taz – INTERVIEW ROGER CORMAN

"Für Gedanken braucht man kein Geld"
LOW
BUDGET Roger Corman ist der große alte Mann des US-amerikanischen
B-Movies. Beim Filmfestival von Odessa spricht er über Gegenkultur,
unabhängiges Filmemachen und die Zuneigung der französischen Filmkritik
zu Charles Bronson

INTERVIEW TOBY ASHRAF

taz:
Herr Corman, Sie haben als Kurier bei FOX angefangen und sind schnell
zum Produzenten und Regisseur aufgestiegen. Ihre Beziehung zum
Studiosystem war aber immer kompliziert, und Ihre Filme kamen am Ende
nur in verstümmelten Fassungen ins Kino.

Roger Corman:
Ich habe mehrmals für die großen Studios gearbeitet und kam eigentlich
ganz gut mit ihnen zurecht, abgesehen von der Tatsache, dass ich immer
unter der Kontrolle der Studiobosse stand. Es waren also nicht alle
Entscheidungen, die mit der Produktion meiner Filme zu tun hatten, auch
meine eigenen, und ich entschloss mich zum unabhängigen Filmemachen, mit
dem ich begonnen hatte, zurückzukehren. Ich wollte wieder die Kontrolle
über meine eigenen Filme haben. Und selbst dort hatte ich nicht immer
alle Freiheiten.

War das der Grund, weshalb Sie dann in den 1970ern mit New World Ihre eigene Produktionsfirma gründeten?

Ja. Die 60er Jahre waren eine Zeit der Rebellion, wie Sie sicherlich wissen.

Davon zeugen ja auch viele Ihrer Filme wie "The Trip" oder "The Wild Angels".

Meine
Filme waren Bestandteil dieser Gegenkultur, und die Firma, für die ich
diese Filme machte, war an die Börse gegangen, nachdem sie zuerst in
Privatbesitz gewesen war. Die Leute dort wurden immer konservativer,
während ich immer mehr zum radikalen Linken wurde. Das veranlasste die
Firma dazu, einige meiner Filme neu zu schneiden, und es veranlasste
mich zu der Entscheidung, nie wieder für jemand anderes zu arbeiten. Ich
gründete also meine eigene Produktionsfirma, hatte aber zu diesem
Zeitpunkt nie vor, mit dem Filmemachen aufzuhören. Ich wollte ein Jahr
als Produzent arbeiten und dann zur Regie zurückkehren.
Überraschenderweise war meine Firma aber vom ersten Film an so
erfolgreich, dass ich die meiste Zeit mit der Produktion und dem Verleih
neuer Filme beschäftigt war. Das nahm mich vollkommen in Anspruch, denn
das Verleihsystem musste gefüttert werden. Als wir dann zehn bis zwölf
Filme pro Jahr produzierten, hatte ich keine Zeit mehr für eigene
Projekte. Und tatsächlich war "Roger Cormans Frankenstein" 1990 der
erste Film, bei dem ich wieder für ein großes Studio Regie führen
sollte. Danach ging ich aber sofort wieder in die Produktion zurück.

Sie werden oft als Rebell bezeichnet. Sehen Sie sich auch selbst so?

In
gewissem Maße schon. Man ist immer beschränkt darin, wie sehr man
Rebell sein kann, wenn man kommerziell erfolgreich sein möchte. Ich
würde also sagen, dass ich ein Rebell und Radikaler bin, der in einem
System arbeitet, das mir bestimmte Grenzen setzt.

Meist
wird nur über die Quantität Ihrer Filme und deren
Produktionsbedingungen gesprochen, dabei waren viele Filme wie "Der Mann
mit den Röntgenaugen" in der Bildsprache durchaus visionär.
Interessierten Sie neue Seherfahrungen, oder ging es Ihnen vorranging
darum, Ihr Publikum zu unterhalten?

Es war
eine Kombination von beidem. Natürlich ging es mir darum, das Publikum
zu unterhalten, aber das Kino als filmische Sprache und Kunstform hat
mich auch immer interessiert. Im Besonderen waren es die visuellen
Aspekte des Films und das Experimentieren mit neuen Formen und Bildern,
was mich in diesen Filmen reizte. Ich wollte die Spezialeffekte
ausprobieren, die es zu jener Zeit gab und die ich mir leisten konnte.
Ich würde sagen, dass ich im Rahmen meiner finanziellen Mittel so
einfallsreich war, wie es mir eben möglich gewesen ist.

Ihre
Filme aus den 1950ern sind charmante B-Movies. Heutzutage wirken selbst
die schlechtesten Filme sehr professionell. Wünschen Sie sich, dass
FilmemacherInnen heutzutage weniger perfekt und dafür mit mehr
Leidenschaft ans Werk gehen würden?

Es gibt
heutzutage zweifelsfrei eine Tendenz, sich von der modernen Technik
abhängig zu machen. Das betrifft vor allem computergenerierte Effekte.
Viele verlassen sich auf Kosten der Handlung darauf und sind von den
Schauwerten geblendet. Man darf dabei aber nie die Geschichte aus den
Augen verlieren.

Gibt es Dinge, die Sie bereuen?

Nichts
Wesentliches. Manchmal glaube ich, dass ich nicht mit dem Filmemachen
hätte aufhören sollen. Vielleicht hätte ich besser jemand anderes meine
Firma überlassen sollen, um selbst wieder Regie zu führen. Ein paar Mal
habe ich das probiert, aber die Leute haben sich nicht sonderlich gut
angestellt, also bin ich in die Produktion zurückgekehrt.

Könnte es denn heutzutage noch einen Roger Corman geben?

Ja.
Er – oder sie – würde sich allerdings anders entwickeln. Es gibt zwei
große Unterschiede zwischen der Situation heute und der Zeit, in der ich
begann, Filme zu machen. Einerseits ist es heute wesentlich leichter.
Die Ausrüstung ist besser, leichter und tragbar geworden, und man kann
problemlos an Originalschauplätzen und generell effizienter drehen.
Technisch gesehen ist also vieles einfacher geworden, obwohl es
natürlich nie leicht ist, einen Film zu machen. Auf der anderen Seite
ist der Verleih von Filmen wesentlich schwieriger geworden. Zu Beginn
meiner Karriere wurden selbst die Filme, die ich für 30.000 oder 40.000
US-Dollar gemacht habe, regulär im Kino gezeigt. Heute dominieren die
großen Studios mit ihren manchmal mehr als 200 Millionen US-Dollar
schweren Produktionen das Verleihgeschäft so sehr, dass die Independents
größtenteils aus den Kinos verdrängt werden. Ab und zu gelingt es dann
doch mal, aber 99 Prozent der Filme schaffen es gar nicht erst ins Kino.
Das macht es immer schwieriger, mit kleinen Filmen ein Publikum zu
erreichen.

Was ist denn Ihrer Meinung nach ein
unabhängiger Filmemacher? Der Begriff der Unabhängigkeit scheint –
gerade in Hinblick auf Ihre Karriere – nicht ganz unproblematisch.

Zuerst
mal würde ich sagen, dass es so etwas wie einen hundertprozentig
unabhängigen Filmemacher nicht gibt. Selbst wenn man außerhalb des
Systems arbeitet, steht man immer noch mit einem Bein im System, denn
jeder ist auf Finanzierung und einen Verleih angewiesen. Für mich ist
ein unabhängiger Filmemacher jemand, der uneingeschränkt kreativ nach
seinen eigenen Vorstellungen arbeiten kann. Geschichte, Thema, Machart,
Kameraarbeit und Schnitt: Das sind Entscheidungen, die ein unabhängiger
Filmemacher oder eine unabhängige Filmemacherin vollkommen allein
trifft, ohne dabei von einem Studio abhängig zu sein.

Haben
Sie sich schon früh einen Panzer zugelegt, als Sie merkten, dass man
Ihre Filme nicht ernst nimmt, obwohl Sie sehr hart dafür arbeiteten?

Ich
habe einfach immer weiter Filme gemacht. Und später wurde ich dann auch
von den Kritikern ernst genommen. Das fing überraschenderweise bei der
französischen Filmkritik zu einem kleinen Film an, den ich in zehn Tagen
abgedreht hatte. Der Film hieß "Machine Gun Kelly" und hatte einen
unbekannten Schauspieler, Charles Bronson, in der Hauptrolle. In den USA
wurden die meisten Low-Budget-Filme gar nicht erst besprochen, aber
hier war das anders. Der Film bekam gute Kritiken und war kommerziell
erfolgreich. Als er in Paris anlief, waren die Kritiken noch besser und
der Film auch hier ein Erfolg. Durch diesen Film bekam ich dann später
ein bisschen mehr Anerkennung.

Halten Sie Ihre Arbeit im Allgemeinen für unterschätzt?

Nicht
unbedingt. Ich fühle mich schon recht fair behandelt. Meine Filme waren
günstig produziert, und man konnte ihre Produktionsbedingungen selten
verbergen. Aber hinter jedem Film steckten ein paar Gedanken, und für
Gedanken braucht man kein Geld. Man braucht nur Geld, um die Gedanken
umzusetzen.

Ihre Kollegen Woody Allen und
Alain Resnais stehen im hohen Alter immer noch hinter der Kamera. Haben
Sie sich überlegt, auch noch mal Regie zu führen?

Das
würde ich, wenn ich eine Idee hätte, in die ich verliebt bin. Ich habe
mehrmals darüber nachgedacht, aber ich würde es nicht nur für die Sache
selbst tun. Im Moment habe ich keine Idee, aber das kann sich in zehn
Minuten ändern.

 

Roger Corman

wurde
1926 in Detroit geboren, besuchte nie eine Filmschule und kam durch
Aushilfsjobs zur Regie. Von 1955 bis 1970 drehte er in Hollywood mit
minimalen Budgets und in kürzester Zeit über 50 Filme. Legendär sind die
Produktionsbedingungen von "The Little Shop of Horrors" (1960), für den
er nur zweieinhalb Drehtage brauchte. Zu seinen B-Movies gehören
Science-Fiction-, Monster- und Gangsterfilme genauso wie Western, wobei
er oft Drehorte und Crew für mehrere Produktionen benutzte. In den 60ern
begann Corman eine Reihe erfolgreicher Edgar-Allan-Poe-Verfilmungen; ab
den 70ern widmete er sich ausschließlich der Produktion. Bis heute hat
Corman über 400 Filme produziert und Größen wie Martin Scorsese, Francis
Ford Coppola und Jack Nicholson zu ihren Karrieren verholfen. 2009
erhielt er den Oscar für sein Lebenswerk.