Joachim von Mengershausen

Filmproduzent und Dramaturg

7. August 1936 – 22. Januar 2020

Foto (privat) Petra Seeger

Mit seiner Arbeit verbunden sind Namen wie Wim Wenders, Edgar Reitz, Peter Lilienthal oder Rosa von Praunheim, deren Filme er als Produzent, Dramaturg und Redakteur des öffentlich-rechtlichen Fernsehens umfänglich ermöglicht hat. Zuvor war er auch Filmkritiker, in den 1960er Jahren, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung.

Richtungsentscheidend für seinen weiteren Weg war aber eine eigene Regie-Arbeit, als er einen Jungspund namens Rainer Werner Fassbinder mit dessen Langfilmdebüt  Liebe ist kälter als der Tod zur Berlinale begleitete – das war 1969.  Ende einer Kommune hieß diese allererste Dokumentation über Fassbinder, die dabei entstand. In Folge davon holte ihn Fernsehspiel-Chef Günter Rohrbach in sein Redakteurs-Team beim WDR. Der Beginn einer Ära, in der das Fernsehen dabei half, einen neuen deutschen Film im Kino zu etablieren.

Bei dem französischen Fernsehfestival Rencontres Européennes hat man seine Verdienste 1996 zum ersten Mal umfassend gewürdigt – mit dem Preis für sein Gesamtwerk als „bester europäischer Filmproduzent des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“, begleitet von einer Werkschau und der Aufführung des von ihm mitproduzierten Serienformats  Geister von Lars von Trier. 2016 erhielt er dann den Ehrenpreis der deutschen Filmkritik –  in Auszeichnung seines Lebenswerks, mit dem er sich „in filmhistorisch bedeutsamer Weise dem deutschen Film verpflichtet hat“. Die Laudatio hielt Wim Wenders.

Kurze Zeit nach Fertigstellung seiner Autobiographie  Mein Leben – ihre Filme ist Joachim von Mengershausen nun am 22. Januar 2020 gestorben. Aus Anlass seines Todes würdigen wir ihn hier noch einmal mit der bewegenden  Laudatio, die Wim Wenders 2016 bei der Verleihung des Ehrenpreises der deutschen Filmkritik für ihn hielt. Peter Kremski

Foto © Heike Mund

Rede für Joachim von Mengershausen

von Wim Wenders

anlässlich der Verleihung des Ehrenpreises der deutschen Filmkritik am 15. Februar 2016 in Berlin

Wenn es ihn nicht gäbe, den Mann, über den ich sprechen und den ich ehren möchte, stünde auch ich nicht hier, genauer, wäre ich nicht der geworden, den Sie gebeten haben, über diesen Mann zu reden.

Wenn es ihn nicht gegeben hätte, hätte es eine riesige Menge wichtiger Filme nicht gegeben, sowohl deutscher als auch internationaler, und womöglich auch nicht die Karrieren ihrer Regisseure.

Wenn es ihn nicht gegeben hätte, wäre (nicht nur) das deutsche Kino definitiv ärmer gewesen. Das kann man nicht von vielen sagen.

Er war für 30 Jahre ein Synonym für die Hauptabteilung Fernsehspiel des Westdeutschen Rundfunks. Dorthin hatte ihn als jungen Redakteur der legendäre Dr. Günther Rohrbach geholt. Ohne den völlig neuen Medienansatz dieser Redaktion, das kann man guten Gewissens sagen, hätte es den Aufschwung des deutschen Films in den siebziger Jahren nicht gegeben, hätten die Karrieren von Leuten wie Hellmuth Costard, Rainer Werner Fassbinder, Hans W. Geissendörfer, Reinhard Hauff, Klaus Lemke, Edgar Reitz, Helma Sanders-Brahms, Volker Schlöndorff, Rudolf Thome, Margarethe von Trotta oder auch meiner Wenigkeit nicht stattgefunden oder zumindest nur in begrenztem Umfang. Auch Regisseure wie Peter Beauvais, Tom Toelle, Peter Zadek und nicht zuletzt Wolfgang Petersen sind hier groß geworden.

Das nur als kleiner historischer Rundumschlag, um die Bühne für den Preisträger ein bisschen vorzubereiten. Jetzt muss ich doch allmählich mit dem Namen herausrücken, dem so viele ihre guten Namen verdanken. Ich rede von Joachim von Mengershausen. Noch vor dem Krieg, im August 1936 in Bamberg geboren, nach einer Lehre der hehren Kunst des Bierbrauens dann vom Film angezogen, Absolvent des Deutschen Instituts für Film und Fernsehen in München, Studium von Germanistik, Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte, Film- Theater- und Musikkritiker bei der Süddeutschen Zeitung, Aufnahmeleiter bei Heimatfilmen, Cutter und Regisseur von Filmen im SWR, unter anderem über Rainer Werner Fassbinder (Das Ende einer Kommune), lange bevor alle Welt wusste, wer das war oder werden sollte. Und dann trat er 1970 diese Arbeit beim WDR an, in jener legendären Brutstätte des deutschen Films, als „Redakteur“.

Nun ist das ein zwielichtiger Begriff. Es gibt Menschen, die haben von diesem Beruf keine hohe Meinung. Für die sind Redakteure Leute, die immer dazwischen reden und alles besser wissen und an denen man irgendwie vorbei muss, um an die Kohle zu kommen.

Joachim von Mengershausen hat diesen Beruf damals völlig neu erfunden und für sich und all die, die mit ihm gearbeitet haben, neu definiert. Er war der kompetente und selbstlose Partner, den alle diese Leute, die ich eben aufgezählt habe, sich immer gewünscht hatten.

Ein kleiner Exkurs: Der Beruf, den es eigentlich nicht gab in diesem Neuanfang des deutschen Kinos, das war der des Produzenten. Das Ethos des Autorenkinos war die Personalunion von Regisseur, Autor und Produzent. Und auch wenn diese Form des Filmemachens ihren Zenit bald überschritten hatte, blieb der Produzent der große Abwesende in der deutschen Filmlandschaft, für mehrere Jahrzehnte noch.

Man hatte ihn abgeschafft.

Aber gerade deswegen gab es eine Vakanz. Was man sich in den kühnsten Träumen von einem Produzenten erwartete, das gab es ja durchaus noch, als Hoffnung:

Dass man einen Partner an seiner Seite hätte, den man jederzeit um Rat fragen könnte und der einem bedingungslos die Wahrheit sagen würde.

Dass man die Ideen eines Films und das Geld, das es dafür gab, in die richtige Relation zu stellen wüsste.

Dass man auch ein gutes Drehbuch womöglich noch besser machen könnte.

Dass man, um all diese Wünsche Wirklichkeit werden zu lassen, nicht Kämpfe mit irgendeinem Riesen-Ego austragen müsste, sondern dass es einen gäbe, der das alles leisten könnte, aber auch jederzeit bereit wäre, geradezu bescheiden, in den Hintergrund zu treten, auch wenn ohne ihn nichts lief.

Wir wissen alle: Solche Produzenten gibt es gar nicht. Aber Du warst so, Joachim. Du hast die Quadratur dieses Kreises in Deiner Person möglich gemacht.

Das wusste ich natürlich nicht, als Du mich zum ersten Mal beim Drehen besucht hast, im Burgenland, wo ich als 25-jähriger Spund meinen ersten Film gemacht habe: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter.

Aber ich wusste es dann schon, als Du mir geholfen hast, zwei Jahre später Alice in den Städten zu drehen, den Film, der mich wirklich zu einem Filmemacher hat werden lassen. Ein Film, der seine Existenz übrigens noch einem anderen Mann verdankt, nämlich Samuel Fuller.

Dass dieser sagenumwobene Sam Fuller überhaupt und tatsächlich in Deutschland einen Tatort drehen konnte, Tote Taube auf der Beethovenstraße hieß er, das war auch Dein Verdienst, den hast Du eigenhändig aufgetrieben und überzeugt.

Und weil ich diesen Sam Fuller in Eurem Schneideraum in Köln interviewen durfte, hat das dazu geführt, dass er mir seine Telefonnummer in LA gegeben hat, – „If ever you come by, young man, give me a call!“ – was dazu geführt hat, dass ich ihn später tatsächlich angerufen habe, in Hollywood, lange Geschichte, mit vielen Folgen. Vier Filme habe ich mit dem Sam gemacht.

Ich erinnere mich, wie dieser Sam Fuller zu Dir sagte, mit seiner unvermeidlichen Zigarre im Mund: „JM“, so nannte er Dich, „as a producer, you have to be my enemy.“ Aber noch Jahre später sprach er von Dir nur in den höchsten Tönen, als der einzige Producer, den er als seinen Freund angesehen hat.

Je mehr wir beide zusammen gearbeitet haben, umso mehr habe ich gelernt, Dir zu vertrauen, Joachim, und so haben wir dann noch Falsche Bewegung, Der amerikanische Freund, Paris, Texasund Der Himmel über Berlin gemeinsam gemacht.

Es wird mir inzwischen hoffentlich jeder hier glauben, dass ich also weiß, wovon ich rede, wenn ich sage: Du warst Deinen Regisseuren ein Begleiter und Weggefährte, oft ein Schutzengel, vor allem auch einer, der sich beharrlich um das Geld gekümmert hat. Oft hat es ja Jahre gedauert, bis die Finanzierung eines Projektes sichergestellt war. Mit großer Geduld und Sachkenntnis hast Du für uns diese Klippen umschifft, nie konfrontativ, aber immer mit Deiner sanften, intelligenten Art, mitunter auch durchaus trickreich und manipulativ, wenn es denn nötig war, zu unseren Gunsten natürlich, bis die Finanzierung dann stand.

Es ging Dir dabei immer nur um die Sache, den Film, und um den hinzukriegen, warst Du ein einmaliger Komplize. Du hattest einen untrüglichen Sinn für Talent, für einen selbständigen künstlerischen Ausdruck. Da war auch immer das Scheitern mitgewagt, das hat Dich nie geschreckt. Du warst ein freier Mann, ein freier Geist. Deine Heimat, das war die Filmgeschichte, die Literatur, die Musik.

Du hast den unterschiedlichsten Filmemachern zur Seite gestanden und ihnen ermöglicht, eine eigene Stimme zu haben, eine eigene Haltung, eine eigene Einstellung. Du hast damit den Auftrag des „öffentlich-rechtlichen Fernsehens“ im ureigensten Sinne erfüllt!

Deine Regisseure das waren unter anderem auch:

Edgar Reitz
(JvM hat die erste und zweite Staffel von Heimat mitentwickelt und produziert, und allein für diese große Arbeit, diesen Riesenmeilenstein nicht nur des deutschen Films, hätte er diesen Preis verdient)
Rainer Werner Fassbinder
Christoph Schlingensief
(als ihn noch wenige kannten oder mochten)
Luc Bondy
Christian Ziewer
Peter Lilienthal
Jan Schütte
Rosa von Praunheim
Norbert Kückelmann
und viele andere.

Ich muss auch Deine ausländischen, vor allem afrikanischen Regisseure erwähnen und darf da vor allem nennen Don Askarian, Moussa Bathily, Férid Boughedir, Souleymane Cissé, Haile Gerima, Gaston Kaboré, Taieb Louhichi, Rashid Masharawi, Pape Badara Seck und Ousmane Sembène.

Für einige dieser Regisseure warst Du über Jahrzehnte einziger Weggefährte, einzige Anlaufstation in Europa, und diese „antikolonialistische“, wenn man so will: „antiimperialistische“  Komponente Deiner Arbeit war Dir höchst wichtig. Es lag Dir ungemein daran, eine originäre Autorenfilmsprache auch in den Ländern der sogenannten Dritten Welt zu fördern.

Natürlich hat Joachim von Mengershausen auch noch viele andere Filme initiiert, betreut, mitproduziert, mitverantwortet, auch als freier Produzent, nach seiner Zeit beim WDR. Ich muss aber zum Schluss kommen. Für alle diese Verdienste wirst Du heute geehrt, lieber Joachim. Es fällt mir schwer, da überhaupt noch von „Verdienst“ zu reden. Es gibt ja nicht nur Preise, die ihre Preisträger ehren, sondern auch umgekehrt Preisträger, die ihre Preise überhöhen und strahlen lassen.

Ich danke dem Verband der Deutschen Filmkritik für diese Wahl und auch, dass Ihr mich gefragt habt, ihn zu übergeben. Es ist mir eine richtig große Freude, Joachim, in Anwesenheit Deiner lieben Frau Petra, Dir den Ehrenpreis der deutschen Filmkritik zu überreichen.

Wim Wenders (Februar 2016)

Foto © VdFK