Notizen zum Kino 5: Das Wort ist nicht genug

Das Wort ist nicht genug
Wie wir neu über Film nachdenken
Zweite Podiumsdiskussion im Berliner Filmhaus am 20. November 2008

An dem Podium nahmen teil:
Michael Baute, Redakteur bei www.newfilmkritik.de,  www.kunst-der-vermittlung.de
Thomas Groh, http://filmtagebuch.blogger.de, Autor bei Splatting Image
Sascha Keilholz, Redakteur bei www.critic.de (VDFK)
Gerhard Midding, Autor bei Berliner Zeitung, epd Film (VDFK)
Moderation: Claudia Lenssen, Filmkritikerin (VDFK)

Claudia Lenssen: Volker Pantenburg hat in seinem Vortrag die Haltung beschrieben, aus der heraus Texte bei newfilmkritik publiziert werden. Mich würde interessieren, ob es so etwas wie eine Re­daktion gibt. Gibt es einen Filter innerhalb der Gruppe, eine Auseinandersetzung, bevor man etwas ins Netz stellt?

Michael Baute: Nein, es gibt nur einen Filter: Indem man etwas veröffentlicht, ist man, wie Volker eben gesagt hat, einer verschärften Autorenethik unterlegen. Man muss selbst entscheiden, ob das ein guter Text, ein gutes Bild oder ein interessanter Link ist. Natürlich entwickelt sich da eine Haltung. Als Ludger Blanke und ich die Seite 2001 gegründet haben, faszinierte uns, was für Stimmen und Formen sich in den Blogs um uns herum artikulierten. Unser Impuls zielte nicht darauf, Filmkritiken zu schreiben, sondern ein Forum für Stimmen zu finden. Wir versuchen, so wenig wie möglich zu regulieren. So entstehen Frequenzen und Intervalle – Autoren, die eine bestimmte Zeit schreiben und dann aufhören die man als Redakteur auch nicht kontrollieren will.

Sascha Keilholz: Bei critic.de ist das anders. Bei uns werden in der Regel mehrere Redakteure in den Redigierprozess eingebunden; es gibt eine genaue Arbeit am Text, eine Diskussion, die von den Autoren auch geschätzt und gewünscht ist. Bei newfilmkritik.de ist der Formenreichtum insgesamt sicher größer, während wir bei critic.de die am klassischen Vorbild orientierte Filmkritik als Basis begreifen. Das heißt nicht, dass wir nicht auch Essays veröffentlichen oder Foren zu bestimmten Themen schaffen. Was uns alle verbindet, ist die Vorstellung dessen, was Filmkritik, egal in welchem Medium, sein sollte, eine geteilte Auffassung von Cinephilie, bei der der Gegenstand in den Vordergrund und der Autor gegebenenfalls in den Hintergrund rückt.

Thomas Groh: Das Schreiben im Internet ist offener an den Rändern. Man kann einzelne Momente oder Szenen beschreiben, man muss nicht der klassischen, feuilletonistischen Filmkritik folgen, sondern kann einfach einzelne Beobachtungen stehen lassen. Zu Beginn weiß ich oft nicht, was ich schreiben werde. Am Ende kommt dann entweder etwas völlig Hermetisches heraus oder etwas eher Feuilletonistisches. Das ist ein eruptives Schreiben. Es ist nicht mehr wichtig, den einen, monolithischen Text zu verfassen. Eine Gesamtperspektive ergibt sich dann vielleicht in der Zu­sammenschau dessen, was mehrere Leute zu ei­nem Film oder Thema schreiben.

Gerhard Midding: Diese Freiheit ist für einen Printautor verlockend. Der große Unterschied liegt natürlich im freizügigen Umgang mit der Länge. Ein einzelner Satz kann einen wunderschönen Nachhall haben, der in Printmedien undenkbar ist, weil kein Redakteur ihn allein und danach nur Leerzeilen stehen lassen würde.

Claudia Lenssen: Ist nicht auch eine wahrnehmbare Entwicklung im Internet, dass eine Verdrängung stattfindet oder auch eine Beschleunigung, ein immer schnellerer Taktschlag von Meinungs­äußerungen?

Thomas Groh: Auf populären Online-Seiten muss man rasch wechselnde Inhalte schaffen. Wenn mehr als drei Stunden kein neuer Text erschienen ist, oder die Reihenfolge der Texte nicht verändert wurde, droht das Interesse zu versinken. Ich lese allerdings nicht viele Zeitungsblogs, weil ich sie meist nicht gut finde. In der Blogszene, in der ich mich bewege und umschaue, ist eben auch das Schweigen anzutreffen. Ich selbst habe zwei Monate lang nichts geschrieben. Das ist ein Luxus, den man sich gönnen kann, wenn man nicht davon leben muss. Man schreibt nach einem eigenen Gutdünken, sucht neue Andock-Punkte. Man hat kein Projekt, verfolgt keinen Plan, im nächsten Monat 1000 Seitenzugriffe mehr zu erzielen. Aber ich sehe diese Dichotomie auch, dass in den Zeitungen eine Verdrängung stattfindet, während die Veröffentlichungen in persönlichen Blogs eher komplementäre Phänomene sind.

Michael Baute: Eine Ideologie oder Ästhetik des Schreibens hat für mich nicht unbedingt etwas mit Gemeinsamkeit zu tun. Man kann ja auch bösartige, aggressive oder torpedierende Links aussuchen. Mich interessieren allerdings verschiedene Mechanismen der Meinungsmacherei nicht mehr, die ich seit 20 Jahren beobachte. Da gibt es einen Frank Schirrmacher, der die Meinungshoheit an sich reißt, und der Filmkritiker darf erst einige Tage später über den Film schreiben. Oder es entwickelt sich alle drei Jahre eine Diskussion wie die um Rohrbachs Polemik. Die fuhren für eine Weile gegensätzliche Positionen zusammen, was auch richtig sein mag. Aber danach enden sie in einem rhetorisch sehr unangenehmen Konsens. Diese Gemeinsamkeit nicht zu suchen, in solche Debatten nicht einsteigen zu müssen, finde ich als Haltung enorm wichtig. Das „I would prefer not to“, von dem Völker sprach, hat es seit Jahrzehnten in Deutschland nicht gegeben: das aggressive, wissende Ignorieren

Gerhard Midding: Diese Form des Rückzugs, etwas nicht zu kommentieren, obwohl es doch alle anderen tun, kann etwas sehr Würdevolles sein. Thomas Groh hat das Blogschreiben einmal als eine Gegenöffentlichkeit definiert: Man schreibt nicht über das, was einem vom Markt als Thema vorgesetzt wird, sondern man sucht sich seinen Gegenstand selbst aus. Das sind ein ungeheures Privileg und ein wunderbares Tor, durch das man die Cinephilie wieder in die deutsche Filmkritik zurückholen könnte.

Michael Baute: An den Feuilletons stört mich zum Beispiel, dass sehr viele der Sehtechniken, die sich durch das Internet und das Aufkommen der DVD verändert haben, sich dort überhaupt nicht nie­derschlagen. Es gibt keine wirklich qualifizierte DVD-Kritik, auch im Netz noch nicht. Üblicherweise werden alte Texte leicht aktualisiert. Über einen Film von Howard Hawks wird so geschrieben, wie 1976 darüber geschrieben wurde. Aber nun haben wir es mit einem Hawks auf DVD zu, mit einem Bonusmaterial, das in einer bestimm­ten Anordnung, präsentiert wird. Das ist etwas anderes. Mich wundert, wie schläfrig das Feuilleton in diesem Punkt ist. Dafür gibt es sicher auch ökonomische Gründe.

Claudia Lenssen: Das ist schlüssig, weil die übliche Feuilletonkritik zum Starttermin erscheinen muss. Da muss man erst einmal ein paar Zeilen darüber schreiben, worum es in dem Film geht. Das ist aber eine Textform aus einer Zeit, bevor die Zuschauer Filme auf DVD sahen, sich aus dem Netz herunterladen oder einen Trailer sehen konnten. Heute könnten sich Kritiken eigentlich ändern, weil man davon ausgehen kann, dass die Leser schon vorher Bilder sehen. Es scheint mir, als bliebe der Journalismus Formen verhaftet, die historisch eben einfach etabliert sind.

Gerhard Midding: Wir haben diese Diskussionsrunde „Das Wort ist nicht genug“ genannt. Ekkehard Knörer behauptet, die einzige originäre neue Form, die das Netz hervorgebracht hat, sei der Link. Diese Vernetzung gibt mir die Möglichkeit, eine Behauptung sofort zu verifizieren, die Glaub­würdigkeit eines Textes zu überprüfen. Andererseits ist es ein nicht nur mäandrierendes, sondern abgelenktes Lesen. Wenn ich einem Link folge, folge ich nicht unbedingt der Logik des Textes. Es wird einkalkuliert, dass der Leser nicht linear dabei bleibt.

Sascha Keilholz: Der User kann und muss viel stärker eine Auswahl treffen aus dem gleichzeitig exis­tierenden Angebot, das das Verlinken darstellt. Er kann sich entscheiden, dem Fluss des Textes zu folgen oder in einem bestimmten Moment aus­zusteigen und einem Querverweis nachzugehen. Ich würde aber nicht das Leseverhalten in den verschiedenen Medien gegeneinander ausspielen.

Gerhard Midding: Die Zeitschrift Film Comment hat ja vor einigen Monaten eine Diskussion über Filmkritik und Internet veranstaltet. Das war ein international besetztes Podium, bei dem viel über veränderte Arbeitsbedingungen gesprochen wurde. Aber es war auffällig, wie wenig das Spezifische des Schreibens an diesem neuen Ort diskutiert wurde. Es scheint sehr schwierig zu sein, das zu benennen. Eine Utopie wäre eine Internet-Kritik, die ganz auf das Wort verzichten kann. Aber wie soll man sie sich vorstellen?

Michael Baute: Die Mitarbeiter der australischen Seite Senses of Cinema haben zum Beispiel mit der Zeit entdeckt, dass man viel mehr mit Abbil­dungen arbeiten kann. Man kann sich filmischen Ausdrucksformen stärker annähern, indem man beispielsweise auch Abbildungen wiederholt. Es gibt erstaunliche Möglichkeiten etwa der Zitatcollage. Matt Zoller Seitz macht auf The House Next Door seit etwa einem Jahr Videoanalysen. Sie folgen nicht den klassischen Vorgaben eines Podcast mit Kommentar aus dem Off, sondern er lässt Filme sich gegenseitig kommentieren, ohne in eine Avantgarde-Attitüde zu verfallen, sondern sehr sachlich und kundig. Dafür, dass er eigent­lich nicht beim Fernsehen und in audiovisuellen Medien arbeitet, hat er ein erstaunliches Gefühl für Rhythmik, für Bild-Ton-Verhältnisse. Es lohnt sich, sich das einmal anzuschauen.

Claudia Lenssen: Und wie verhält es sich in seinem Fall mit dem Rechte-Problem? Das ist oft ja eine Schranke.

Michael Baute: Ich glaube, man muss es einfach machen. Und wenn sich dann jemand beschwert, nimmt man es wieder von der Seite herunter. Die Drohung mit Juristen ist immer auch Panikmache. Er ist befreundet mit Wes Anderson und hat jetzt einen Vergleich zwischen dessen Filmen und den Peanuts-Cartoons angestellt. Er entdeckt da eine ähnliche Ästhetik, in den Wes-Anderson-Filmen findet er die Welt der Cartoons aktualisiert und arbeitet das in seiner Analyse heraus. Ich denke, weil er mit dem Regisseur befreundet ist, wird er dessen Zustimmung bekommen haben.

Claudia Lenssen: Wie hält es critic.de mit der Arbeit mit Bildern? Haben sich allgemein im Netz da schon bestimmte Konventionen durchgesetzt?

Sascha Keilholz: Als Autor sollte man neue Techniken ausprobieren. Im filmtheoretischen Bereich, beispielsweise an der FU in Berlin, wird das Netz bereits für eine intensive Arbeit mit Bildmaterial genutzt. Das bedeutet allerdings auch einen ungeheuren Aufwand, und nicht jeder, der ein guter Autor ist, kann auch automatisch Filmausschnitte gut montieren. Die Rechtefrage ist jenseits der ak­tuellen Filmrezensionen, wenn man beispielswei­se ältere DVDs oder Fernsehsendungen bespricht, schwierig. Eigentlich wäre das Internet genau der Ort, an dem man mit den Möglichkeiten expe­rimentieren könnte. Aber wir sind da insgesamt noch vorsichtig.

Thomas Groh: Ich bin eigentlich ein Freund einer solchen Anarchie, halte mich aber eher bedeckt, Copyright-Geschütztes auf meine Seite zu stellen. Andererseits gibt es in den USA ein relativ laxes Fair-Use-Gesetz, wo man unter bestimmten Bedingungen sehr gut mit dem Material umgehen kann. Von Filmbuch-Verlagen werden meines Wissens auch nicht immer die Bildrechte eingeholt.

Gerhard Midding: Ich kenne das Problem aus der Arbeit beim Fernsehen. Die Filmredaktion des WDR ist immer sehr kreativ und mutig damit umgegangen. Wenn man einen Ausschnitt in einen bestimmten Kontext stellt, wenn eine interviewte Person vorher oder nachher über die Szene spricht oder im Autorentext auf sie Bezug genommen wird, fällt er unter das Zitatrecht. Anfangs haben wir uns Sendungen noch mit Hausjustiziaren angesehen, um das wasserdicht zu machen. Und es funktionierte auch immer. Bei fest in den bekannten Feuilletons etabliert hat, hat man das Problem, nur mit der Auswahl an Material arbeiten zu können, die der Verleih zur Verfügung stellt. Und man ist streng an die Aktualität gebunden.

Claudia Lenssen: Im Hörfunk ist es ähnlich. Man wird angehalten, die Beiträge so aufzubauen, dass man Bezug auf die Ausschnitte nimmt. Ich würde mir wünschen, dass da mehr Experimente gewagt würden.

Michael Baute: Warum verlagern wir das in den Konjunktiv? Man sollte, man könnte. Das ist das Problem mit solchen Podien, da findet immer eine Verlagerung in die wünschbare Zukunft statt.

Claudia Lenssen: Sind es nicht doch wesentlich alte Genres, diskursive Formen, die sonst in an­spruchsvollen Büchern und Zeitschriften veröffentlicht wurden und die in das neue Medium hinüber gerettet werden, weil sie aus der konventionellen Filmpublizistik verschwunden sind?

Volker Pantenburg (aus dem Publikum): Ein Beispiel wären die Dossiers zu den Straub-Huillet-Filmen, die Klaus Volkmer zusammenstellt. Wenn man sie ausdrucken würde, wären das 50 Seiten. Er fragt Autoren an, übersetzt Texte aus dem Französischen, stellt Bilder aus der Filmkopie hinein, macht das also mit einer ungeheuren Sorgfalt. Früher hat er die Dossiers fünfzigmal kopiert und sie an die internationale Straub-Community verschickt. Nun stehen sie im Internet und haben andere Folgen, weil sie vielleicht ein Leser in Los Angeles entdeckt und daraus übersetzt. Da wird eine bestimmte Art von Fortwirken von Filmgeschichte repräsentiert. In den 70er und vielleicht auch 80er Jahren hatten diese Filme noch einen Ort in der Filmpublizistik.

Claudia Lenssen: Sprechen wir auch einmal über die Chance der Interaktivität, das Verhältnis von Autor und User im Internet. Nehmt ihr das als Dialog wahr?

Thomas Groh: Jeder kann ja prinzipiell sein eigenes Blog machen. Ich lasse aber auch Kommentare zu. Ich reagiere nicht häufig auf sie, es sind auch nicht so viele. Sie sind eine nette Komplementärfunktion, man bekommt Widersprüche, andere Bezugspunkte, Hinweise oder Links. Es gibt auch immer wieder Leute, die meinen, sie müssten einen beleidigen. Aber mein Blog ist mein verlängertes Wohnzimmer, wem es nicht passt, der muss nicht zu Besuch kommen. Diskussionen fin­den auch eher in den Internetforen statt, in denen sich mehr Menschen tummeln und austauschen, als auf den Weblogs. Wenn mich ein anderes Blog verlinkt, kommen fünf Leute zu mir herüber. Wenn mich ein Internetforum verlinkt, habe ich ein paar hundert Leute.

Gerhard Midding: Für Autoren, die in Zeitungen und Zeitschriften schreiben, ist die Kommentarfunktion faszinierend, weil wir ja nicht genau wissen, für wen wir Scheiben. Im Grunde dürfte das die Sehnsucht jedes Kritikers sein, sein Publikum im Dialog kennenzulernen. Meine Erfahrung aus Tageszeitungen ist aber entmutigend. Was man in den angehängten Kommentaren liest, sind meist wenig fundierte, oft neunmalkluge und bisweilen rotzige Meinungsäußerungen. In amerikanischen Diskussionen zu dem Thema ist mir aufgefallen, wie häufig dort der Begriff der civility eingeklagt wird, einer zivilisierten Gesprächskultur. Es herrscht eine große Sorge um den Tonfall. Das hat womöglich schon mit dem Medium zu tun. Patrick Goldstein hat in seiner Kolumne „The Big Picture“ in der Los Angeles Times vor einigen Monaten einmal das Phänomen der Hass-Mails untersucht und Kritiker zu den Reaktionen befragt, die sie auf Verrisse von The Dark Knight erhielten. Unglaublich, was sich da zum Teil an homophoben oder antisemitischen Ressentiments Bahn brach! Und trotzdem interessiert uns Kritiker die Frage des Gegenübers brennend.

Sascha Keilholz: In dieser Hinsicht ist die Kommentarfunktion schon mit einer Hoffnung, einer Utopie verbunden. Das Internet ist natürlich der ideale Ort für eine interaktive Auseinanderset­zung, die in den Feuilletons kaum geführt wird. Das Sprechen über Film darf nach meiner Ansicht nicht, wie man es im Selbstverständnis mancher Redakteure spürt, auf ein Sender-Empfänger-Ver­hältnis reduziert werden. Ich stelle als Kritiker bestimmte Fragen an einen Film und kann meinen eigenen Text als Ausgangspunkt für einen Dialog, einen Austauschprozess begreifen.

Thomas Groh: Ich sehe mich nicht so sehr als Kritiker, der ein Meinungs- oder Analyse-Konvolut auf­baut. Es gibt eine Vermischung von Usern und Kritikern. Ich bin einer von vielen in diesem Bereich, trage zu einer Art Para-Öffentlichkeit bei. Die Qualität ergibt sich eher in dem Netzartigen. Ich will nicht die Ökonomie-Diskussion wieder neu eröffnen, aber was man bekommt, ist kein Geld, sondern Texte, viele Texte. Ich finde im Netz auch vieles, für das ich früher viel Geld hätte ausgeben müssen, es herrscht also eine Tausch-Ökonomie. Deshalb finde ich es schön, wenn in anderen Blogs etwas diskutiert wird, was sich auf meinen Blog bezieht, wenn sich etwas auf einer anderen Platt­form fortsetzt und sich dadurch ein Milieu bildet.

Michael Baute: Ich habe eine vielleicht sehr problematische und auch fetischisierte Idee vom Text. Er muss funktionieren, stimmig sein. Ich habe eine eher musikalische Auffassung, von Sound und von Rhythmus. Wenn ein Text sich den Lesern nicht vermittelt, veröffentliche ich ihn trotzdem, weil er rund ist. Ich bekomme auch nur selten Kommentare. Ich will sie auch nicht und brauche sie auch nicht. Was man jedoch mitbekommt ist, ob die Leser sie mögen, ob sie eine Stimmigkeit für sie haben und etwas erzählen über eine Haltung zum Kino. Einer unserer Autoren, Wolfgang Schmidt, hat eine Technik der Verschaltung von mehreren Filmen entwickelt, bei der er Differenzen und Ähnlichkeiten herausarbeitet. Da werden in der Filmgeschichte sehr weit auseinanderliegende Motive miteinander verbunden zu einer Frage und Beobachtung, die oft eine sehr theoretische Schärfe haben. Diese intensive Arbeit und Wahrnehmung spüren die Leser, glaube ich. Aber man kann nicht unbedingt auf sie reagieren. Wir reagieren auch intern nicht darauf.

Wolfgang Schmidt (aus dem Publikum): Ich komme vom Filmemachen. Ich würde den Stellenwert der Reaktionen etwas anders sehen. Ich schreibe für mich, weil ich eine Frage an das Material habe und mache dann einen Vorschlag, wie man es deuten könnte. Der Antrieb ist eigentlich Kom­munikation. Ich habe ein starkes Interesse daran, dass die Leute darauf reagieren. Das geschieht viel zu selten. Natürlich besitze ich auch eine Eitelkeit, einen guten Text herzustellen und will sehen, ob er funktioniert.

Ines Walk (aus dem Publikum): Wenn ihr bei newfilmkritik Kommentare oder Debatten ignoriert, habt ihr auch keinen Dialog und keine Öffentlichkeit. Das Schweigen kann man nicht verlinken. Auf film-zeit.de steht dann nicht: Dazu sagt die newfilmkritik heute nichts. An dieser Haltung stimmt doch etwas nicht.

Michael Baute: Die Weigerung, teilzunehmen an Debatten, hat mit den Mechanismen zu tun, wie sie konstruiert werden. Es gibt einen Text – wie die Polemik von Rohrbach – als Anstoß, der dann um jeden Preis einen Sturm auslösen soll. Mich würde es interessieren, über andere Dinge zu debattieren, über den Schnitt oder die Farbgebung zum Beispiel. Als Filmkritiker kann man begründet vertreten, weshalb man einen bestimmten Schnitt falsch findet oder weshalb eine Farbgebung so und nicht anders ist. Ich finde es zum Beispiel ungeheuerlich, dass die Mitglieder des Filmkritiker-Verbandes Sönke Wortmanns Sommermärchen den Preis für den besten Dokumentarfilm des Jahres verliehen haben. Wenn man sich den genau anschaut, sieht man, wie falsch alles darin ist. Man sollte die Fähigkeit haben, über so etwas zu diskutieren.

Ekkehard Knörer (aus dem Publikum): Ich bin ständig hin und her gerissen, weil ich fasziniert bin von der newfilmkritik und auch der Art, Dialoge zu verweigern. Gleichzeitig erscheint mir die Idee, dass man in Dialog tritt in Kommentaren, geradezu utopiefähig. Das ist in den amerikanischen Blogs der Fall, da gibt es oft Hunderte von Dialogen, in denen die Extreme formiert sind. Das ist eine Community, die sich trifft. Man darf mitreden, warum sollte man es nicht tun? Das ist in Deutschland extrem selten. In Christoph Hochhäuslers Blog funktioniert das gelegentlich. Aber ich finde, zur dialogischen Auseinandersetzung gehört manchmal auch eine Form von Leidensfähigkeit. Sie sollte im Rahmen einer bestimmten Idee von Höflichkeit bleiben. Zugleich bedauere ich aber, dass sich viel zu wenig gestritten wird. Im Feuilleton gibt es extrem langweilige, ritualisierte Formen, ohne dass wirklich argumentativ um die Sache gestritten wird. Das fehlt dummerweise auch in der deutschen Internetszene.

Michael Baute: Hast Du eine Idee, warum? Ich beobachte das auch.

Ekkehard Knörer: Ich glaube, Feuilletonisten sind sich aus irgendwelchen Gründen zu fein dafür. Es ist ihnen unheimlich, dass es durch das Internet plötzlich eine Kommentarfunktion gibt. Aber ir­gendwie geht es im Feuilleton, nicht zu reagieren: Ich kann mich doch nicht unter die gemeinen Leute mischen. Das ist ein absoluter Kommentar- Stopper, keine kluge Verweigerung. Ich habe mich kürzlich mit David Hudson von daily.greenci- ne.com über dieses Phänomen unterhalten, der meint, die amerikanische Kultur sei eine starke Performance-Kultur, in der man sich selbst darstellen kann, ohne unter dem Verdacht zu stehen, exhibitionistisch oder narzisstisch zu sein. Diese Haltung fördert eine Dialogkultur natürlich viel stärker.

Thomas Groh: Ich denke, dass in beiden Ländern viel mehr Energie und Potenzial in den Foren steckt. Leute, die im Netz gern und schnell ihre Meinung mitteilen, bewegen sich eher in diesen Zusammenhängen als auf Weblogs. Blogs sind eher abgeschieden. Es hat vielleicht auch damit zu tun, dass hier zu Lande die öffentliche Sphäre stärker abgetrennt ist vom Alltag. In amerikanischen Städten gibt es ja das Watercooler-Phänomen, wo man sich im Büro ungezwungener trifft und über das spricht, was man in der Zeitung, im Fernsehen oder im Kino gesehen hat. Der Drang, an einer Öffentlichkeit teilzunehmen, ist in den USA stärker ausgeprägt.

Claudia Lenssen: Mit einer gewissen Melancholie vertrat Volker Pantenburg in seinem Vortrag die Ansicht, eine Veranstaltung wie diese hätte schon vor fünf Jahren stattfinden sollen. Dennoch haben wir viel in der Möglichkeitsform gesprochen, das Stichwort der Chance war uns näher als das des Abschieds.

Volker Pantenburg: Mein Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass viele der Weblogs, die bei Michael Baute und mir vor Jahren den Impuls geweckt haben, im Netz zu schreiben, gar nicht mehr existieren oder seit Monaten nichts mehr auf ihnen veröffentlicht wurde. Das Schweigen ist nicht nur eine Haltung, sondern auch eine Beobachtung. Bestimmte interessante Formen des Diskurses sind vorbei, man kann das historisieren.

Thomas Groh: Das Internet ist so ungeheuer groß, da entstehen jeden Tag neue Chancen. Man muss nur hineinschauen und sich darin orientieren.

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