Ich fange einfach mit dem Titel an. Was passiert, zum Beispiel, wenn man Exhibition um seinen „-ismus“ erweitert? Es ist Nacht, und Künstlerin D (Viv Albertine) sinnsucht irgendwo zwischen Ausstellungsvorbereitung und Selbstentblößung nach Inspiration. Sie schleicht zur Fensterwand ihres Ateliers. Sie ist nackt. Wie eigenbelebt klappern ihre Finger die Jalousie herunter. Von außen, vom Dunklen her betrachtet, legen sich die Lamellen über ihre leuchtende Haut wie krud gewobene Spitze. Ein Spiel des Reizens und Verbergens: Köperregionen erscheinen und verschwinden. Aber außer der Kamera (und damit mir) ist auf der Westlondoner Straße niemand um zuzuschauen. Guckkasten-Daumenkino.
„What are you doing?“ – „Working.“
Eine andere Frage dämmert herauf: Wie steht es mit dem Verhältnis von Kunstschaffen und Masturbation? D hat schon lange nicht mehr ausgestellt. D hatte schon lange keinen Sex mehr mit ihrem Mitbewohner H (Liam Gillick). H ist auch ihr Ehemann, aber das Wort weckt falsche Assoziationen. Die beiden haben gegenseitiges In-Ruhe-Lassen perfektioniert. Wenn D nach Inspiration sucht, dann sehnt sie sich insgeheim wohl nach dem Orgasmus. Allein im Atelier, reibt sie sich mit dem Holzhocker zwischen den Schenkeln fast zum Höhepunkt. Doch dann klingelt das Telefon, H ruft vom Zimmer obendrüber an. „What are you doing?" – „Working."
Joanna Hogg ist Meisterin darin, ihre Zuschauer mit sicherer Hand ins gedanklich Offene zu locken – und dann alleine zu lassen. Wohin will ich weiterdenken? Will ich darüber grübeln, was der Begriff „Arbeit“ im Feld der Kunst bedeutet, oder will ich mich der eigenartigen Form des Zusammenlebens zwischen D und H widmen? Besser vielleicht, ganz woanders neu anzusetzen.
Im Gefängnis der Intimität
Kunst, die mit sich selbst beschäftigt ist, kann leicht öde werden. Hogg entgeht der Gefahr, indem sie alle grundlegenden ästhetischen Fragen in einem radikal intimen, besser gesagt: erotischen Raum stellt. So werden sie einerseits ganz klein und andererseits lebensrelevant, weil strikt persönlich. Das Haus, in dem das kinderlose Paar seine kriselnden Künstlerkarrieren ineinander schachtelt, ist eigentlich der Hauptdarsteller dieses Films. Joanna Hogg widmet Exhibition auch dessen Architekten, dem 2012 verstorbenen James Melvin. Jeder Winkel dieses Hauses ist personalisiert. In jahrelanger Bewohnung haben sich hier zwei Menschen gänzlich eingerichtet. Jede der vielen Wandfarben plaudert kleine Geheimnisse aus: Von D’s knallrotem Chaosatelier führt eine einsame Wendeltreppe in die asketisch weißen, leerorganisierten Räume H’s empor. Alles Physische – die Palmen im ummauerten Garten, die in Wandvertiefungen verborgenen Schlafzimmerlampen – ist psychisch aufgeladen. Weniger Ikea geht nicht. Und deutlicher kann man die PR-Heuchelei des schwedischen Wohnkonfektioniers nicht entblößen: D und H wohnen schon lange nicht mehr. Aber ihr materiell entäußertes Leben ist ihnen zum Gefängnis geworden. Und deshalb wollen sie ausziehen.
Inselmenschen-Inselbilder
Ganz subtil ist in die Baukasten-Montage des Films, die nur eine von endlos vielen Kombinationen all der vag in Zeit und Raum verteilten Erzählellipsen sein kann, die Geschichte eines allmählichen Abschieds gestrickt. Tom Hiddleston (der bisher in allen Filmen Hoggs mitgespielt hat) gibt dabei einen sleaken, aber glaubhaft verständnisvollen Immobilienmakler. Wie unfreiwillig wird er zum Eheberater für die beiden in ihrem Intimgefängnis eingemauerten Eremitenseelen. Er bereitet das Ende eines Lebensgefüges vor. Immer wieder greift der Film auch vorweg: Die Räume sind leer, die Kisten gepackt, und D liegt irgendwo an die Formen ihres einstigen Lebensraums geschmiegt.
Die Beziehungen zwischen D und H und zwischen beiden zum Haus sind ein Gewirr von double binds – mehrdeutige, widersprüchliche emotionale Aussagen. Nehmen wir die Architektur: Zur Straße hin geben die riesigen Fenster den Blick nach außen frei, aber die Hausfront ist fast fugenlos verschlossen. Durchsicht und Verbarrikadierung: Mit diesen Begriffen fasst man auch die Ehe von D und H recht gut. Sie sind radikal ehrlich zueinander, und deswegen schweigen sie immer öfter.
Sympathie für Kauze – kauzige Erzählmanöver
Chris Ware hat vor kurzem mal wieder die Comicwelt revolutioniert, als er mit Building Stories seinen Lesern einen Haufen einzelner Bände in den Schoß leerte, damit sie daraus ihre eigenen Geschichten bauen. Es ging da, unter anderem, um eine gescheiterte Kunststudentin und um ein altes Haus in Chicago. Hogg macht ganz Ähnliches mit dem Medium Film und einem Haus in London, nur funktioniert das Sandkastenprinzip hier natürlich mehr geistig denn haptisch. Beiden gelingt Wundervolles. Ihre jeweils strengen, millimetergenau austarierten, in modernistischen Traditionslinien beheimateten Bilder bleiben im Herzen den Figuren verbunden, bleiben zart, sympathisieren.
So dysfunktional die Beziehung zwischen D und H ist, so unerbittlich Hogg ihre kauzigen Eigenheiten allmählich zutage treten lässt, niemals blickt sie auf ihre Figuren anders als mit grenzenloser Sympathie. Als würde sie, die Lupe in der Hand, beständig lächelnd den Kopf schütteln. Dass sie damit auch noch einige lang andauernde Verkrampfungen selbstreflexiven Kunstschaffens löst, ist dann wieder ein anderer Gedanke. Den man verfolgen darf, aber ganz sicher nicht muss.
(Erstveröffentlichung: critic.de am 28.07.2014 )
Dieser Text wurde gefördert durch die MFG Filmförderung Baden-Württemberg. Im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Preises erhält der Autor für das Jahr 2014 ein Stipendium zum Verfassen von Filmkritiken.