taz – JÜDISCHES FILMFESTIVAL

Überleben als Melodram mit Happy End
KINO
Heute beginnt das Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam. Es zeigt
neben wenig selbstreflexiven Beiträgen leider einen etwas aufdringlichen
Hang zur Eingängigkeit. Aber es gibt ein paar hervorragende Ausnahmen

VON TOBY ASHRAF

Als der
Sommer in Haifa zu Ende geht, setzt Eran Barak alle Bilder zu einem
großen Ganzen zusammen. An einer Wand seiner Wohnung bilden einzelne
Fotografien ein Mosaik der Tschwernichowskistraße in Haifa, wo der
Filmemacher für kurze Zeit lebte. "Hunting Time", ein persönlicher
Essayfilm über filmische Abbildbarkeit und Erinnerung, stellt die großen
Paradigmen der fotografischen Medien infrage.

Wie
viel Wahrheit steckt in einem Bild, welcher Beweischarakter wohnt ihm
inne? Was bedeutet es, "sich ein Bild zu machen"? Und welche Form von
Geschichtsschreibung findet mit Bildern statt? Mit seiner intelligenten
Reflexion über die Politik der Bilder schafft es Barak auf sinnliche
Weise, jüdische Geschichte mit einer subtilen Medienkritik zu verbinden.
Damit stellt er auf dem 19. Jüdischen Filmfestival, das heute in
Potsdam beginnt und ab dem 2. Mai auch in Berlin laufen wird, leider
eine absolute Ausnahme dar.

Nur zwei
Filmemacherinnen operieren auf vergleichbare Art und stellen, mal
komisch, mal konzeptuell, die Formen infrage, mit denen sie ihre Inhalte
präsentieren. Roberta Grossmann liefert mit "Hava Nagila (The Movie)"
nicht nur eine informative und unterhaltsame Spurensuche nach den
Ursprüngen eines jüdischen Volksliedes, sondern zugleich einen
ironischen Kommentar auf die autoritäre Informationsvermittlung
konventioneller Dokumentarfilme. Grossmann bereist für ihre Recherchen
zahlreiche Länder und holt Personen vor die Kamera, deren
ExpertInnenstatus sie mit Einblendungen wie "Another Person" oder
"Really Smart Historian" spaßhaft demontiert. Mit viel Witz und Tempo
zeigt die Regisseurin, dass man informativ und unterhaltsam erzählen
kann, ohne sich dokumentarischen Konventionen verpflichten zu müssen.

Iris
Zaki dokumentiert in ihrem Kurzfilm "My Kosher Shifts" hingegen in
strengen, gleich bleibenden Kameraeinstellungen ihre Arbeit an der
Rezeption des Croft Court Hotel für chassidische Juden in London. Als
überzeugte Atheistin stellt die gebürtige Israelin die Weltsichten und
Geschlechterbilder ihrer Gäste in selbstbewussten und offenherzigen
Kurzinterviews infrage und eröffnet dabei interessante Einsichten in die
Widersprüche orthodoxen jüdischen Glaubens. Die Kamera filmt immer aus
der Rückendeckung. Damit wählt Zaki eine starre, unveränderte Form,
durch die man selten sie selbst, aber immer ihre Gäste zu sehen bekommt.
Diese Methode entwickelt gerade durch den Schnitt einen besonderen
Reiz, da die Regisseurin spielend die Rezeption zu ihrer eigenen
filmischen Bühne erklärt, auf der sie ihre ProtagonistInnen nacheinander
auftreten lässt.

Daneben stehen beim
diesjährigen Jüdischen Filmfestival aber unverkennbar konventionelle
Erzählungen im Vordergrund. Das formelle Leitmotiv zahlreicher
Dokumentar- und Spielfilme ist die Angst vor dem Stillstand. Um keine
Leerstellen zu provozieren, wird jede Kameraeinstellung musikalisch
begleitet, das Publikum soll dabei immer mitfühlen und darf sich selten
selbst Gedanken machen.

Symptomatisch für dieses
Prinzip ist der aufwendig produzierte Dokumentarfilm "No Place on Earth"
von Janet Tobias, der die Geschichte der Familie Stermer erzählt. Die
Stermers versteckten sich 1943 in der Ukraine vor den
Nationalsozialisten in einem unterirdischen Höhlensystem und entkamen so
dem Holocaust. Die Entdeckungen des Höhlenforschers Chris Nicola dienen
als Ausgangspunkt für eine detektivische Spurensuche. Gleich in den
ersten Einstellungen wird hier mit Weitwinkeln das Höhlenmotiv
abgetastet, während im Off eine dramatische Erzählerstimme Relevanz
suggeriert. In Talking-Heads-Sequenzen berichten die Überlebenden von
ihren Erfahrungen, und damit nichts der Vorstellung überlassen bleiben
muss, wird die Geschichte als Reenactment nachgespielt. Spannung,
Empathie und mit Geigen verstärktes Pathos sind die fragwürdigen Mittel
einer fernseh-geschulten Geschichtsvermittlung. Überleben wird als
Melodram mit Happy End präsentiert. Ein neues Nachdenken über den
Holocaust bleibt nicht zuletzt deswegen aus, weil das versöhnliche Ende
der Geschichte in keiner Weise das Schicksal von sechs Millionen
ermordeter Juden repräsentiert.

Der Hang zur
Unterhaltung und zur überraschungsarmen Formsprache dominiert auch den
Rest des Programms und versperrt die Sicht auf die durchweg politischen
Inhalte. Inszenatorisch und ästhetisch enttäuschende Spielfilme wie etwa
Eran Riklis' "Playoff" oder der Fernsehfilm "Der jüdische Kardinal"
machen wenig Lust, sich mit den filmischen Interpretationen jüdischer
Geschichte zu befassen. Mehr Mut und weniger Filme hätten dem Filmfest
in diesem Jahr gut getan.

Programm unter www.jffb.de