Was wird sich bezahlt machen?
Perspektiven für Journalismus und Ökonomie
Erste Diskussion im Filmhaus am Potsdamer Platz am 11. Dezember 2009
An dem Podium nahmen teil:
Philip Grassmann, Chefredakteur der Wochenzeitung Der Freitag
Michael Hirschler, Deutscher Journalisten Verband (DJV)
Leif Kramp, Journalist und Medienwissenschaftler
Rüdiger Suchsland, Deutschlandfunk, Filmdienst, Telepolis (VDFK)
Moderation: Barbara Schweizerhof, Filmkritikerin, epd-Film (VDFK)
Barbara Schweizerhof: Bei genauerer Betrachtung bestehen die Medien aus drei Seiten mit jeweils unterschiedlichen Interessen: Da ist zum einen die Verlegerseite, die die unternehmerischen, also ökonomischen Interessen repräsentiert, dann die redaktionelle Seite, die den organisatorischen Rahmen bestimmt, inhaltliche Vorgaben macht und schließlich zur dritten Seite hin, den Autoren, vermittelt, denen die Aufgabe der Zulieferer zukommt. Für alle drei Seiten birgt die Gegenwart unterschiedliche Bedrohungen, aber auch verschiedene Perspektiven. Der Freitag versucht zum Beispiel seit seinem Relaunch, Print- und Online- Bereich auf neue, intensive Weise zu verschränken und damit ein für alle drei Seiten tragfähiges Modell zu finden. Herr Grassmann, können Sie uns ein wenig von Ihren Erfahrungen berichten?
Philip Grassmann: Eigentlich sollte hier ja ein Verleger sitzen, der Ihnen die Problematik aus ökonomischer Perspektive schildern könnte. Ich will versuchen, diese Perspektive zumindest in Teilen einzunehmen, obwohl der Verleger für mich als Chefredakteur ja eher ein Gegenpart ist. Wir bemühen uns, beim Freitag die Krise, oder besser den Wandel in der Mediengesellschaft dadurch zu meistern, dass wir die Herausforderungen, die Leif Kramp in seinem Vortrag beschrieben hat, als Chance wahrnehmen. Wir glauben, dass die Internetkultur einen zusätzlichen Distributionskanal bietet, der die Printmedien ergänzt, sie aber nicht notwendigerweise bedroht. Die Trennung zwischen klassischen Journalisten und Bloggern ist bei uns teilweise aufgehoben, weil wir der Überzeugung sind, dass es nur ein Kriterium für Inhalte gibt: die journalistische Qualität. Die Erfahrungen, die wir seit unserem Relaunch gesammelt haben, belegen, wie wichtig Offenheit, Transparenz und Kommunikation sind. Das bedeutet auch, dass man seine Arbeitsweise umstellen muss. Im Netz verfasst man nicht einfach einen Text, sondern man stellt ihn zur Diskussion und muss an dieser Diskussion auch teilnehmen. Interessanterweise entstehen aus diesen Debatten oft neue journalistische Produkte. Und wer der Debatte folgt und sich die Mühe macht, einen ganzen solchen Strang zu lesen, hat davon einen zusätzlichen Nutzen: Nämlich dass viele Thesen – wir machen ja einen sehr meinungsstarken Journalismus – und Perspektiven zur Diskussion gestellt werden. Ein Community-Mitglied ergänzt etwas oder der Redakteur schreibt selbst noch, weshalb er das eine oder andere Argument für wichtiger hält, sodass unterm Strich alle etwas davon haben. Damit bindet man Leser an eine Online-Plattform, weckt aber auch das Interesse am Printprodukt.
Barbara Schweizerhof: Welche Folgen hat diese neue Verzahnung von Online- und Printjournalismus für die Zulieferer? Herr Hirschler, Sie sind beim DJV für freie Autoren zuständig, was passiert gegenwärtig zum Beispiel mit deren Rechten?
Michael Hirschler: Hier ist in der Tat das Internet Chance und Bedrohung zugleich. Eine Bedrohung, weil Verlage die Online-Veröffentlichung nicht zusätzlich honorieren, die freien Autoren aber, deren Texte dort einer ungeheuren Masse von Lesern zur Verfügung gestellt werden, diese nicht mehr so gut wie früher zweitverwerten können. In den letzten zehn Jahren wurden Texte relativ gedankenlos ins Netz und oft auch noch für jeden kostenlos zugängig ins Archiv gestellt; es war absehbar, dass man damit kein Geld verdienen konnte. Seither hört man die Ankündigung: Ja, liebe Freie, wir schaffen die Wende, da wird dann schon Geld für eure Texte kommen. Stattdessen sind wir jetzt in der schlimmsten Wirtschafts- und Medienkrise, die diese Republik jemals gekannt hat. Die freien Kollegen berichten von drastischen Auftragsrückgängen, viele müssen um ihre Existenz kämpfen. Bisher hatten sie ein schmales Einkommen, etwa die Hälfte von dem, was ein durchschnittlicher Arbeitnehmer verdient, etwa ein Drittel dessen, was ein Redakteur nach Hause bringt – in der jetzigen Lage können viele selbst das nicht mehr halten. Das Reden über neue Geschäftsmodelle bringt uns deshalb nicht unbedingt weiter. Schon vor dem Ausbruch der Krise gab es für Freie kaum mehr vernünftige, nachhaltige Arbeitsbedingungen. 2008 war eines der besten Wirtschaftsjahre der Bundesrepublik, aber selbst auf der Höhe des Booms war die Bereitschaft der Medienhäuser, in die Freien zu investieren, nicht allzu sehr ausgeprägt. Heute sieht es nun scheinbar so aus, als seien die Interessen von Verlagen und Journalisten ähnlich. Aber ob die Verlage, wenn sie etwa mit iPhone-Applikationen Gewinne machen, daran auch die freien Autoren beteiligen, steht auf einem anderen Blatt.
Barbara Schweizerhof: Und wie sieht das ein freier Autor heute? Rüdiger Suchsland, überwiegen nun die Chancen oder die Verluste?
Rüdiger Suchsland: Wenn ich so höre, wo der Journalismus angeblich hingeht, frage ich mich natürlich: Wie geht das für mich weiter? Allerdings lässt mir die Gegenwart kaum Zeit, um depressiv zu sein, weil es – noch – genug Arbeit gibt. Für mich war die Zeitungskrise 2001-2002 der größere Einbruch, damals war ich Pauschalist bei der Frankfurter Rundschau. Das heißt, man bekam Geld, ohne überhaupt eine Zeile geschrieben zu haben, man konnte sogar Urlaub machen. Man hat also damals Journalisten dafür bezahlt, nicht dass sie einen Text schrieben, sondern dass sie recherchiert haben. Oder ein Buch lesen, um sich fortzubilden. Oder ich erinnere mich, dass ich zum Beispiel zu einer Veranstaltung geschickt wurde, einfach damit die Zeitung präsent ist. So etwas gibt es nicht mehr. Als Freier arbeitet man mehr als acht Stunden und fünf Tage pro Woche. Das ist teilweise ein extremer Stress; nicht immer ist man zu 100 Prozent mit dem zufrieden, was man abliefert. Man muss sehr pragmatisch und auch sehr fintenreich sein, was das Mehrfachverwerten angeht. Z.B. ein Interview führen und es dann in Teilen verschiedenen Seiten anbieten, wobei man schauen muss, dass sich nichts überschneidet und man aber die eine Seite nicht schlechter bedient als die andere. Urlaub ist Luxus, genauso ein Buch zu lesen, das nicht im aktuellen Arbeitszusammenhang steht. Oder auf ein Filmfestival zu fahren, weil man sich eine Retrospektive anschauen will, aber gar nicht weiß, ob das irgendjemand abnimmt. Ich schreibe auch für umsonst im Netz, in bestimmten Magazinen, um da einfach präsent zu sein. Ich habe schon erlebt, dass diese Präsenz etwas bringt. Allemal ist es eine Form, den eigenen Namen zu promoten. Natürlich wäre ich froh, wenn man da Geld verdienen könnte, allerdings bin ich in dieser Hinsicht eher skeptisch. Eines meiner Medien ist Telepolis, ein Onlinemagazin, das zu den wenigen Orten im Netz gehört, wo man auch bezahlt wird. Fast alle funktionierenden Online-Angebote sind Ableger von Printmedien. Telepolis gehört zum Heise-Verlag, der sein Geld mit Computerzeitschriften verdient. Sozusagen ein schöngeistiger Ableger neben dem ganzen Technikkram. Telepolis hat auch einmal den Grimme Online-Preis bekommen und generiert eine Community, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Ansonsten sehe ich noch nicht, wo man mit deutscher Sprache im Internet Geld verdient.
Barbara Schweizerhof: Da sind wir wieder bei der Beschreibung der Krise. Wie die Eingangszahlen im Vortrag von Herrn Kramp gezeigt haben, steht es zwar noch nicht so schlimm, allerdings steht zu befürchten, dass es noch schlimmer kommt.
Leif Kramp: Wobei die Angst der Journalisten eine geringere Rolle spielt als die der Verleger und Zeitungsunternehmer, die bereits vorauseilend Präventivmaßnahmen ergreifen, und das bedeutet: rationalisieren, obwohl es eigentlich noch ganz gut läuft. Die Anzeigenumsätze jedoch gehen tatsächlich zurück, auch wenn sich die Auflagen noch größtenteils halten.
Philip Grassmann: Die Anzeigenerlöse aber gehen ja nicht nur in der jetzigen Krise zurück, sondern schon seit Anfang 2000. Der Rückgang allein wäre nicht das Problem, wenn sie sich nicht nach jeder neuen Krise auf einem immer niedrigeren Niveau einpendeln würden. Jetzt haben wir seit 2000 die dritte Medienkrise, und die Anzeigen brechen um 12 Prozent ein, und das wird noch nicht alles sein. Da sind große Verträge einfach weggebrochen. Der Spiegel richtet sich ja beispielsweise darauf ein, ein anzeigenfreies Produkt herzustellen, das heißt: Eines der Flaggschiffe des europäischen Magazin-Journalismus geht davon aus, in absehbarer Zeit keine nennenswerten Anzeigenerlöse mehr zu haben! Ich glaube trotzdem nicht, dass die Printmedien dem Untergang geweiht sind, sondern bin mir sicher, dass es eine Reihe von großen und auch kleineren Titeln schaffen wird. Ich denke dabei nicht unbedingt an die Hunderte von Lokalzeitungen, die täglich in dieser Republik erscheinen, aber Titel wie Der Freitag haben sicher eine realistische Zukunftschance. Warum? Weil wir mit einer relativ kleinen Mannschaft, niedrigen Kosten und der Hilfe von vielen freien Autoren ein Produkt herstellen, das am Markt bestehen kann.
Rüdiger Suchsland: Ich kann nicht ganz verstehen, warum Sie Ihre Inhalte komplett mit Archivfunktion ins Internet stellen. Was haben Sie aus Verlegersicht davon? Warum gibt es kein Bezahlmodell, bei dem der Leser angefixt wird, etwa durch einen Textanfang oder einen bestimmten Inhalt? Der Economist macht das so, und er ist eines der wenigen Beispiele, wo ein Printprodukt auch online Erträge bringt.
Philip Grassmann: Ich glaube nicht, dass die Bezahlung für Inhalte die Lösung sein kann. Dafür gibt es zu viele konkurrierende Gratisangebote im Netz. Sie müssen schon so hoch spezialisiert sein, wie es der Economist übrigens ist, dass die User bereit sind, für diese Informationen Geld auszugeben. Es gibt ja Bestrebungen vieler Verlage, mit der Gratiskultur aufzuhören. Sie stellen jetzt iPhone-Apps her, für die man eine Abo-Gebühr bezahlt. Das mag für einen großen Konzern gehen – Sie müssen ja mindestens 60.000 Abonnenten haben, um überhaupt die Programmierungskosten hereinzuholen, und dann haben Sie noch gar keinen Cent verdient mit den Inhalten. Das kann ein Weg für, sagen wir mal, Premium-Kunden sein. Aber auch der iPhone-Markt ist ja begrenzt. Ich glaube, die Zukunft liegt darin, dass wir Geld mit dem Printprodukt verdienen, über Abos, und das Netz als Kommunikationsplattform nutzen, auch um uns und unsere Autoren zu profilieren und Transparenz zu zeigen. Im Moment unterscheiden sich die Leserschaften im Netz und im Print noch. Es gibt auch unterschiedliche Lesesituationen. Es ist immer noch etwas anderes, ob Sie eine Website durchsuchen oder ein Produkt in der Hand halten, wo Sie sehen: dies ist eine große Geschichte, dies ist eine kleine Geschichte; die steht weiter hinten, die steht weiter vorne, das ist denen eher wichtig. Das ist ein Service, den nur eine gedruckte Zeitung oder ein Magazin bieten kann.
Leif Kramp: Der Grundansatz sollte wahrscheinlich lauten: Leserbindung, Nutzerbindung, Rezipientenbindung. Neben der Frage, ob man das über frei zugängliche oder kostenpflichtige Fachangebote beziehungsweise "paid content" macht, gibt es das Problem, ob kleinere Medien davon leben können. Man muss sich auch Gedanken machen über alternative Finanzierungsformen wie zum Beispiel Stiftungsmodelle. Das lässt sich wahrscheinlich nicht auf breiter Basis implementieren. Aber wenn man mal die Zahlungswilligkeit des Nutzers und den Anzeigenmarkt ausblendet, dann bleibt nur die Generosität von kulturbewussten und der politischen Bildung verpflichteten Einrichtungen, die sich mit Spenden engagieren. Zu den Alternativen gehört auch die Kulturflatrate, da stellt sich dann aber die Frage, wer bekommt denn nun das Geld? Soll das nach Auflage berechnet werden? Dann kriegt die Bild das meiste, und wer möchte das? Es gibt auch den Vorschlag, dass man davon Journalistenförderungs- und Qualitätsprogramme finanziert, und dann bestimmte investigative Abteilungen, wie sie etwa bei der Süddeutschen Zeitung schon eingerichtet sind, unterstützt, oder dass man Recherchestipendien ausschreibt.
Michael Hirschler: Bevor es einen "Kein-Zeitungs-Kreis" gibt – und es gibt heute ja schon viele Kreise mit nur einer Zeitung -, muss sich eine Gemeinde fragen, ob sie sich eine Zeitung nicht irgendwie anders finanzieren kann. Aber es gibt bei uns im DJV auch Landesverbände, die sich gegen eine solche Förderung aussprechen. Die fürchten den Einfluss von Bürgermeistern oder Landespolitikern vor Ort, das ist also vielleicht auch nicht die beste Lösung. Beim Mäzenatenmodell darf man womöglich auch nichts schreiben, was der Mäzen nicht will. Andererseits darf man sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass schon heute ein Großteil der engagierten Presse de facto auf Mäzenatenbasis funktioniert: Vereine, Organisationen, ganze Gewerkschaften – wir geben auch ein Mitgliedermagazin heraus, das ohne gar nicht am Markt existieren könnte. Das heißt, wir haben auch heute schon einen weithin öffentlich und gesellschaftlich geförderten Journalismus und ich denke, man muss solche Modelle mutig angehen. An die freien Autoren gerichtet, möchte ich noch einen anderen Punkt ansprechen: Schauen Sie nicht nur zu, wie Andere sich Erlösmodelle überlegen, sondern versuchen Sie, das auch selbst in die Hand zu nehmen. Zum einen mit Verfahren gegen Verlage, die die Internetrechte einfach verschenken wollen. Die Gerichtsverfahren und Verhandlungen – wir verhandeln ja aktuell über eine Vergütungsordnung – laufen in die Richtung, dass wir sagen: Die Rechte bekommen die Verlage in einem bestimmten Umfang – natürlich nicht absolutes Internetverbot -, aber alle Drittgeschäfte, alle Weiterverkäufe von Texten müssen in Zukunft bezahlt werden. Wenn Sie, die Autoren, Ihre Internetrechte nicht einfach verschenken, sondern wenn Sie beteiligt werden müssen, dann ist auch ein gewisser Druck da. Wenn Sie die Rechte nun wieder haben, müssen Sie sich überlegen, was Sie damit machen. Bauen Sie sich selber einen Blog auf, oder gar, wie einige Kollegen in der Finanzwirtschaft, einen kostenpflichtigen Informationsdienst?
Rüdiger Suchsland: Ich möchte noch etwas zur Kulturflatrate sagen. Man kann das nicht mit der öffentlich-rechtlichen Finanzierung vergleichen. Die Kulturflatrate stellt die Idee dar, ein Pendant zur VG Wort und zur VG Bild für die Online- Medien zu schaffen. Die Telekom zum Beispiel, die von ihren Kunden 50 Euro für eine schnelle DSL-Flatrate nimmt, soll etwas davon abgeben, damit mit diesem Geld dann Kulturjournalismus bezahlt werden kann, sie heißt ja nicht umsonst Kulturflatrate. Es sollte eine Form von Kulturförderung sein, die eine bestimmte Art von Diskurs honoriert und ein bestimmtes Niveau hält, über Kultur zu sprechen, auf dem nicht alles auf Entertainment heruntergeschraubt wird. Wenn man über die Lage der Filmjournalisten redet, muss man nämlich auch über den inhaltlichen Strukturwandel sprechen, der immer mehr zu einer Entertainmentkultur, zu einer Häppchenkultur tendiert. So hört man als Filmkritiker oft von Redakteuren "weniger l'art pour l'art", wenn man mal auf einen französischen Film aus den 60er Jahren verweisen will. Das versteht der Leser nicht, heißt es dann, er fühle sich schlecht behandelt von uns elitären Filmkritikern. Die Frage ist deshalb, welche Auswirkungen hat die Krise der Medienlandschaft auf Filmkritik und auf Kulturjournalismus und wie lassen sich die Lösungsansätze übertragen? Ich habe da meine Zweifel, da Filmkritik ein Minderheitenprogramm ist, was ja nichts Schlechtes heißt, denn Kultur überhaupt ist ein Minderheitenprogramm. Aber inwieweit wollen sich Verleger das noch leisten? Man kann den Kulturjournalismus eben nicht mit dem Wirtschafts- oder Politikjournalismus vergleichen. Filmkritik, so wie wir sie verstehen, setzt auf ein Publikum mit einer bestimmten Bildung, einer bestimmten Neugier. Eines, das sich nicht nur in bereits vorhandenen Vorurteilen und Meinungen bestätigt sehen will, nach dem Motto: "Du warst im Kino, du hast recht mit dem, was du fühlst und denkst, wir sind auf deiner Seite". Das ist aber die Tendenz.
Philip Grassmann: Mich wundert diese defensive Haltung der Kulturjounalisten. Wir haben hier ja schon festgestellt, dass sich der Journalismus im Netz neu entwickelt, und dass dabei der Meinungsdiskurs, die Debatte eine größere Rolle spielen. Nimmt man diesen Trend ernst, läuft das doch auf eine größere Bedeutung des Feuilletons, des Kulturjournalismus hinaus. Wir wollen Kontroversen und Debatten, und das schaffen Sie nicht mit Nachrichtenjournalismus. Die Chance des Onlinejournalismus liegt in der direkten Kommunikation mit den Lesern, die den Diskurs, die Debatte suchen. Die Leser wollen sich heute mit Ihnen streiten! Die bloße Filmkritik reicht dazu vielleicht nicht aus, aber wenn Sie über Film als gesellschaftliches Phänomen schreiben, dann haben Sie gleich ein ganz anderes Publikum und eine ganz andere Relevanz. Ich kann diese bescheidene Haltung nicht nachvollziehen: Die große Zeit des Feuilletons kommt noch dank des Onlinejournalismus!
Leif Kramp: Man muss sich vermarkten können. Viele freie Journalisten haben dazu nicht die Möglichkeit, nicht jeder ist freier Unternehmer, die meisten sind in der eingangs erwähnten Zuliefererrolle gefangen. Nur Einzelnen gelingt es, sich selbst zur Marke zu machen, eine Existenz als Blogger aufzubauen, mit der sich perspektivisch auch Geld verdienen lässt.
Michael Hirschler: Unternehmerischer zu agieren, ist schon richtig, ich würde es aber zuspitzen: Als freie Autoren müssen Sie auch renitenter im Bezug auf das Urheberrecht agieren. Das Urheberrecht ist das Arbeitsrecht der Freien, Ihr A und O. Auch wenn das manchmal unappetitlich oder unbequem ist: Sie müssen sich dafür genauso interessieren wie für die Steuern, die sie zu zahlen haben. Damit Sie sich gut gegen die Redaktionen vertreten können, falls die ihre Beiträge einfach weiterverkaufen. Außerdem sollten Sie sich mit Ihren Kollegen zusammensetzen und Erfahrungen austauschen, wer wo und wie sein Geld verdient. Hören Sie sich um, gucken Sie, was andere machen. Trotz aller negativen Tendenzen sollte man nicht glauben, dass sich der Journalismus in einer Todesspirale befindet. Es ist eher so, dass es neue Erlösmöglichkeiten gibt – bei denen es wichtig ist, sich über die Abtretung von Rechten klar zu werden und sich beraten zu lassen. Manchmal sind zum Beispiel die allgemeinen Geschäftsbedingungen, in denen die Verlage sich alle Rechte abtreten lassen, schon rechtswidrig.
Rüdiger Suchsland: Das Spannende am Onlineschreiben ist in jedem Fall, dass die Texte kommentiert werden. Manchmal ist das auch unter der Gürtellinie, und natürlich melden sich immer eher die, die etwas zu korrigieren haben, oder denen etwas nicht gefällt. Mit bestimmten Themen kann man sehr heftige Reaktionen erzeugen. So habe ich etwa den zweiten Teil der Herr der Ringe-Trilogie verrissen und dabei die Tolkien-Gesellschaft erwähnt, das hat mir viel Online-Aufmerksamkeit eingebracht, der Text wurde ungeheuer oft verlinkt. Zu 90 Prozent als Negativ-Beispiel, und so bin ich heute, noch fünf Jahre später, vielerorts derjenige, der den Herr der Ringe verrissen hat. Das Netz vergisst nie. Die Erfahrung hat mir gezeigt: Wenn man Minderheitsmeinungen vertritt, vielleicht bei wichtigeren Themen als den Herr der Ringe, kann man regelrecht Opfer von Kampagnen werden. Das ist eine der bedrohlichen Seiten des Wandels in der Medienlandschaft: Im Internet setzen sich immer Mehrheiten durch, einfache, auch populistische Mehrheiten. Eine Zeitung, ein Medium aber sollte eben auch Minderheitenmeinungen Platz geben und eine Diskussion organisieren und sie nicht einfach so geschehen lassen. Eine weitere Bedrohung ist die Gleichmacherei: Der Leser kann kaum mehr unterscheiden zwischen Kritik und Kommentar. Mehr und mehr gibt es die Haltung, dass es nur um Meinung geht, nur darum, ob es mir gefällt oder nicht. Die Sternchenbewertungen, die immer öfter auch bei seriösen Filmzeitschriften über den Kritiken stehen, als wären sie das Resümee, auf das es ankommt, belegen das. Wo doch das Wesen der Kritik darin besteht, dass man so differenziert über einen Film schreibt, dass es sich nicht auf Sternchen reduzieren lässt. Zusätzlich gibt es dabei die Tendenz, dass die Bewertungen immer positiver werden, weil man dem Leser ja Mut machen will.
Barbara Schweizerhof: Noch einmal zum Stichwort Blogger. Nehmen die nicht den freien Autoren das Geschäft weg? Gibt es eine Frontstellung freie Autoren versus Blogger?
Philip Grassmann: Ich glaube vielmehr, dass die Blogger uns den Weg weisen können, wie man mit dem neuen Medium umgeht. Etwa, was die Möglichkeiten betrifft, sich bekannt zu machen. Wenn wir einen Artikel twittern, dann gehen unsere "page impressions" um 50-60 Prozent hoch, das ist wie eine Welle. Wenn man das mit Verve betreibt, kann man schnell eine gewisse Bekanntheit erlangen. Blogger wissen oft, wie man die neuen Vertriebskanäle virtuos bedient. Das Berufsbild des klassischen Journalismus wird sich deshalb verwandeln. Künftig ist die Arbeit des Autors nicht mehr damit abgeschlossen, dass er den Text ins Netz stellt, er muss gucken, wie wird er kommentiert, muss dafür sorgen, dass er bekannt wird via Facebook und Twitter, muss mit der Community kommunizieren… Wenn er das macht, hat er die Chance, bekannt zu werden und möglicherweise ökonomischen Nutzen daraus zu ziehen.
Leif Kramp: Die Blogosphäre wird den Journalismus ja nicht ersetzen. Für Zeitungen ist es heute wichtig, die partizipationsfreudigen Blogger teilhaben zu lassen, sie an sich und damit ja auch an bestimmte journalistische Prinzipien und Akteure zu binden. Auf das Nebeneinander kommt es an: Die Nutzer für bestimmte Marken zu gewinnen und sie einzubinden in den journalistischen Prozess.
Michael Hirschler: Und so wie es guten und schlechten Journalismus gibt, gibt es auch eine gute und eine schlechte Blogosphäre. Es gibt Blogger, die bessere Arbeit leisten als mancher Journalist. Umgekehrt sollte jeder Journalist heute mal mit Blogs Erfahrungen sammeln, oder einen Twitteraccount eröffnen und sich dort zum "follower" eines bestimmten Regisseurs oder Filmmuseumsdirektors machen, da kriegen Sie plötzlich erstaunliche Sachen mit.
Rüdiger Suchsland: Man müsste untersuchen, ob man unbewusst vielleicht ganz anders schreibt im Netz. Es gibt ein wenig die Tendenz, den "niedrigen Instinkten" freien Lauf zu lassen. Das fängt damit an, dass man länger schreibt, weil man nicht mehr von einem Redakteur und seinen Platzvorgaben diszipliniert wird. Man reagiert auf Leserrückmeldungen, und man will auch dem Affen Zucker geben, denn ein Artikel im Netz ist dann erfolgreich, wenn er viele Klicks und viele Kommentare kriegt. Danach versucht man schon die Überschrift auszurichten. Im Übrigen: Ich habe keinen Twitteraccount. Im Fußball ist derzeit ja auch Bayer Leverkusen unter Jupp Heynckes mit der Devise der Entschleunigung erfolgreich, vielleicht würde uns allen, auch dem Filmjournalismus, ein bisschen Entschleunigung nicht schaden.
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