Julieta: Strahlende Farben und pure Emotionen (artechock.de)

Die Panama-Papers brachten europäi­sche Politiker, Sportler und Künstler mit Steu­er­hin­ter­zie­hung in Verbin­dung. Auch der wohl wich­tigste Regisseur des spani­schen Gegen­warts­kinos, Pedro Almodóvar, befand sich zusammen mit seinem Bruder und Produ­zenten Agustín Almodóvar auf dieser schwarzen Liste. Agustín gab an von 1991 bis 1994 eine Brief­kas­ten­firma namens Glen Valley Corpo­ra­tion auf den Briti­schen Jung­fern­in­seln betrieben zu haben, wobei die besagten Jahre auffal­lend mit den ersten großen Publi­kums­er­folgen seines Bruders Pedro Frauen am Rande des Nerven­zu­sam­men­bruchs, Fessle mich! Kika und Kika zusam­men­fallen. Im Zuge des Panama-Papers-Skandals sagte Pedro Almodóvar alle, im Zuge seines neuen Kinofilms Julieta geplanten, öffent­li­chen Auftritte und Pres­se­ter­mine in Spanien ab – zu sehr war zu befürchten, dass die prekäre Finanz­af­färe die Veröf­fent­li­chung seines 20. Spiel­films gänzlich über­schatten könnte. Dabei ist Julieta nach dem leicht­ge­wich­tigen Flug­zeug­film »Die flie­genden Liebenden« eine gelungene Rück­be­sin­nung Almo­dóvars auf seine erfolg­rei­chen Werke der 1990er Jahre. Mit zwei hervor­ra­genden Haupt­dar­stel­le­rinnen in der Titel­rolle präsen­tiert sich Julieta aber zugleich auch als ein für den Regisseur unge­wöhn­lich ernsthaft-schnör­kel­loses Drama, das einmal mehr mit einer exqui­siten Farb­dra­ma­turgie und der fein­füh­ligen Beob­ach­tung der Psyche seiner Prot­ago­nistin aufzu­warten weiß.

Eigent­lich plant Julieta (Emma Suarez) zusammen mit ihrem Lebens­ge­fährten Lorenzo (Darío Gran­di­netti) von Madrid nach Portugal zu ziehen. Doch bei einem finalen Gang durch die Straßen des Viertels trifft sie zufällig auf die beste Freundin ihrer, seit über zwölf Jahren verschol­lenen, Tochter Antía. Auf einmal holen Julieta wieder ihre verdrängten Schuld­ge­fühle sowie die schmer­zende Frage ein, warum ihre Tochter sich zu ihrem acht­zehnten Geburtstag gänzlich von ihr abwandte. Sie entschließt sich, dazu allein in Madrid zu bleiben und sich mit ihrer schmerz­vollen Vergan­gen­heit ausein­an­der­zu­setzen. Ausgehend von der Rahmen­hand­lung in der Julieta ihre Lebens­ge­schichte nieder­schreibt, blickt der Film auf ihre Erin­ne­rungen zurück, die mit einer schick­sal­haften, nächt­li­chen Zugfahrt in den 1980er Jahren beginnen, bei der Julieta auf den Fischer Xoan (Daniel Grao) trifft. Die leiden­schaft­liche Beziehung zu Xoan und das familiäre Glück nach der Geburt der gemein­samen Tochter Antía soll jedoch durch einen Unfall ein abruptes Ende finden. Die Vermei­dung von zentralen Ausein­an­der­set­zungen erfüllt Julieta mit einem erdrü­ckenden Gefühl der Schuld, das ihr Leben nach­drück­lich prägen soll.

Die freie Adaption dreier unab­hän­giger Kurz­ge­schichten aus Alice Munros Erzähl­band „Tricks“, die sich die Prot­ago­nistin Juliet teilen („Entschei­dung“, „Bald“ und „Schweigen“), sollte eigent­lich Almo­dóvars erster englisch­spra­chiger Film mit inter­na­tio­nalen Darstel­lern werden, doch entschied sich der Regisseur schließ­lich dazu, die Film­hand­lung in das heutige Spanien zu verlegen. Almodovar verzichtet in Julieta auf eine allzu kompli­ziert-verspielte Story­füh­rung, jegliche komö­di­an­ti­schen, über­drehten Einschübe oder die ihn stets faszi­nie­rende Gender­the­matik und präsen­tiert vielmehr ein ernst­haftes, konzen­triertes und damit auch natür­li­cher erschei­nendes Lebens­drama einer Frau, die von Miss­ver­s­tänd­nissen, unaus­ge­spro­chenen Geheim­nissen und dem Gefühl der Schul­dig­keit ange­trieben wird.

Gleich die ersten Szenen, in denen ein wehender roter Vorhang wie ein schla­gendes Herz anmutet, lassen unmiss­ver­s­tänd­lich die Hand­schrift des spani­schen Meisters der kräftigen Farben erkennen. So sind die Farben der Kleidung und der Dekors einmal mehr nicht nur optisch betörend aufein­ander abge­stimmt, sondern zugleich mit ihrer über­höhten Symbolik auch essen­ti­elle Mosa­ik­steine auf den Spuren der emotio­nalen Auslotung der Figuren. Da wäre die ebenfalls blutrote, abstrakte Männerskulptur aus Terra­cotta, die Julieta an ihre mögliche Schuld am Tode ihres Mannes Xoan gemahnt, oder das Weiß ihrer Kleidung und ihrer sterilen Wohnung in Madrid, als sie glaubt ein neues Leben ohne den Ballast der Vergan­gen­heit beginnen zu können und ihren inneren Frieden wieder­ge­funden zu haben glaubt. Oder ihr strahlend blauer Pullover, der in dem altmo­disch erschei­nenden Zugabteil, in dem ihre schick­sal­haften Erin­ne­rungen beginnen, wie ein Statement zu Lebens­freude und einer hoff­nungs­vollen Zukunft aufleuchtet – Almodóvar stellt in Julieta einmal mehr sein feines Gespür für leuch­tende Farben und ins Auge sprin­gende Farb­schat­tie­rungen und –kontraste heraus. Wobei der Regisseur die Rück­blende in die 1980er Jahre voller Begeis­te­rung nutzt, um die verspielten Muster und Farb­kom­bi­na­tionen seiner Filme dieser Ära wieder aufleben zu lassen. (1) Mit Rossy de Palma (Kika) kehrt zudem auch eine Muse Almo­dóvars aus dieser Zeit für Julieta auf die große Leinwand zurück und nimmt voller Spiel­freude eine Schlüs­sel­rolle als Zwie­tracht säende Haus­häl­terin ein, welche das persön­liche Drama der Prot­ago­nistin befeuert.

Die Geschichte der zentralen tragi­schen Frau­en­figur Julieta soll sich letztlich über drei Jahr­zehnte hinweg erstre­cken. Dabei entschied sich der Regisseur dazu Adriana Ugarte (Palmen im Schnee) die junge, und Emma Suárez (Tierra) die sichtlich vom Leben gezeich­nete, ältere Julieta verkör­pern zu lassen. Während Ugarte die Herz­lich­keit und Begeis­te­rungs­fähig­keit in Julietas jungen Jahren gelungen zum Ausdruck bringt, ist es Suárez’, welche mit ihrer Darstel­lung der von Schmerz und Selbst­vor­würfen beherrschten Frau begeis­tert. Mit glasigen, starren Augen macht sie die schwer­lich zu durch­drin­genden Nebel­schwaden der Depres­sion erfahrbar, die Julieta nach dem tragi­schen Verlust Xoans in ihrem Leben umgeben. Auch für den Wechsel der beiden Haupt­dar­stel­le­rinnen findet der Regisseur eine sinnige Szene, die das Altern in Anbe­tracht einer Krisen­si­tua­tion verdeut­licht.

Almo­dóvars 20. Spielfilm ist ein bewe­gendes Werk in strah­lenden Farben. Trotz der Ausstat­tungs­wucht erreicht der Regisseur mit seiner Rückkehr zum frau­en­zen­trierten Drama nicht ganz die Brillanz und erzäh­le­ri­sche Raffi­nesse von Volver oder Sprich mit ihr, doch verquickt Julieta auf gelungene Weise Almo­dóvars filmische Hand­schrift mit einer neu hinzu­ge­won­nenen strin­genten Ernst­haf­tig­keit und Natür­lich­keit.

Ulf Lepelmeier

(1) In Jorge Luengo Ruiz sehens­wertem Mashup-Video, das sich aus Szenen verschie­dener Werke Almo­dóvars zusam­men­setzt, wird der Obsession des Regis­seurs für die Farbe der Liebe und des Verlan­gens gehuldigt. („Pedro Almodóvar’s Obses­sions (I): Red Color“. Mashup von Jorge Luengo Ruiz)

-> Erschienen auf artechock.de: https://www.artechock.de/film/text/kritik/j/juliet0.htm