Notizen zum Kino 6: Vorwort

Flüchten oder Standhalten?
Die ökonomische Situation und Perspektive des Filmjournalismus
Von Gerhard Midding

Nach sechs Jahren Verhandlungen sind die Erwartungen entweder besonders hoch oder sie haben längst der Resignation Platz gemacht. Am 5. Januar 2010 legten der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der Deutsche Journalistenverband und die Gewerkschaft ver.di die langwierig ausgehandelten "Gemeinsamen Vergütungsregelungen" für Journalisten vor. Die Enttäuschung der Betroffenen war groß. Der Eindruck machte sich breit, dass weitgehend die Verleger die Ergebnisse diktierten und die Vertreter der Journalisten ihnen wenig Widerstand entgegensetzten.

Die Zulieferer, also die Journalisten, können weiterhin mit einem Zeilenhonorar pauschal abgefunden werden, ohne an den Erlösen aus der Verwertung im Onlinebereich beteiligt zu sein. Ein Inflationsausgleich ist in den Vergütungsregelungen ebenso wenig vorgesehen wie eine Verhältnismäßigkeit von tatsächlichem (Recherche-)Aufwand und Schöpfungshöhe. Es wird zusehends fraglich, ob Qualitätsjournalismus unter diesen Bedingungen noch eine Zukunft haben wird.

Das Urheberrecht ist praktisch das einzige Arbeitsrecht der freien Journalisten. Ihr Anspruch auf "angemessene Vergütung", der in der Novelle des Urhebervertragsrechts 2002 zugebilligt wurde, bleibt unerfüllt. Ein Leistungsschutzrecht, wie es die Bundesregierung beim Jahrestreffen der Zeitschriftenverleger 2009 versprach, gilt offenbar nur für die Verwerter, nicht aber für die Urheber. Die "Gemeinsamen Vergütungsregelungen" fallen weit hinter den Schiedsspruch des Bundesgerichtshofs zu der Honorierung von Literaturübersetzern zurück, der befand, dass Verlage neben einem Grundhonorar sämtliche Nutzungserlöse bezahlen müssen. Somit wird die Misere eines Berufsstandes besiegelt, dessen Honorare seit Jahren stagnieren oder gar drastisch zurückgehen. (Der erste Entwurf des DJV vor Beginn der Verhandlungen setzte 2003 noch weit höhere Zeilenhonorare voraus, als sie 2010 zugesichert werden.) Freie Journalisten tragen bei ihrer Ar­beit gleichsam das volle unternehmerische Risiko; eine auch ökonomisch lohnende Tätigkeit lassen die Vereinbarungen auf Dauer nicht mehr zu. Die Gewerkschaft ver.di schätzt, dass in Berlin 1500 freie Journalisten arbeiten, die von ihrem Beruf allein nicht leben können. Für sie eingerichtete Hartz-IV-Seminare verzeichnen dem Vernehmen nach großen Zulauf.

Ein tiefer Abgrund scheint zwischen dem Gestern und Heute zu klaffen, und ein noch größerer zwischen dem Heute und Morgen. Das Brevier des Verbands der deutschen Filmkritik schaut aus diesen Gründen weit über unseren Tellerrand hinaus. Es stellt übergreifende Zusammenhänge dar und bettet die spezifischen Probleme unseres Berufsstandes in sie ein.

Als ich in den 1980er Jahren anfing, als Filmjournalist zu arbeiten, waren die bekannten Filmkritiker in der Regel als Redakteure bei großen Tageszeitungen angestellt. Es gab kaum freie Kollegen, deren Karrieren ein Zutrauen er­weckender Lebensentwurf war. Ich gewann den Eindruck, man übt diesen Beruf unter Vorbehalt aus, er bietet keine langfristige Perspektive. Das hat sich seither nicht wesentlich geändert. Wie im Fall der meisten Kulturjournalisten folgt unsere Berufswahl einem persönlichen Interesse und ist nicht am Markt ausgerichtet; in den Bereichen Naturwissenschaften, Technik und Wirtschaft ist die Nachfrage gewiss größer. Wir sind, wie es Hans-Christoph Blumenberg einmal ausdrückte, berufsmäßige Amateure (wohlgemerkt in der französischen Begrifflichkeit als Liebhaber). Da fällt es mitunter schwer, den eigenen Marktwert richtig einzuschätzen und eine angemessene Ho­norierung zu verlangen.

Ins Kino zu gehen setzt Traumbereitschaft frei. In dieser Veranstaltung sollte es jedoch darum gehen, die Realität ins Auge zu fassen. Bei den Vorbereitungen zum vorangegangenen Symposium über Filmkritik und Internet stieß ich auf eine Untersuchung der Filmstiftung NRW, die ein Schlaglicht wirft auf die völlig unzureichenden ökonomischen Bedingungen, unter denen die meisten Kollegen arbeiten. Diese Sorge (die persönliche Betroffenheit soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden) war für mich und Barbara Schweizerhof, mit der ich gemeinsam das Symposium konzipiert habe, ein entscheidender Ausgangspunkt. Zugleich wollten wir aber nicht nur die Krisensituation beklagen, sondern auch Möglichkeiten und Chancen in den Blick nehmen, die dem rasanten Wandel der Medienlandschaft innewohnen.

Ein wesentliches Fundament war dabei eine Umfrage, die der Verband im Sommer unter seinen Mitgliedern veranstaltet hat. Da der überwiegende Teil unserer Mitglieder für Printmedien arbeitet, schien es legitim, den Schwerpunkt auf diesen Arbeitsbereich zu setzen. Das am 11. Dezember 2009 im Filmmuseum Berlin veranstaltete Symposium liefert die Grundlage für dieses Brevier. Sämtliche Vorträge und Diskussion sind hier dokumentiert. Stellungnahmen zur Situation des unabhängigen Journalismus, die wir bei den im Bundestag vertretenen Parteien und dem Kultusministerium eingeholt haben, konnten wir aus Platzgründen im Buch nicht abdrucken. Sie sind aber auf der Website einzusehen. Stattdessen werden im Brevier zwei Originalbeiträge abgedruckt. Günter H. Jekubzik formuliert in seinem Essay sein Selbstverständnis als freier Autor. Und in Birgit Roschys Text gewinnt eine Form von Filmkritik schärfere und auch positivere Kontur, die auf der Veranstaltung oft als Feindbild herhalten musste: das Schreiben von Agenturtexten.

Mein Dank gilt allen Referenten, Diskussionsteilnehmern und Autoren, die unseren extrem engen Budgetrahmen akzeptiert haben. Zu danken ist auch unserem Gastgeber, dem Filmmuseum Berlin. Ohne die Unterstützung von Rainer Ro­ther, Sandra Hollmann und Stephan Werner hätte die Veranstaltung nicht so reibungslos stattfinden können. Zu besonderem Dank bin ich gegenüber Barbara Schweizerhof verpflichtet, die neben ihrer Tätigkeit als freie Autorin und Teilzeitredakteurin der Zeitschrift epd Film die Zeit und Ener­gie gefunden hat, an diesem Projekt mitzuwirken. Ohne ihr großes Engagement hätten dem Symposium und Brevier entscheidende Dimensionen gefehlt.

Ihrem Hinweis verdanken Symposium und Brevier auch ihren Titel, der aus einem Buch des Psychoanalytikers und Sozialphilosophen Horst- Eberhard Richter entlehnt ist. Richters Befund einer Gesellschaft, die von Einschüchterung und Isolationsängsten heimgesucht wird, scheint mit großer Schlüssigkeit auf die Situation freier Journalisten übertragbar. Er liefert Anleitungen zur Wehrhaftigkeit, sieht den Prozess eines Selbstbewusstwerdens eng mit einer gemeinschaftlichen Anstrengung verknüpft. Für einen Berufsstand, der vor allem Einzelkämpfer geriert, ist das eine notwendige, zukunftsweisende Botschaft. Sein Buch ist ein Plädoyer gegen die Flucht und für das Standhalten. Ist es naiv oder hellsichtig, sich ihm in Krisenzeiten anzuvertrauen?

Gerhard Midding
© VDFK 2010

Gerhard Midding ist freier Filmjournalist und Vor­standsmitglied des Verbandes der deutschen Filmkritik.

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