14. achtung Berlin – Preis der deutschen Filmkritik geht an Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?

Der undotierte Preis des Verbands der deutschen Filmkritik (VdFK) auf dem diesjährigen 14. achtung berlin-Festival ging in diesem Jahr an „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“ von Kerstin Polte. Katharina Wyss‘ „Sarah joue un loup-garou“ erhielt eine lobende Erwähnung.

Preisverleihung achtung berlin
Foto: Sebi Berens / achtung berlin

Die Begründung der Jury bestehend aus Günter Agde, Toby Ashraf und Sophie Charlotte Rieger:

Wenn ein Filmtitel eine Frage stellt, so will der Zuschauer natürlich eine Antwort darauf finden. Manchmal gibt der Film auch selbst die Antwort. In unserem Preisträgerfilm „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“, den Kerstin Polte geschrieben und gedreht hat, stellt ein Kind diese Frage ziemlich am Ende der Story, als alle Verhältnisse aller Protagonisten zueinander ziemlich geklärt sind. So bleibt die Frage im Raum hängen, und der Zuschauer muß – ebenso wie das Kind – die Frage selbst beantworten.

Immer dann, wenn man sich während des Films zurücklehnen und vielleicht mal wegnicken will wie im gängigen Mainstream-Kino, schnippst Kerstin Polte in ihre Drei-Generationen-Erzählung kleine, spitze, schrille, groteske, absurde, extravagante Filmsplitterchen. Die ironisieren und schrecken auf, kippen die Gelassenheit des Films ins Absurde und verfremden. Und gleichzeitig übersetzen sie das Innenleben der Figuren in fantasievolle Bilder, die uns mit hinein nehmen in die Welt der Träume und Gefühle. Sie laden uns außerdem ein, hinter die trügerische Fassade der Ratio zu schauen. Diese hübschen Störungen werden mit gesunder dramaturgischer Ökonomie und kontinuierlich wirklich über den ganzen Film verteilt (und nicht etwa nur an den Anfang gesetzt). Und da machen alle Gewerke mit: die Schauspielerinnen und Schauspieler sowieso, aber ebenso die Kamera, die Filmarchitektur, das Licht. Da ist ein vertrackter Humor am Werke, der nicht eben häufig im Kino anzutreffen ist. Und der wird nicht verbal vorgetragen, sondern er äußert sich durchweg mit filmischen Mitteln.

In dieses Panorama passen auch skurrile Sonder-Figuren, wie jener liebe Gott mit Zottelbart, kleinem Bäuchlein und minimaler Handlungs-Funktion, vor allem aber – als deus ex LKW – die lächelnde Truckerfahrerin im Blaumann und mit einer furiosen Liebesszene im Sandstrand. Man sollte auch mal kreuz und quer leben, hat Polte gesagt, und mit ihrem Film dazu eingeladen. Die Suche nach einer Antwort auf die Film-Titel-Frage bleibt also einstweilen offen.

 

 

Die lobende Erwähnung für Katharina Wyss‘ „Sarah joue un loup-garou“ begründete die Jury wie folgt:

“Ich arbeite lieber frei, ich habe die besseren Ideen“, sagt Sarah, die Hauptfigur aus Katharina Wyss‘ außergewöhnlichem und mysteriösem Debütfilm SARAH JOUE UN LOUP-GAROU selbstbewusst zu Beginn in einer Theaterprobe. Der Rest der Gruppe will lieber klassische Stoffe und Figuren. Sarah will das nicht, und Katharina Wyss‘ Film will das auch nicht. Zum Glück. Hier gibt es kein Erklär-Kino, keine klassische Erzählung, keine konventionelle Geschichte, die man in Schubladen stecken könnte. Nein, hier gibt es Freiheit und Radikalität in Form und Inhalt. Sarah, eine junge Frau aus bürgerlichen Schweizer Verhältnissen, interessiert die Realität meist nicht. Sie erfindet den Tod ihres Bruders und vielleicht auch die Existenz eines guten Freundes und baut sich ihre Rollen in dieser Welt immer wieder neu. Genau wie dieser Film, der – teilweise sprunghaft und oft unvorhersehbar – auch Sarah immer wieder neu baut. In Ausbrüchen, Rollenspielen und gespielten Rollen wird die Frage nach (weiblicher) Identität hier wiederholt unerwartet neu verhandelt. Das Format ist bewusst beschränkt, die Bilder des Kameramanns Armin Dierolf konzentrieren sich auf einen inneren Kosmos, in dem Traum, Alptraum und Performance magisch zerfließen – dazu ein Sound, der das Klassische und das Unheimliche kollidieren lässt. SARAH JOUE UN LOUP-GAROU spricht eine sehr eigene Sprache, die das Kino neu hinterfragen will. Loane Balthasar spielt Sarah vollkommen angstfrei und kompromisslos – und ist dabei eine Sensation. Wir freuen uns über den Mut und den Willen zum künstlerischen Kino, das keine Zugeständnisse an einen vermeintlichen Publikumsgeschmack zu machen bereit ist , und hoffen in Zukunft noch viel von Katharina Wyss, ihrer Freiheit und ihren Ideen im Kino zu sehen.