Filmkritik: This ain’t California

Rollbrettfahrer in der
DDR

Fakt
und Fiktion in „This ain't California“

Es
waren einmal drei Jungs aus Magdeburg, die in den 80er Jahren das
Skateboarden für sich entdeckten. Sie bauten sich ihre Rollbretter
selbst, übten auf rissigem Asphalt erste Tricks und filmten sich
dabei mit der Super8-Kamera. Einer von ihnen, genannt Dennis „Panik“
Panicek, schloss sich dann in Berlin der Rollbrett-Clique auf dem
Alexanderplatz an. Schnell avancierte er zu der
Figur der Skater-Subkultur, über die heute, nach seinem Tod, noch
jeder DDR-Rollbrett-Veteranen eine Geschichte zu erzählen zu haben
scheint.

Marten
Persiels Film „This ain't California“ erzählt eben diese
Geschichte(n) aus einem vergangenen Land. Paniks alte Kumpels kommen
zusammen und erinnern sich an ihren Freund und alte Zeiten. Aus ihren
Gesprächen am Lagerfeuer, einer Menge spektakulärem
Super8-Material, Interviews, TV-Ausschnitten, animierten Szenen und
einem 80er Jahre Soundtrack setzt sich ein buntes Mosaik zusammen,
das nicht nur eine bewegende Biografie erzählt, sondern vor allem
ein Lebensgefühl heraufbeschwört. Zusammgehalten wird die „modern
erzählte Collage“ (Persiel) durch die pointierte Erzählung eines
Freundes von Panik aus dem Off, vorgetragen mit einer Stimme, die
ganz professionell alle Register zieht.

Ein
in jeder Hinsicht versiert gemachter, wirklich mitreißender
Dokumentarfilm – könnte man meinen. Doch was haben „Casting“,
„Maske“ und „Kostümbild“ im Abspann zu bedeuten? Einige der
Super8- und Archivaufnahmen wurden inszeniert, das sei doch legitim,
um eine wahre Geschichte besser erzählen zu können, so der
Regisseur auf kritische Nachfragen, nachdem der Film auf der
Berlinale gefeiert wurde. Inzwischen hat sich der „dokumentarische
Trip“ (Presseheft) als eine veritable „Doku-Fiction“ entpuppt:
Paniks Freund erzählt so professionell, weil er im echten Leben gar
nicht Paniks alter Kumpel, sondern die Synchronstimme von Johnny Depp
ist. Panik selbst ist so charismatisch, weil er eine fiktive Figur
ist, gespielt von Kai Hillebrand. Die drei Freunde aus Magdeburg hat
es nie gegeben. Was bleibt, ist ein perfekt gestalteter Film über
die real existierende Rollbrett-Szene der DDR, sehr unterhaltsam,
keine Frage. Wie die Filmemacher dabei Fiktion stillschweigend als
Fakt verkaufen, ist allerdings sehr fragwürdig.

(erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 16.08.2012)

Kirsten Kieninger

Filmschnittmeisterin, Kommunikationswirtin und Filmkritikerin.

Während des Studiums der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin die Vorliebe für das bewegte Bild entdeckt.
Als Diplom Kommunikationswirtin dann beschlossen, das Medium Film wirklich zu begreifen und dahin zu gehen, wo Filme tatsächlich entstehen: in den Schneideraum.
Studium der Filmmontage an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Seit 2002 Diplom Schnittmeisterin.

Als freie Filmeditorin bevorzugt Schnitt von Dokumentarfilmen, als Autorin vor allem Filmkritiken und Essays, Festivalberichte und Interviews (u.a. für Rhein-Neckar-Zeitung, kino-zeit.de, Film&TV Kameramann).

Besonderes Interesse für die Konstruktion und Wahrnehmung von Wirklichkeit im Film und die Repräsentation von Realität im Dokumentarfilm - immer auch mit Blick auf die Kunst der Filmmontage.

Engagiert im Programmrat des Karstorkino Heidelberg.

FIPRESCI-Juries:
DOK Leipzig 2012
Thessaloniki Documentary Festival 2013
Flahertiana Documentary Festival Perm 2014
Thessaloniki Documentary Festival 2015

www.gegenschnitt.de
www.kirstenkieninger.de