Erinnerungen
Von Werner Dütsch
Der Zufall (oder war es das Locarno-Festival?) wollte es, dass ich vor wenigen Tagen einen schönen Text von Ronny (wieder-) gelesen habe: den zu Premingers „Exodus“. ein schönes Beispiel für die Tugenden, die Ronnys Schreiben, Arbeiten und Reden auszeichneten: eine für ihn ganz selbstverständliche Präzision, Genauigkeit und Liebe zum Detail. Eben keine munteren, spekulativen Ideen für einen windigen Überbau. Ob es darum ging, Einzelheiten einer Filmproduktion zu recherchieren, eine Frage zu Filmmaterial sehr genau beantworten zu können, oder halt einfach anstelle luftiger Spekulationen einzugestehen, von einer Sache einfach (noch) nicht genug zu wissen. Das konnte dann – um meinen ganz persönlichen, egoistischen Gewinn daran zu benennen – von grossem Nutzen sein, z.B. bei der Suche nach dem erhaltenen Filmmatertial der SS-Filmproduktion „Theresienstadt“.
Zum letztenmal haben wir uns in Saarbrücken getroffen, natürlich war Ophüls der Anlass. Aber das Saarland war für Ronny nur so nebenan. Er reiste gern, was mir, der sich gerne um Reisen drückte, besonders auffiel. Er muss ein beachtliches Miles- and-More-Konto gehabt haben. Eine Frucht der vielen Reisen: eine Weltläufigkeit, von der sich ebenfalls profitieren liess. Ronnys Kontakt- und Informationsnetz war umfassender, schneller und aufmerksamer als jede Zeitung; zuweilen wusste er als erster von Umständen – Vergangenheit oder Aktualität – die man selbst gerne sehr früh gekannt hätte. Nicht ohne berechtigte Genugtuung konnte er einem da schon mal auf die Sprünge helfen, so etwa, als ich von ihm erfahren musste, dass eine Produktion, in die ich verwickelt war, sich anschickte, eine Klage gegen den Staat Israel auf den Weg zu bringen, um die kostenlose Herausgabe von Archivmaterial zu erzwingen.
Sehr oft sind wir uns gar nicht begegnet, aber das genügte, einen Cinephilen kennen zu lernen, der nicht betriebsblind aufs Kino fixiert war. Gemeinsam wurden wir in der Ära Gielen in Frankfurt zu Opernliebhabern, nicht nur mit dem ,Ring‘ der Berghaus.
Zusammenkünfte hatten immer etwas von einer fröhlichen Nüchternheit. Nun, die schönen Jahre, in denen die Zeit still zu stehen scheint ud die glauben machen können, alles gehe einfach so weiter, sind unwiederbringlich dahin. Ein Verlust, den man nicht wegreden lässt.
In meiner Erinnerung auch gemeinsame Tage auf der Isola del Giglio. Von der lokalen Spezialität machten wir tägliche wechselnden Gebrauch unter freiem Himmel: Risotte, Risotto, Risotto. Wein aber auch.
Lebendige Erinnerung
Bewahrer des jüdischen Filmerbes: Zum Tod des Frankfurter Filmhistorikers Ronny Loewy.
Von Daniel Kothenschulte
Das Gedächtnis des Kinos liegt in keinem Archiv, keiner Kinemathek und keinem Museum. Es liegt bei den Menschen, die es durch ihre Liebe, ihr Wissen und den Drang zu Vermittlung lebendig halten. Der Frankfurter Filmgelehrte Ronny Loewy war so ein Mensch, wenn es je einen gegeben hat. Seine wache Präsenz bei nahezu jeder relevanten Tagung oder Retrospektive war aus der filmhistorischen Community nicht wegzudenken. Mit sanfter Stimme gab er messerscharfe Analysen, die er mit jedem Filmfreund teilte.
Sein Interesse am Kino ging weit über die Themen hinaus, für die er ein weltweit geachteter Spezialist gewesen ist: Die Geschichte des Filmexils, namentlich der aus Nazi-Deutschland vertriebenen jüdischen Filmschaffenden und der „Cinematographie des Holocaust“. Das gleichnamige Forschungsprojekt, getragen vom Fritz-Bauer-Institut, dem Deutschen Filminstitut und Cinegraph Hamburg leitete er seit 1993. Die Ernte dieser Forschungsarbeit waren Wiederentdeckungen und Neubewertungen, die den cineastischen Kanon beständig erweiterten. So füllten sich schwarze Stellen der cineastischen Landkarte wieder: Etwa die untergegangene Lebenswelt des jiddischen Kinos, das zwischen 1910 und 1940 in Russland, Polen, Österreich oder den USA blühte. Diese Entdeckerfreude war Ronny Loewys Passion, und es gibt ja auch wenig Schöneres, als das Leben zu bestaunen, das in einer alten Filmbüchse steckt.
Ab 1966 Ronny Loewy in Frankfurt und Hannover Soziologie und Philosophie studiert, seit Ende der Siebziger Jahre wirkte er in Hannovers Kommunalem Kino, 1980 kam er zum Kommunalen Kino in Frankfurt, wo er 1982 zum Mitarbeiterstamm des Deutschen Filmmuseums stieß, das 1984 eröffnete. Von 1992 bis 2005 war er Mitherausgeber der Zeitschrift Filmexil.
Loewy widmete sich in Schriften und Retrospektiven neben fast vergessenen Filmschaffenden wie Victor Vicas auch großen Namen der Filmgeschichte wie Max Ophüls und Stanley Kubrick. Besonders verdienstvoll war seine Arbeit, wenn es ihm gelang, das filmische Werk von Künstlern zu beleuchten, die primär für andere Gattungen bekannt waren – etwa des Fotografen Helmar Lerski und des Schriftstellers Meyer Levin. Aber auch Ronny Loewy selbst verstand sich auf interdisziplinäre Arbeit. So nutzte er sehr erfolgreich die Form des Dokumentarfilms, um eine breite Öffentlichkeit mit der jiddischen Kultur bekannt zu machen: „Das jiddische Kino“ (1983, mit Hans Peter Kochenrath und Walter Schobert) und „Es war einmal ein Jiddischland“ (1992, mit Inge Claaßen) fanden breite Resonanz.
Die Arbeit mit der Erinnerung war auch das Thema seines gemeinsam mit Cilly Kugelmann und seinem Bruder, dem Filmhistoriker Hanno Loewy realisierten Films „Auschwitz – Fünf Tage im Novemer“ (1995).
Die Aufarbeitung des Filmerbes, wie sie Ronny Loewy betrieb, machte Verschüttetes wieder lebendig. Aber ebenso freute er sich über die Entdeckungen der anderen. Sein Wissen und sein analytischer Verstand funkelten dabei in der filmhistorischen Szene wie jene kleinen Edelsteine, die Uhrwerke am Laufen halten. Überraschend kam Ronny Loewys Herz zum Stillstand. Nach sieben Wochen im Koma ist er in Frankfurt gestorben. Eine Polioerkrankung, die er als Kind in Israel überlebt hatte, hatte ihn wieder eingeholt. Er hatte noch viele Projekte und Pläne für die Zukunft.
Ein Kenner der Filmgeschichte
Der Filmhistoriker Ronny Loewy ist im Alter von nur 66 Jahren gestorben.
Von Rudolf Worschech
Er hatte ein Vermögen, das nicht viele Filmhistoriker ihr eigen nennen: Er konnte einem die komplexesten filmhistorischen Sachverhalte in einem angenehmen Plauderton nahebringen. Ronny Loewy war ein Mensch, der seine umfangreichen Kenntnisse gerne weitergab, für ihn war Filmgeschichte kein Arkanwissen, kein Spezialistenbusiness. Man konnte sich mit ihm, wenn man ihn auf, sagen wir mal, einem Empfang traf, stundenlang über die Produktionsgeschichte und Rechteverhältnisse von Lola Montez von Max Ophüls genauso unterhalten wie über The Wild Bunch in 70 mm.
Drei Jahrzehnte, bis zu seiner Pensionierung, hat Ronny Loewy im Deutschen Filmmuseum Frankfurt mitgearbeitet, er hat geholfen, die Dauerausstellung des Hauses, das 1984 eröffnete, aus der Taufe zu heben. Er gehörte Anfang der achtziger Jahren zu den Entdeckern des jiddischen Kinos und widmete ihm im Kommunalen Kino, damals noch im Historischen Museum, eine ausführliche Retrospektive und ein kleines Büchlein. 1987 konzipierte er für das Museum die Ausstellung von „Babelsberg nach Hollywood“, mit der er der Erforschung des deutschen Filmexils eine breite Aufmerksamkeit schenkte. Jiddisches Kino, Exilforschung und das Werk von Max Ophüls blieben seine Spezialgebiete – aber er konnte auch anders. Für epd Film hat er 1986 Alfred Edel interviewt, mit dem ihm vielleicht eine gewisse Geistesverwandtschaft verband: Edel war wie er ein hellhöriger und kluger Flaneur. Die große Geste des Schauspielers allerdings war Loewy fremd.
Von 1987 bis Ende 1993 hat Loewy das Kommunale Kino geleitet und das Programm mit (fast) kompletten Retrospektiven großer Regisseure wie Otto Preminger oder Robert Siodmak bestückt. Der 1946 in Tel Aviv Geborene gab mehrere Jahre die Zeitschrift «Filmexil» mit heraus und war Leiter des Projekts «Cinematographie des Holocausts», einer in Zusammenarbeit mit dem Fritz Bauer Institut erstellten Datenbank von rund 1800 Filmen. Doch Loewy war kein Fachgelehrter, sondern ein weltoffener und weltgewandter Mensch, ein gern gesehener Gast auf Tagungen und Podien. Und ein kritischer Beobachter von Film, Kultur und auch Politik. Am 8. August ist Ronny Loewy gestorben.