Das Mädchen und die Spinne

Nach ihrem Spielfilmdebüt „Das merkwürdige Kätzchen“ (2013), das auf der damaligen Berlinale einen kleinen Hype auslöste, melden sich die Schweizer Zwillinge Ramon und Silvan Zürcher mit einer neuen Arthouse-Perle zurück. Bildsprachlich minimalistisch und fein überzeichnet erzählen sie in „Das Mädchen und die Spinne“ von Trennungsschmerz und der Beliebigkeit von Veränderungen. Eigenwillig, meisterhaft!

Der Grundriss einer nahezu perfekt aufgeteilten Dreizimmerwohnung: Alles hat seine Ordnung und jede*r einen festen Platz. Doch damit ist es jetzt vorbei, denn Lisa (Liliane Amuat) zieht aus und Mara (Henriette Confurius) bleibt zurück. Während in der neuen, noch leeren Wohnung die Umzugshelfer rumwuseln, Kisten schleppen, Schränke aufbauen und Reparaturen durchführen, harrt Mara mit glasigem Blick im Hintergrund. Sie versucht, sich emotional auf die nahende Verabschiedung ihrer Mitbewohnerin und guten Freundin einzustellen. Sie spürt, dass sich ihre Welt verschiebt und aus der Balance gerät. Und sie muss sich unaufgeräumten Gefühlen stellen. Im Laufe des Tages, der Nacht und des neuen Morgens entfaltet sich auf kleinem Raum ein Gewirr von Beziehungen und Begegnungen. In der Aufbruchsstimmung wird sich bang an Altes geklammert, kleine Neider werden geweckt und verbale Giftspritzen ausgeteilt – aber auch neue Bande geknüpft. Der gemeinsame Alltag, oberflächlich intakt, ist unterschwellig vorübergehend aus den Fugen geraten.

Was die Schweizer Zwillingsbrüder vor etwa 8 Jahren in „Das merkwürdige Kätzchen“ begonnen, entwickeln sie in „Das Mädchen und die Spinne“ (dem wohl zweiten Teil einer geplanten „losen Trilogie über menschliches Zusammensein“) weiter. In kristallklaren Bildern sezieren sie genussvoll die Absurdität und Widersprüchlichkeit, die unserer zwischenmenschlichen Kommunikation oft innewohnt. Man könnte fast behaupten: Sie entlarven diese als ständigen Drahtseilakt der kleineren Missverständnisse und des aneinander Vorbeiredens. Ein Wunder, dass wir dabei nicht andauernd abzustürzen! Für diesen fragilen Schwebezustand erfinden die talentierten Regisseure eine ganz eigene Poetik des Sehens und Gesehenwerdens, in der die Protagonist*innen mit ihren distanzierten Lächeln und ihrer Frostigkeit fast wie Wachsfiguren wirken. Dass der Film trotzdem noch subtil eine große Wärme ausstrahlt und nicht zum unterkühlten Psychogramm wird, stellt hierbei das allergrößte Kunststück dar.

In Zeiten, wo man als Zuschauer von Film- und Serienangeboten regelrecht überflutet wird, ist es für junge Filmemacher*innen immer schwieriger, aus der Masse aufzutauchen. Doch genau das gelingt den Gebrüdern Zürcher mit Bravour: Sie präsentieren ein zuweilen gespenstisches Beziehungsgeflecht, dem sie mit kleinen Realitätsausbrüchen und sehnsuchtsvoller Verträumtheit ihren ganz eigenen Touch geben. Ihre verschrobenen ästhetischen Spielereien veredeln diesen kleinen Trennungs-Walzer mit einem hohen Wiedererkennungswert und machen ihn ungemein faszinierend!