Helmut W. Banz gestorben

Strahlen sollten die anderen

Zum Tode des Filmvermittlers Helmut W. Banz

Unter den Schriftstellern der amerikanischen
Moderne, die
der Filmkritiker, Leser und Buchsammler Helmut W. Banz so sehr
liebte, war ihm
die auf das Wesentliche verkürzte Sprache Hemingways wohl näher
als die ausufernden
Sätze eines William Faulkner. Allerdings hatte er für sich selbst
einen Weg
gefunden auch in einer knappe Sprache die emotionale Beteiligung
mitschwingen
zu lassen, ohne die jedes Kinoschauen sinnlos wäre.

Man hat in seinem Lieblingsgenre, dem Western,
schon Männer
für ein paar überflüssige Worte sterben sehen, und wenn man mit
den Filmkritikern
ähnlich verführe, lägen die meisten von uns wohl schon lange unter
der Erde. Helmut
W. Banz gehörte zu den wenigen Autoren in dieser Branche, die
Dinge auf den
Punkt bringen konnten, ohne dabei im Mindesten platt oder
überdeutlich zu
werden. Dabei ging er immer von dem aus, was auch tatsächlich im
Bild zu sehen
war.

So schrieb er über Marlon Brando:
„Augen-Blicke,
Kopfhaltungen, Gesten, zerquetschte Sätze, Make-Up und Mimikry: In
seiner
unnachahmlichen (aber oft imitierten) Körpersprache verbinden sich
Talent und
Technik – ‚the Brando method’.“ Und liest man heute den ganzen,
freilich nicht
sehr langen Text, mag man erahnen, wonach auch sein Autor gelebt
haben mag. „Er
ist ein Rebell. Nicht weil schon seine ersten sechs Filme dies
Image geprägt
haben: der harte Macker und Aufmucker, der kaltschnäuzig-arrogante
Held mit der
lässigen Attitüde des coolen Machos. Sondern weil er einer ist,
der das Spiel
nicht mitspielt. Der nicht Ideen oder Idealen folgt (‚Frankly, I
couldn’t care
less’, ist seine Devise), sondern seinen Instinkten. Weil er
physisch
ausdrückt, was er psychisch ist: ein Unangepasster, im Leben und
auf der
Leinwand.“

Vielen, die Helmut W. Banz in seinen späten
Jahren kennenlernten,
mag er als abgeklärter, stets freundlicher Gentleman erschienen
sein, der er fraglos
auch war. Früher aber konnte er einem schon einmal Prügel
androhen. So erging
es mir vor inzwischen 22 Jahren, weil ich schlecht über die Arbeit
einer Kollegin
geschrieben hatte. Noch lange zeigte er mir danach sein
finsterstes Gesicht, wenn
er meine Eintrittskarten in der Kölner Cinemathek abriss.
Allerdings war ihm dort
ein zahlender Besucher im Zweifelsfall doch lieber als ein toter.
Gleichwohl überlegte
ich noch lange, wie ich mich wohl gegen die angekündigten
Faustschläge zur Wehr
setzen würde. Ich hatte erlebt, wie Helmut W. Banz einmal ein paar
Zuschauer
angefahren hatte, die sich unwillig zeigten, einer Filmeinführung
durch den
Münchner Filmhistoriker Enno Patalas zuzuhören. Ich wollte nicht
in ihrer Haut
stecken. Auch mit Marlon Brando hätte man sich schließlich nicht
anlegen wollen.
Tatsächlich aber begannen wohl viele Freundschaften mit Helmut W.
Banz auf ähnliche
Weise. Sein Text über Brando endete jedenfalls mit den Worten:
„Das macht ihn
so verstörend ambivalent: explosiv und gefährlich, verletzlich und
zärtlich,
kindlich und anarchisch zugleich.“

Geboren 1942, engagierte sich Helmut W. Banz in
seinen
Zwanzigern am studentischen Filmclub der Universität zu Köln.
Gemeinsam mit dem
Kollegen Gerd Berghoff gründete er später die Cinemathek Köln,
e.V. Grundstock und
Basis des filmhistorischen Programms war eine immense
Filmsammlung, die beide
über die Jahre erworben hatten und die heute zu großen Teilen vom
Düsseldorfer
Filmmuseum verwahrt wird.

Die sechziger und siebziger Jahre waren nicht
nur für das
deutsche Filmschaffen eine prägende Zeit. Es war die Blüte einer
kosmopolitisch
ausgerichteten Filmkultur. Die legendären Filmclub-Treffen in Bad
Ems
definierten den Kanon der Filmgeschichtsschreibung. Banz agierte
mittendrin, bemerkte
jedoch auch welcher Eingrenzung diese Vielfalt durch aktuelle
Vorlieben der
Kritik unterworfen war. So schrieb er über May Spils
Ausnahme-Komödie „Zur
Sache, Schätzchen“: „Interessant, dass [Spils' Film] damals
überhaupt nicht
irgendwelche soziologischen, psychologischen,
volkshochschulmäßigen oder jugendpädagogischen
Positionen vertrat, ganz im Gegensatz etwa zu Schlöndorffs 'Mord
und Totschlag'
oder Johannes Schaafs 'Tätowierung' oder ähnlichen Filmen, scherte
er sich um
diese Einordnungen einen Dreck.“

Banz gehörte zu jenen Kritikern, die sich
grundsätzlich auf
jede Filmform einlassen konnten. Und die bereit waren, einmal
gefasste Urteile
über die „auteurs“ hinter der Kamera zu revidieren. So verteidigte
er 1979 in
der „Zeit“ den weithin geschmähten Franzosen Claude Lelouch
ausgerechnet für
sein Nebenwerk „Ein anderer Mann, eine andere Frau“: „In seinem
zwanzigsten
Spielfilm, seinem ersten amerikanischen, hat Lelouch von seiner
üblichen
Sterilität zu einem konsequenten Stil gefunden, der selbst
bekannte Manierismen
im ungewohnten Milieu wie neu wirken lässt.“

Als Kritiker gehörte er zu jenen, die den Kanon
des amerikanischen
wie des europäischen Films definierten. Und er war der erste, der
ihn dann
wieder öffnete für die vergessenen Meister. Doch als sich die
führende
Zeitschrift „Filmkritik“ fast nur noch mit der Vergangenheit
beschäftigte,
gehörte er zu den Autoren einer vielbeachteten Alternative, der
Zeitschrift „Filme“.

Das Neue im vermeintlich Vertrauten zu
entdecken, war eine
besondere Gabe, die sich Helmut W. Banz auch dann noch bewahrte,
als er lieber
Filme zeigte, als über sie zu schreiben. Als die Cinemathek Köln
nach dem
Direktorenwechsel aus dem Kölner Museum Ludwig geworfen worden war
und sein
Partner Gerd Berghoff bald darauf verstarb, schaute Banz nach
vorne. Er
engagierte sich ehrenamtlich im Filmclub 813, dessen Seele er
nicht nur durch
sein unerschöpfliches Filmwissen und Urteilsvermögen wurde. In dem
Rebellen
verbarg sich ein begnadeter Schlichter, wann immer es zu
Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedern kam.  

Über James Dean hat er diesen Satz geschrieben:
„Den Weg vom
Rebellen zum Angepassten hat er nicht einschlagen müssen.“ Wie
sehr galt das
für Helmut W. Banz, einen feinen Kerl, wenn es je einen gab. Heute
werden
Filmprogramme von sogenannten „Kuratoren“ zusammengestellt. Banz
hingegen war
noch ein Filmvermittler. Er stammte noch aus einer Zeit, als das
Zeigen von Filmen
vor allem ein Teilen von Leidenschaft war.

Obwohl er einer der besten Filmkritiker der
Siebziger Jahre
gewesen war, klagte er nicht, als man von ihm nur noch kurze
Filmtipps im
Boulevard-Blatt „Express“ lesen konnte. In der Kürze lag
schließlich sein Stil.

Im Filmclub 813 stellte er sein Licht unter den
Scheffel
damit die anderen strahlten. So ist das im Kino. Wer den Film
sehen will, darf
selbst kein Streulicht produzieren. Aber ohne ihn wäre da ja auch
gar nichts
gelaufen. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung, wie sehr er
respektiert und geliebt
wurde. Seine letzte, für den Filmclub 813 konzipierte Reihe mit
Cornell-Woolrich-Verfilmungen, kann er nicht mehr erleben. Er gab
ihr den
Titel: „First you dream then you die.“

Am 15. März ist Helmut W. Banz in Köln nach
langer Krankheit
seinem Krebsleiden erlegen.

Daniel Kothenschulte