Kritik: Die Ermordung …

Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss Das Western-Epos „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" mit Brad Pitt und Casey Affleck Von unserer Redakteurin Andrea  Dittgen

Der lange Titel passt wunderbar zu diesem langen Spätwestern (160 Minuten), der poetischen Weite der Landschaft und der langsamen, tragischen Entwicklung der ungewöhnlichsten Männer-Beziehung zwischen einer lebenden Legende und seinem größten Fan.

Jesse James ist müde, er will nur noch seine Ruhe: seine Frau, seine Kinder, die Farm. Mit schwarzem Hut, schwarzem Anzug und weißem Hemd sieht der Held, der so melancholisch in die weite Ebene blickt, ohnehin eher wie ein friedlicher Amish-Mann aus. So gar nicht wie der große Bandit, der mit seinen 34 Jahren schon weiß, dass er eine Legende und sein Leben als Räuber und Bandenchef vorbei ist. Er wird überall gesucht und die Belohnung ist höher als alles, was er bisher erbeutet hat, deshalb muss er jede Sekunde mit einem Kopfgeldjäger rechnen. Die Zeit bis dahin will Jesse James noch auskosten, so gut es geht.

Aber die Mitglieder seiner Bande sind immer noch in der Nähe, sie wollen Action. So gibt es einen letzten Eisenbahnraubzug am 6. September 1881. Bei dem ist erstmals Robert Ford mit dabei, der 19-jährige Bruder von Jesses Cousin und Bandenmitglied Charley Ford. Robert hatte Jesse förmlich angebetet und angebettelt, mitmachen zu dürfen – Jesse James ist sein Idol, er ist der Fan. Robert ist schüchtern und aufdringlich zugleich. Jesse ist misstrauisch, aber wie ein weiser alter Mann lässt er ihn mitmachen. Es ist, als ahnte er schon, dass dieser Robert ihm Ärger machen wird. Später, als Robert ihn besucht und Jesse damit nervt, dass er alles über ihn und seine Überfälle weiß, fragt Jesse lapidar: „Willst du so sein wie ich? Oder willst du ich sein?" Robert lacht nur verlegen, wie immer.

Der zweite Spielfilm des Werbe- und Musikclip-Filmers Andrew Dominik (geboren 1967 in Neuseeland, ausgebildet an der Filmschule von Melbourne) ist einer jener postmodernen Kunst-Western, die nicht von der Geschichte an sich leben, also von Schießereien und Kämpfen aller Art, von Action und Verfolgung – sondern von der Langsamkeit, der Fotografie und der subtilen Beobachtung der Charaktere. Dominiks Film steht eher in der Tradition von Terrence Malicks „Days of Heaven" (1978), Clint Eastwoods „Erbarmungslos" (1992) oder Jim Jarmuschs „Dead Man" (1995) – epischen, poetischen Western, in denen die Atmosphäre alles bestimmt. In Dominiks Film sind es vor allem die faszinierenden gemäldeartigen Aufnahmen des schon fünfmal für den Oscar nominierten Kameramanns Roger Deakins und die ungewohnt ruhige Musik des einstigen Pop-Avantgardisten Nick Cave, die für eine latente Spannung in der trügerischen Ruhe sorgen.

Der Film hat mit der Realität – so man bei Legenden von Realität sprechen kann – wenig zu tun, er ist eine Fantasie, beruhend auf einem Roman von Ron Hansen, der viele Deutungen ermöglicht. Das reicht von versteckten homoerotischen Neigungen zwischen Jesse und Robert, über eine Art Hassliebe und esoterischen Sehnsucht bis hin zu Phänomenen wie Star und Stalker (Leute, die Stars auflauern), die damals ihren Anfang nahmen. Dass der schmächtige Robert Ford, der Jesse James anhimmelte, den Mann seiner Verehrung in den Rücken schoss, mag wohl stimmen, aber der Film legt nahe, dass er es aus einer tiefen spontanen Enttäuschung heraus tat. Bis dahin, etwa 130 Minuten lang, ist der Film eine wunderschöne, nachdenkliche Charakterstudie zweier Männer, wobei Casey Affleck (der Bruder von Ben Affleck) als Robert Ford einem mal genial stoischen, mal überzeugend wütenden Brad Pitt als Jesse James tatsächlich die Schau stiehlt.

Doch der Film hat eine Art modernen Epilog, der nicht so recht zum Rest passen will, eine Warnung vor dem Medien-Zeitalter. Der Film endet nicht mit dem Mord, sondern zeigt auch, was danach geschah: Ein paar hundert Mal spielte Robert Ford auf der Bühne vor Publikum die Ermordung Jesse James nach und wurde auf diese Weise selbst zu einem Star, allerdings nicht zu einem in sich ruhenden wie Jesse James, sondern zu einem, der das Opfer seiner selbst gewählten fragwürdigen Popularität wurde.

Die Rheinpfalz 24. Oktober 2007

Andrea Dittgen

geboren 1961 in Saarbrücken, Studium der Germanistik, Romanistik und Musikwissenschaft in Saarbrücken, 1989 Promotion in deutscher Sprachwissenschaft, 1986-1991 nicht-gewerbliche Filmarbeit (Vorführung, Programmation, Organisation), Filmkritiken seit 1986, seit 1991 Kulturredakteurin der in Ludwigshafen erscheinenden Tageszeitung "Die Rheinpfalz"; regelmäßige Mitarbeit bei der Zeitschrift "film-dienst", Publikation über den deutschen Stummfilmregisseur Franz Hofer (1999), Mitarbeiterin für Deutschland für das Jahrbuch "International Film Guide" (seit 2007), Beiträge für Filmbücher und Lexika.

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