Dokumentarfilmerin und Dramaturgin
4. Dezember 1942 – 5. November 2021
Mit dem Ehrenpreis hat der Verband der deutschen Filmkritik in diesem Jahr die Dokumentarfilmerin und Dramaturgin Tamara Trampe ausgezeichnet.
In den 1970er und 1980er Jahren war Tamara Trampe Dramaturgin am DEFA-Studio für Spielfilme in Potsdam-Babelsberg. Zwischen 1992 und 2014 gestaltete sie in Zusammenarbeit mit ihrem Co-Regisseur und Kameramann Johann Feindt vier eigene Dokumentarfilme. Daneben blieb sie dramaturgische Beraterin bei vielen Filmprojekten, übte auch Lehrtätigkeiten an verschiedenen Filmhochschulen aus.
Gemeinsam mit Johann Feindt hat sie in ihren wenigen eigenen Filmen ein schmales, aber gewichtiges Werk geschaffen, das in seiner moralischen Komplexität, Schonungslosigkeit aber auch Empathie gegenüber seinen Protagonisten einzigartig ist. Ihre Filme erzählen von Menschen in Extremsituationen, deren Handlungsspielräume sie in intensiven Gesprächen auslotet. Ein Gegengewicht findet sie in der Poesie des Alltags und Zufalls, die ihren Filmen etwas Schwebendes verleiht.
Die Auszeichnung mit dem Preis der deutschen Filmkritik war bereits am 22. Februar dieses Jahres verkündet worden, der Preis selbst konnte Corona-bedingt erst Monate später verliehen werden. So erfolgte die Verleihung des Ehrenpreises der deutschen Filmkritik am 19. September 2021 im Rahmen einer gesonderten Veranstaltung in der Akademie der Künste Berlin.
Zu diesem Anlass wurde Tamara Trampes Meine, Mutter, ein Krieg und ich gezeigt. In diesem Dokumentarfilm aus dem Jahre 2014, dem letzten und persönlichsten ihrer Filme, wandte sich Tamara Trampe der Geschichte ihrer Mutter und der eigenen Geburt im Kriegswinter 1942 zu, schlug damit aber auch einen großen Bogen bis in die Gegenwart. Im Anschluss an den Film führte der Filmkritiker Matthias Dell mit der Filmemacherin ein Gespräch. Die Laudatio auf Tamara Trampe hielt zuvor Cornelia Klauß, Kuratorin der Sektion Film- und Medienkunst der Akademie der Künste.
Mit großer Trauer und Betroffenheit nehmen wir nun zur Kenntnis, dass Tamara Trampe nur wenige Wochen nach der Ehrenpreisverleihung und einen Monat vor ihrem 79. Geburtstag gestorben ist. In Erinnerung an sie veröffentlichen wir hier die Laudatio, die Cornelia Klauß anlässlich der Verleihung auf sie gehalten hat.
Laudatio auf Tamara Trampe
von Cornelia Klauß
anlässlich der Verleihung des Ehrenpreises der deutschen Filmkritik am 19. September 2021 in Berlin
Eine Laudatio, nicht so einfach. Es ist zu vieles, was mir vor Augen steht, was gesagt werden müsste, aber Worte vielleicht nur unzulänglich beschreiben, auch weil sich die Begegnungen mit Dir für immer mit Bildern aus deinen Filmen überlagern.
Nun also ein Ehrenpreis. Damit hast Du vielleicht nicht gerechnet. Verdient hast du ihn allemal.
Du hast Dein ganzes Leben dem Film gewidmet. Wenn man bei Dir am Küchentisch sitzt, geht es bei Tee aus blau-weiß gemusterten Tassen mit Goldrand und einer Zigarette immer gleich um alles: Du erzählst, was Dir bei einem Projekt, das Du gerade betreust (und Du betreust immer mehrere gleichzeitig) unrichtig, unehrlich oder inkonsequent vorkommt. Dann beharrst Du solange auf Deinen Vorschlägen, bis Dein Schützling, oft junge Leute, die mit ihren halbfertigen Filmen zu Dir gekommen sind, doch Deinem Ratschlag folgen, sich noch einmal „an den Schneidetisch“ setzen und Du dann triumphierend und stolz ein paar Wochen später verkünden kannst, dass der Film zu einem Festival eingeladen wurde.
So hast Du an unzähligen Arbeiten als Dramaturgin im Hintergrund mitgewirkt, eine Rolle, die oft unterschätzt wird – aber was wären diese Filme ohne Dich? Wer mit einem Anliegen zu Dir kommt, muss schon wissen, dass Du nicht gerade zimperlich bist mit Kritik – aber genau deshalb kommen sie, um nicht geschont zu werden.
Schon im DEFA-Spielfilmstudio hast Du im Zeitraum zwischen 1973 und 1990 nicht nur Filme betreut, sondern auch durchgeboxt. Stellvertretend seien Alle meine Mädchen von Iris Gusner, Bürgschaft für ein Jahr von Hermann Zschoche und Junge Leute in der Stadt von Karl-Heinz Lotz genannt, Filme, die ich mir damals in Ost-Berlin freiwillig im Kino ansah, obwohl sie von der DEFA waren.
Was ich auch sehr an Dir schätze: Du machst kein großes Gewese. Wenn ich Dich anrufe, dann ertönt auf meine Frage, wie es Dir geht, Deine Stimme ganz aus der Tiefe heraus: „Normal“.
Dabei ist vieles alles andere als normal in Deinem Leben verlaufen. Im Winter 1942 auf einem Feld nahe der Kriegsfront geboren, eine Zeitlang geborgen bei der warmherzigen Großmutter auf dem Dorf, dann als Kind nach Deutschland gekommen, ohne die Sprache zu beherrschen, studierst Du – ausgerechnet oder auch gerade deswegen – Germanistik.
Über einen Zufall kommst Du ans Spielfilmstudio. Regie wird Dir nur einmal gewährt, bei dem dokumentarischen Kurzfilm Ich war einmal ein Kind, eine bestürzende Erfahrung auch mit der Zensur.
Du lernst den West-Berliner Regisseur und Kameramann Johann Feindt kennen, mit dem Du eine Beziehung über die Mauer hinweg lebst, eine schwierigere Situation für die Liebe kann es kaum geben. Aber was für ein Glücksfall, Ihr seid eine Arbeits-, Denk- und Lebensgemeinschaft, wie man sie selten erlebt.
1990, nachdem die DEFA abgewickelt wurde, entscheidest Du Dich, die Filme selbst in die Hand zu nehmen. Du bist 48, als Dein Debütfilm entsteht.
Die Filmfamilie wächst an, unter anderem mit dem geschätzten Cutter Stephan Krumbiegel, dem Mischtonmeister Martin Steyer, dem Komponisten Helmut Oehring und der Tonfrau Jule Cramer. Es entsteht ein Schutzraum, den Du brauchst, um Dich selbst in den Filmen auch immer wieder preiszugeben.
Zusammen entstehen – neben vielen anderen Arbeiten – vier Filme: Der schwarze Kasten, Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien, Wiegenlieder und Meine Mutter, ein Krieg und ich. Jeder dieser Filme ist wie ein dickes Buch. Man kann sie immer wieder neu lesen und erstaunt feststellen, wie gültig sie noch sind.
Mehr noch, sie sollten an den Filmschulen zur Pflichtlektüre werden, kann man doch lernen, wie aus einem Stoff eine Erzählung wird, wie sich Schicksale darin langsam aufblättern, wie das Gegenteil von Journalismus aussieht. Wir sprechen von Kinodokumentarfilmen und eben keinen Dokumentationen oder Reportagen. Auf diese Unterscheidung kommt es Dir immer sehr an.
Warum lassen mich die Filme nicht los? Es ist das zutiefst Innere der Menschen, das Du birgst, und wie in jedem der Protagonisten Dein eigenes Erleben durchscheint. Da ist zum Beispiel Jochen Girke, Stasi-Oberleutnant, der operative Psychologie lehrte, den Du zu entziffern suchst. Dabei wusstest Du aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie perfide die Methoden der Stasi waren, wie sie zu erpressen verstanden.
In Russland suchst Du junge Rekruten auf, die mit 18, 19 in den Krieg nach Tschetschenien eingezogen wurden. In Home-Videos sehen wir Jugendliche, deren Leben auch einen ganz anderen Verlauf hätte nehmen können, wenn der Krieg sie nicht so verroht und verstümmelt hätte.
In Meine Mutter, ein Krieg und ich findest Du noch die letzten Veteraninnen, die im Zweiten Weltkrieg an der Front gekämpft haben. Die meisten von ihnen wurden von der Geschichte vergessen. Was macht der Krieg mit Menschen, welche „Wandersplitter“ hinterlässt er zeitlebens in ihnen?
Unvergessen für mich: der Blick auf Fotografien, die in Deinen/Euren Filmen immer wieder eine Rolle spielen. Wen sehen wir, aber mehr noch – wer fehlt?
Oder: Helmut Oehring, Sohn taubstummer Eltern, der Komponist wird – erst aus Protest, dann um ihnen etwas zu schenken.
Oder: das Mädchen, das die Regentropfen auf der Hand zählt.
Oder: der Gang des jungen Mannes, der in Tschetschenien einen Arm und ein Bein verloren hat, den Krankenhausflur entlang. Sein Vater hat begonnen, ein Haus für ihn zu bauen. Das Leben wird weitergehen.
So ließen sich noch sehr viele Szenen, Begegnungen und Momente aufzählen, die einzigartig bewegend, erschütternd, zum Verzweifeln traurig oder urkomisch und erhellend sind, Leben eben. Und nie ohne Hoffnung. Die bleibt.
Ich beglückwünsche Dich zu dem Preis – und finde, dass mit dieser Auszeichnung eine sehr kluge und fällige Entscheidung getroffen wurde.