kurt Tucholsky gehört die Feuilletonreihe „Danach“. Da sitzen immer zwei soeben Verstorbene auf einer Wolke und lassen die Beine baumeln. Kritisch, manchmal sogar böse schauen sie auf das Geschehen bei den noch Lebenden unten auf der Erde hinunter. Manchmal aber schmunzeln sie auch, wenn sie sehen, das etwas zurückgeblieben ist von dem, wofür sie sich ihr ganzes Leben lang abgestrampelt haben. So möchte ich mir gerne auch Helmut Merker vorstellen, wie er auf die deutsche Filmkritik und das Kino hinabschaut und vielleicht den einen oder anderen Filmtip (meinetwegen auch mit zwei p) entdeckt, der ihm gefallen würde. Und sieht, wie das Stück Rasen vom Aufstiegsspiel seiner geliebten Arminia Bielefeld, das er auf seiner Kölner Terrasse angepflanzt hatte, langsam wieder anwächst im Stadion. Fußball und Film sind ja doch untrennbar und die Liebe zum Kino hört nicht einfach auf durch einen bedauerlich frühen Tod eines der ganz großen Cineasten. Und vielleicht gibt’s auf Wolke 8 ja doch noch ein Kino, in dem man mit Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, Alfred Hitchcock, John Ford, Federico Fellini und Akira Kurosawa, die neusten Filme anschauen kann und anschließend darüber redet. Schön wär´s. „Niemals geht man so ganz“, besonders wenn so eine eifersüchtige Geliebte wie das Kino im Spiel ist. Filmtips immerzu auch im Nirgendwo.
 

Josef Schnelle lebt und arbeitet in Köln. Zwischen 1983 und dem Ende der Reihe 2007 war Schnelle als Autor für 45 von 346 Filmtips verantwortlich – damit ist Schnelle der am zweithäufigsten eingesetzte Filmtip-Autor (nach Rainer Gansera mit 55 Beiträgen).

 

Herzlichen Dank an Josef Schnelle und Artechock, die uns den Text zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt haben.