Notizen zum Kino 2: Deutsche Filmkritiker ziehen in den Krieg

Der Fall „Krieg der Welten“‚
von Andrea Dittgen

Sie wollen ins Kino? Halt! Erst den Mantel abgeben. Und die Tasche! Und das Handy! Und sich brav abtasten lassen von dem Sicherheitsmann mit dem Metalldetektor an der Kinotür. Wie am Flughafen. Nein, schlimmer! Man muss noch unterschreiben, dass man erst ab einem bestimmten Datum seine Meinung über den Film verbreitet, sonst darf man nicht in den Saal. Das sind kein Gag und keine Zukunftsvision. Es ist Realität anno 2005 in Deutschland. Die Filmkritiker, die am 14. Juni 2005 in Berlin zur Pressevorführung des Steven-Spielbergs-Films Krieg der Welten wollten, mussten all das über sich ergehen lassen. Und noch mehr. Während der Pressevorführung wurden sie von Sicherheitsmännern mit Nachtsichtgeräten beobachtet. Das alles verlangte der Verleih UIP. Den Besuchern der Gala am selben Abend ging es nur einen Hauch besser: Sie mussten vor der Vorführung keine rechtverbindliche Unterschrift abgeben, dass sie vor dem 29. Juni, dem offiziellen Kinostart von Krieg der Welten, keine Kritik veröffentlichen.

Den Gala-Besuchern wurde also nicht verboten, über den Film zu schreiben – nur den Kritikern! Ist das ungerecht? Oder unverschämt? Aber nein, meinte UIP, das ist eine reine Schutzmaßnahme, damit vor dem Kinostart keine Raubkopien im Kinosaal entstehen, im Internet angeboten werden und den Verleihen das Geschäft verhageln. Schließlich sind der Kino-Erlös und auch die Besucherzahlen 2005 deutlich zurückgegangen. Schuld der Kritiker, die vorab negative Kritiken geschrieben hatten oder gleich noch mit ihren Handys den Film abgefilmt und ins Netz stellten? Eine absurde und auch ungesetzliche Praxis. Der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) protestierte auf Schärfste – in einer Presse-Erklärung, die in ganz Deutschland aufgegriffen wurde. „Eine solche Behandlung rückt uns in die Nähe von Verbrechern und suggeriert den weit hergeholten Verdacht, anerkannte Filmkritiker würden unprofitable kriminelle Handlungen begehen“, schrieb der VdFk erbost. Auch in den USA („Variety“, „Screen“, „Hollywood Reporter“), in Großbritannien („Sight & Sound“), Frankreich („Cahiers du Cinéma“) und auf der Website des Internationalen Filmkritikerverbandes FIPRESCI  war das Aufbegehren der deutschen Kritiker ein Thema.

Die deutschen Filmkritiker waren aber die Einzigen, die sich gegen diese Hochsicherheitsvorführungen und Verpflichtungserklärungen wehrten, die UIP in allen Ländern verlangte. Die Sperrfrist wurde natürlich gebrochen – auf einer US-Website und von einer deutschen Filmzeitschrift, deren Kritiker die Erklärung nicht unterschrieben hatte. Verklagt wurde niemand. Aber die Angst, dass da ein Kritiker unbemerkt mit seinem kleinen Handy von der Riesenleinwand zwei Stunden gestochen scharfe Bilder abfilmt und ins Netz stellt, sitzt wohl sehr tief in Hollywood. Sicher, Filmkritiker werden von Verleihern und Produzenten meist als billige, nämlich kostenlose PR-Agenten gesehen, denen man am liebsten vorschreiben würde, was sie zu denken haben. Zumindest Kritiker, die von ihren Texten leben, so das Kalkül des Verleihs, werden schon jede Schikane mitmachen und sich die Arbeitsbedingungen diktieren lassen. Von offizieller Seite hieß es, dass ausgerechnet der Star-Regisseur und x-fache Oscar-Preisträger Steven Spielberg wollte, dass vor dem Start keine Filmkritik veröffentlicht wird, weil er als Urheber das Recht habe, alles zu kontrollieren, was mit seinem Film zusammenhänge. Aber Filmkritik berichtet ja über den Film und erklärt ihn nicht zur Schöpfung des Kritikers. Eine Filmkritik könnte höchstens das Urheberrecht verletzen, wenn sie nur aus Zitaten des jeweiligen Films bestünde.

Aus dem Krieg der Welten wurde also ein Krieg der Kritiker. „German Crix Wage War on Worlds“, schrieb „Variety“ in seiner Wortspiel-Überschrift. In der  Folge des Aufsehen erregendes Protestes berichteten so viele Medien wie noch nie über diese diktierten Arbeitsbedingungen der Filmkritiker – mitunter sogar mehr als über den Film. Einige (etwa das Berliner Stadtmagazin „Tip“) verzichteten gleich ganz auf eine Filmkritik. Bei einem Gespräch, zu dem die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft SPIO (Mitglied sind alle filmrelevanten Organisatoren, auch die Verleiher und Kinobesitzer, nur die Kritiker nicht) den Filmkritikerverband am Tag des Filmstarts einlud, kam denn auch zutage, dass hierzulande noch nie ein Kritiker beim Abfilmen im Kinosaal gesehen wurde.

Der VdFk kündigte an, weiter gegen unbotmäßige Sperrfristen und extreme Hochsicherheits-Pressevorführungen zu protestieren. In der Tat hat sich ein Vorfall wie bei Krieg der Welten nicht wiederholt, auch nicht zum Start des nächsten UIP-Blockbusters King Kong im Dezember 2005. Bestimmte Maßnahmen werden allerdings mehr und mehr Standard: Mobiltelefone müssen meist angegeben werden. Dezente Versuche, die Kritiker während der Vorstellung abzufilmen, gibt es auch wieder. Auch sind die Abwehrmaßnahmen gegen Kritiker wohl nur ein Versuchsballon. Am liebsten hätten die Großverleiher diese Standards auch bei ganz normalen Vorstellungen durchgesetzt, müssen aber mit Protesten der Kinobesitzer rechnen, die kaum etwas mehr fürchten als zusätzliche Schwellenängste für Kinobesucher. Die kleinen Verleiher pflegen hingegen bislang ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Filmjournalisten und beliefern sie sogar mit DVDs oder VHS-Kopien. Um das Anliegen der Antipiraterie-Kampagne zu begründen und auch die Maßnahmen gegenüber den Kritikern verständlich zu machen, beruft sich der Verleiherverband auf eine Studie, die er selbst in Auftrag gegeben hat. Wir haben sie hinterfragt.

Die erste deutsche Studie über Raubkopierer von Kinofilmen

Raubkopierer sind Verbrecher! Das wird 2005 jedem Kinobesucher im Vorprogramm mit Spots eingebläut. Und wer sind diese bösen Raubkopierer, die die Filmwirtschaft gerne hinter Gittern sähe? Eine große Gruppe: Journalisten und Juroren! Das sagt die unabhängige Studie „Online-Filmpiraterie transparent gemacht“ von der Technischen Hochschule Aachen, die am 12. Juli 2005 in Berlin vorgestellt wurde.

Zu 41 Prozent stamme das Bildmaterial von Pressevorführungen oder aus Jury-Versionen, heißt es da. Haufenweise sitzen also diese Filmkritiker bei den Pressevorführungen  – und filmen mit ihren Handys und den anderen technischen Geräten, die sie doch vorher mit krimineller Energie an der Garderobe vorbei geschmuggelt haben müssen. Das kann doch nicht wahr sein. Ist es auch nicht, denn an anderer Stelle sagt die Studie, dass diese so genannten Screener während einer Pressevorführung mit Stativ und professioneller Digitalkamera von der Leinwand abgefilmt werden, also in einem leeren Kino ohne Filmkritiker. Also ist es eher das Kinopersonal, das heimlich abfilmt? Das sagt die Studie nicht. Sie behauptet auch nicht, dass in Deutschland überhaupt nachweisbar abgefilmt wurde, so der Verfasser der Studie, Nikolai Dördrechter. Er verrät nicht, wie viel der 41 Prozent auf Filmkritiker und wie viel auf Juroren (von Filmpreisen wie dem Oscar) entfallen und führt überhaupt keine Beweise für die Recherchen an. Dafür nennt er eindrucksvolle Zahlen.

Nach Durchforsten des Internets auf Raubkopien von Filmen in deutscher Sprachfassung, die von November 2004 bis Juni 2005 ins Kino kamen, sind 62 Prozent der Filme online verfügbar, heißt es in der Studie. Etwa ein Drittel vor dem Kinostart, ein Drittel am Filmstart-Wochenende (Donnerstag bis Sonntag), der Rest danach. Zwei Wochen nach Kinostart sind bis zu 80 Prozent der Filme im Netz. Die meisten sind US-Produktionen (54 Prozent), aber an zweiter Stelle kommen schon die deutschen Produktionen (14 Prozent). Das mag sein und verhagelt Kinos und Verleihern wohl wirklich das Geschäft. Aber sind Raubkopien wirklich das Problem der verbliebenen treuen Kinobesucher oder gar der Filmkritiker?

Es ist egal, ob die Zahlen stimmen, selbst wenn dem Verfasser der Studie noch einige Netz-Filme durch die Lappen gegangen sein sollten. Was ist mit den DVDs, die von den Filmproduzenten vor dem Kinostart für Filmeinkäufer hergestellt werden, könnten davon nicht auch Raubkopien entstehen? Die Studie ist also nur viel Lärm um nichts und wahrscheinlich schon überholt, denn von den geplanten vierteljährlichen Updates war nichts mehr zu hören, von Korrekturen auch nicht. „Die Studie wurde als Argument gegen die Raubkopierer missbraucht“, sagte Dördrechter gegenüber dem Verband der deutschen Filmkritiker. Und auch: „Die Industrie beschäftigt sich nur mit sich selbst, der finanzielle Schaden ist nie neutral ausgewiesen worden.“ In einen Krieg sind die eher pazifistischen deutschen Kritiker dann doch nicht gezogen. Ihre einzige Waffe ist schließlich das geschriebene Wort.

Andrea Dittgen
© VdFk 2006

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