Festivalbericht: Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Traditionelles
Vertrauen auf Newcomer

60 Jahre
Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg wurden vom 10. – 20.
November gefeiert: Gegründet 1952 als „Mannheimer Kultur- und
Dokumentarfilmwoche", ab 1961 als „Internationale Filmwoche
Mannheim" auch mit Spielfilmen im Programm und seit 1991 in
Kooperation mit Heidelberg in seiner jetzigen Form aufgestellt. Dr.
Michael Kötz, der amtierende Direktor des traditionsreichen
Festivals ist seit 20 Jahren dabei und setzte wieder auf eine
„handverlesene Filmauswahl" und sein „Kuratierungsprinzip":
Ein mit nur 39 aktuellen Spielfilmen überschaubares Programm, in dem
die außerhalb ihrer Heimatländer kaum bekannten Filmemacher nicht
in der Masse untergehen. „Wir
vertrauen zu hundert Prozent auf die Newcomer, die wir zeigen" sagt
Dr. Kötz. Die Filmauswahl des Jubiläumsjahrgangs hat die rund
56.000 Zuschauer sicher nicht enttäuscht. Die Qualität der Filme
war bis auf einzelne Ausrutscher erstaunlich hoch und konnte getrost
auf Star-Appeal verzichten.

Zu den
wirklich herausragenden Entdeckungen im „Internationalen
Wettbewerb" zählte neben Parked
von Darragh Byrne (Bild: John Conroy) Le
Vendeur
von
Sébastien Pilote (Bild: Michel La Veaux). Das Spielfilmdebüt des
Franco-Kanadiers entfaltet in ruhig beobachtender Chronologie und im
Cinemascope-Format atmosphärisch dicht erzählt das sensible Porträt
eines Mannes, dessen Leben erschüttert werden wird. Auch in der
Reihe „Internationale Entdeckungen" fielen einige Filme auf, die
mit viel Respekt für ihre Protagonisten emotional intensive
Kino-Erzählungen schaffen: die unkonventionelle Geschichte einer
sympathischen Transe (Mía
von
Javier Van de Couter, Argentinien, Bild: Miguel Abal), die
verstörende Geschichte eines Kriegsveteranen (Oliver
Sherman
von
Ryan Redford, Kanada, Bild: Antonio Calvache) und die kraftvolle
Geschichte einer aus dem Gefängnis entlassenen Frau (Here
I am
von
Beck Cole, Australien, Bild: Warwick Thornton). Im dramaturgischen
Gegensatz dazu gab es viele multiperspektivisch montierte Filme zu
sehen, darunter Rah
Raftan Roye Rail
(Regie:
Babak Shirinsefat, Iran, Montage: Mehdi Parizad) und Bein
Hashmot
(Regie:
Alon Zingman, Israel, Montage: Etty Li-On Zingman). Als
„bester Film mit unkonventioneller Erzählstruktur" ausgezeichnet
wurde der Film, der den breiten Publikumsgeschmack getroffen hat:
Chinese zum
Mitnehmen
von
Sebastián Borensztein (Un
Cuento Chino,

Argentinien, Bild: Rodrigo Pulpeiro).

Abgerundet
wurde das Jubliäumsprogramm durch die Sonderreihe „Zurückgespult"
mit17 Filmen aus der Festivalgeschichte, darunter die Spielfilmdebüts
von Jarmusch, Wenders, Truffaut, Kie?lowski und vielen anderen
„Mannheimer Entdeckungen" mehr.

Im
Rahmen des Festivals fand das Branchenforum „Mannheim Meeting
Place" zum zweiten Mal in seiner neuen Form statt: Schon im Vorfeld
werden Koproduktionsinteressenten von Julek Kedzierski
zusammengebracht, um sich während des Festivals ergebnisorientiert
treffen zu können. 70 Teilnehmer aus 25 Ländern haben die Plattform
diesmal genutzt.

(von Kirsten
Kieninger für "Film&TV Kameramann", erschienen in Ausgabe 01/2012)

Kirsten Kieninger

Filmschnittmeisterin, Kommunikationswirtin und Filmkritikerin.

Während des Studiums der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin die Vorliebe für das bewegte Bild entdeckt.
Als Diplom Kommunikationswirtin dann beschlossen, das Medium Film wirklich zu begreifen und dahin zu gehen, wo Filme tatsächlich entstehen: in den Schneideraum.
Studium der Filmmontage an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Seit 2002 Diplom Schnittmeisterin.

Als freie Filmeditorin bevorzugt Schnitt von Dokumentarfilmen, als Autorin vor allem Filmkritiken und Essays, Festivalberichte und Interviews (u.a. für Rhein-Neckar-Zeitung, kino-zeit.de, Film&TV Kameramann).

Besonderes Interesse für die Konstruktion und Wahrnehmung von Wirklichkeit im Film und die Repräsentation von Realität im Dokumentarfilm - immer auch mit Blick auf die Kunst der Filmmontage.

Engagiert im Programmrat des Karstorkino Heidelberg.

FIPRESCI-Juries:
DOK Leipzig 2012
Thessaloniki Documentary Festival 2013
Flahertiana Documentary Festival Perm 2014
Thessaloniki Documentary Festival 2015

www.gegenschnitt.de
www.kirstenkieninger.de