Notizen zum Kino 3: Vorwort

Kunst oder Kasse – das Ende vom alten Lied
von Josef Schnelle

Neulich ist Folgendes passiert. In der Sendung "TV-Total" von Stefan Raab klingelte das Telefon. Filmregisseur Dani Levy saß neben seinem Hauptdarsteller Helge Schneider und fingerte nervös in seiner Jackentasche herum, holte dann ein Mobiltelefon hervor, hielt es ans Ohr, hörte kurz zu und sagte dann offensichtlich irritiert: "Ich bin nicht Anke Zindler." Stefan Raab witterte den nächsten Witz, schnappte sich das Telefon und verwickelte den Anrufer in ein Gespräch, das zu Tage förderte, dass sich der Redakteur der Sendung "Beckmann" danach erkundigen wollte, ob Dani Levy und Helge Schneider für die Promotion ihres Film Mein Führer wie verabredet am nächsten Tag zur Aufzeichnung kommen würden. Stefan Raab stichelte: "Nie werden die zu Ihnen kommen." "Ganz bestimmt nicht." murmelte Helge Schneider zustimmend.

Natürlich sind sie dann doch da gewesen bei Beckmann, auch wenn die bekannte Presseagentin Anke Zindler in der Garderobe tausend Tode gestorben sein mag, weil Dani Levy ihr baugleiches Handy statt seines in die Sendung mitgenommen hatte. Was in der darauf folgenden "Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Sonntag" ("FAS") als besonders genial eingefädelter Gag aufgespießt wurde, war in Wahrheit keiner – nur der Alltag der Filmpromotion im Eventfernsehen von Gottschalk bis Beckmann. Das ist die Art und Weise, wie Film im Fernsehen verhandelt wird: Man lädt den Regisseur und seine Stars in eine Talk und/oder Spielshow ein und redet ein bisschen freundlich um den heißen Brei. Die Fernsehshow kriegt kostenlos Prominenz, manchmal sogar Stars. Der Film kriegt garantiert kritikfreie Werbung. Dass es noch Anderes gab und gibt – nämlich eine analytische Auseinandersetzung mit Kino im Fernsehen, darauf wollen wir in diesem -unserem dritten – Brevier in einem Schwerpunkt hinweisen, der auch ein Seminar dokumentiert, das dieses Frühjahr in Berlin stattgefunden hat.

Und da es keine Zufälle gibt, brachte der Jahresbeginn noch eine ergänzende Debatte. Der Präsident der Deutschen Filmakademie und Constantin-Aufsichtsrat Günter Rohrbach schlug im "Spiegel" der Filmkritik vor, sich doch freundlicherweise aufzulösen, weil sie den Kontakt zum Publikum verloren habe: genauer gesagt die großen teuren Produzentenanstrengungen kaum, die kleinen Filme, die mit unbedeutenden Zuschauerzahlen nur nerven, hingegen hymnisch besprechen.

Die Verwechslung der Filmkritik mit einer kostenlosen Ausweitung der Werbeabteilung ist in Branchenkreisen nicht neu. Aber an der forschen Polemik überraschten doch Zeitpunkt und Kampagnencharakter. Es hat zahlreiche Reaktionen auch von Filmemachern auf diese sogenannte Debatte gegeben – darunter ein besonders lesenswerter Text von Hans Weingartner im Berliner "Tagesspiegel" ("Endorphine für den Kopf", Tsp vom 4.2.07), obwohl der Regisseur bei Die fetten Jahre sind vorbei von der Kritik weiß Gott nicht mit Samthandschuhen angefasst worden war. Weingartner gehört wie die Mehrzahl der deutschen Filmemacher zu denjenigen, die den Dialog zwischen Werk und Kritik weiter wichtig finden, auch wenn Kritiker irren und Filmemacher sich verletzt fühlen können.

Natürlich war uns schnell klar, dass wir auch aus dem Thema Kritik der Kritik ein weiteres Schwerpunktthema machen mussten, mit Beiträgen, die über den Tag hinaus weisen. Und siehe da: Plötzlich wird klar, dass diese beiden Themen eigentlich dieselbe Tendenz bearbeiten: Filmkritik wird nicht nur im Fernsehen als überflüssiges Auslaufmodell gesehen. Auch in der Presse und Publizistiklandschaft geht es am Liebsten um Krawall und/oder Unterhaltung. Die Werbeabteilungen und PR-Strategen wissen noch nicht genau, ob sie Film und überhaupt Kulturkritik lieber beherrschen oder ganz abschaffen möchten. Die Leser-Hörer-Zuschauer aber sind offenbar noch nicht so weit, sich mit den reinen ungefilterten Werbebotschaften zufrieden zu geben. Und wenn das Rezensionswesen verschwindet, was von interessierter Seite immer offener gefordert wird? Schluss mit der Filmgeschichte? Das Studium von Erfolgsbilanzen allein wird jedenfalls niemandem erklären können, was eigentlich los war zum Beispiel im Jahr 2006 in deutschen und in anderen Filmen.

Kann man gelassen bleiben? Man kann. Auch wenn die Filmkritik in Blogs und Internetfanzines abwandert. Wahr ist: Ohne Kunstwerk keine Kunstkritik. Aber wenn die Kritik der Kunst verstummt, dann ist auch die Kunst selbst in Gefahr. Kino ist Kunst und Kasse. Da mag man so manches Verwechseln. Aber am Ende des Tages zählt doch nur der Erkenntnisgewinn. 

Josef Schnelle
© VdFk 2007

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