Von Rüdiger Suchsland und Josef Schnelle
„Das wäre, wie wenn Sie Ihren Porsche draußen vor der Tür parken, den Schlüssel stecken lassen, und sich dann empören: ‚Sauerei, schon wieder ist jemand weggefahren, in Deutschland wird Eigentum überhaupt nicht geschützt.'“ Diese scharfe Kritik an der Doppelmoral der Industrie stammt von Christlieb Klages, einem der wichtigsten deutschen Filmjuristen, unter anderem Dozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) und Autor zahlreicher Bücher zu filmrechtlichen Fragen. Klages kritisierte die „Kriminalisierung von privaten Usern“, durch eine Industrie, die seit Jahren die Digitalisierung des Produktionsprozesses, der Distribution und der Auswertung vorantreibt, zum Teil mit erheblichen Kosten für die Kinobetreiber, die an den Vorteilen dieser technischen Revolution kräftig verdient, aber deren Kosten auf die Allgemeinheit abwälzen will. „Schwarzkopierer hat es schon immer gegeben. Das ist nichts Neues.“ betonte Klages. „Nur ist die Technik einfacher und billiger geworden – weil die Industrie diese Technik wollte.“
Dies war nur eine von vielen interessanten Wortmeldungen auf einer Tagung, zu der der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) unter dem Titel „Unter schwarzer Flagge. Film- und Rechtepiraterie in der Diskussion“ am 2. November 2005 in die Räume der dffb eingeladen hatte. Anlass war ein Informations- und Meinungsaustausch mit dem Ziel, ein paar Schneisen ins Gestrüpp der ausufernden Debatte um die verschiedenen Aspekte der Film- und Rechtepiraterie zu schlagen, und dabei auch insbesondere die Arbeitsbedingungen der Filmkritik zum Thema zu machen. Geladen waren neben Filmkritikern auch Medienwissenschaftler, Juristen, Produzenten, Verleiher und Presseagenten, als Gäste nahm auch eine Gruppe von dffb-Studenten an der Tagung teil.
Auf den folgenden Seiten vertiefen Andrea Dittgen und Wolfgang Hamdorf einige Aspekte der gut besuchten Veranstaltung. Die Medienwissenschaftler Achim Hackeberg und Michael Viertel, selbst Teilnehmer auf dem Podium, blicken auf die Zukunft des Kinos im digitalen Zeitalter, Fred Breinersdorfer, als Drehbuchautor und Jurist in einer Doppelfunktion, kommentiert einige juristische Aspekte, insbesondere auch die rechtliche Problematik der neuen gegen Journalisten gerichteten so genannten Sicherheitsmaßnahmen bei Pressevorführungen.
Sind Piraten eigentlich so schlimm? Eine eindeutige Antwort lässt sich nicht geben. Bestimmt sind sie nicht so schlimm, wie die Industrie der Öffentlichkeit weismachen will. Keiner, noch nicht einmal die Verleiher selbst im privaten Gespräch, glauben den apokalyptischen Szenarien der Verbände, nach denen jährlich allein in Deutschland vier Milliarden Euro Verlust durch Rechte-, Film- und Videopiraterie entstehen. Auch aus Sicht der Verleiher ist das tatsächliche Bild viel differenzierter. In Asien etwa beteiligt sich die Industrie selber an Schwarzkopien, und gibt ihre eigenen Piraten-Label heraus – aus schlichten ökonomischen Gründen. Denn wer kann in China schon DVDs zu 20 US-Dollar erwerben? Aber billiger kann man offiziell nicht verkaufen, ohne sich in Zeiten des Internets die eigenen Preise kaputt zu machen. Da wird ein eigenes Piraten-Label mit Qualitätskontrolle und Rückgabegarantie zum besten Ausweg – für Produzent wie Kunden.
Im Kino jedenfalls ist der Pirat in der Regel ein Held. Er ist das starke Gegenbild zum Kapitalismus, verkörpert eine Utopie des wilden Lebens, des Verbrauchs im Jetzt und Hier. Zwar hat auch der Pirat oft eine versteckte Schatzkiste an fernem Ort, träumt von der besonders großen Beute. Aber er lässt sein Kapital nicht arbeiten, sondern arbeitet selber, er ist Beutemacher, kein Ausbeuter. „Die Piraten von heute werden morgen die sein, die im Recht sind.“ schreibt der französische Philosoph Michel Serres, Mitglied der Académie Française. Oder, wie es bereits im Vorspann des Films The Black Pirate heisst: „even on this dark side – romance.“
Rüdiger Suchsland / Josef Schnelle
© VdFk 2006