Text: Bettina Schuler
Yella (Nina Hoss) hat ihr altes Leben hinter sich gelassen. Das sieht man schon an der Art, wie sie durch die Straßen ihrer alten Heimatstadt Wittenberge stolziert: Schnell, zielstrebig und ohne sich umzublicken, eilt sie durch die Gassen, um auf niemanden aus ihrer Vergangenheit zu treffen. Selbst ihren Mann Ben (Hinnerk Schönemann) versucht sie zu ignorieren. Nachdem der ihre gemeinsame Firma in den Konkurs getrieben hat, will Yella nichts mehr von ihm wissen und ihr Glück selbst in die Hand nehmen. Ein neuer Job in Hannover scheint ihr die Chance zum finanziellen Aufstieg zu bieten, und weder die Liebe ihres Mannes noch die Einsamkeit ihres Vaters können sie davon abhalten, diese einmalige Gelegenheit wahrzunehmen. Ben will sie ein letztes Mal noch zum Bahnhof begleiten und Yella willigt ein, der alten Zeiten wegen. Doch ihr Aufbruch in ein neues Leben wird zum Abschied, denn Ben steuert den Wagen statt zum Bahnhof in die Elbe. Yellas Reise scheint beendet und geht doch gerade erst los. Denn anstatt im Sterben ihr Leben im Zeitraffer an sich vorbeiziehen zu sehen, träumt sich Yella in die Zukunft, in das Leben, das sie im Westen hätte führen können und das ebenso trostlos ist wie ihr bisheriges. Die Firma, in der sie arbeiten sollte, ist bankrott gegangen, ihr alter Chef, ein notgeiler Schwätzer, der sich mehr für ihren Körper als für ihre beruflichen Qualifikationen interessiert. Erst als ihr der smarte Phillipp (Devid Striesow), der sein Geld als Risikokapitalmanager verdient, einen Job anbietet, scheint sich ihr Traum vom kapitalistischen Glück zu verwirklichen. Doch genau in dem Augenblick, in dem sie sich am Ziel ihrer Träume wähnt, holt sie die tödliche Gegenwart auf den Boden der Tatsachen zurück.
Bonnie und Clyde des Private Equity-Geschäfts
YELLA ist nach GESPENSTER (2005) bereits der zweite Film von Christian Petzold, der im Wettbewerb der Berlinale lief, und es ist bereits der dritte, den der Regisseur mit Schauspielerin Nina Hoss drehte, die für ihre Darstellung der Yella zu recht auf der Berlinale 2007 den silbernen Bären als beste Darstellerin erhielt. Bereits in TOTER MANN (2002) und WOLFSBURG (2003) war die Schauspielerin als kühle, schöne Frau zu sehen, die nach Rache sinnt. Dieses Mal nicht für den Tod ihres Kindes wie in WOLFSBURG oder den ihrer Schwester (TOTER MANN), sondern für ein Leben voller finanzieller Entbehrung, das ihr die Kapitalisten aus dem Westen bereitet haben und von denen sie sich ein Stück Glück zurück holen will. Koste es, was es wolle. Inspiriert von Harun Farockis Dokumentation NICHT OHNE RISIKO (2004) und dank dessen Hilfe am Drehbuch, ist es Petzold mit YELLA gelungen, ein dokumentarisches Porträt dieser im kapitalistischen Sinne erfolgreichen Menschen zu zeichnen, die Erfolg über alles, selbst über die Liebe stellen. Eine Haltung, regiert vom Streben nach Erfolg und Macht, die sich selbst in ihren Bewegungen und ihrer Artikulation ausdrückt. Am deutlichsten ist dies an Yella selbst zu sehen, deren Blick im Verlauf des Filmes immer unnachgiebiger und deren Haltung immer gerader und verbissener wird. Auch ihr ehemaliger Mann spürt diese Veränderung. „Du hast einen Job. Einen guten, einen richtig guten. Ich kann das sehen. Daran, wie du läufst“, stellt er bei Yellas Ankunft in Wittenberge fest. Philipp ist im Gegensatz zu Ben ein selbstbewusster Macher, der weiß was er will. Er ist der personifizierte Kapitalismus, der für das Erreichen seiner Ziele jedes Mittel wählt, selbst wenn es sich jenseits der Legalität bewegt und dabei von Petzold als eine smart, cool und attraktive Person geschilderte wird, die nur wenig mit dem typischen Banker-Klischees gemein hat. Familie, Kinder, ein Haus im Grünen sind für Philipp Statussymbole, auf die er keinen Wert legt. Beim kapitalistischen Pokern mitzubieten, das ist es, worum es Philipp geht. Wie leer diese Gesten des Kapitalismus sind, wird vor allem in der Szene deutlich, in der Philipp Yella bittet, ihm während des Meetings etwas zuzuflüstern, wenn er die Arme hinter den Rücken verschränkt. Was, sei völlig egal. Es sei bloß eine „Broker-Pose“, welche die Anwälte in „beschissenen Grisham-Filmen“ einnehmen, um ihren Gegner zu verunsichern. Yella spielt mit, und der Trick funktioniert. Philipp und sie werden zu Bonnie und Clyde des Private Equity-Geschäfts, die tun und lassen können, was sie wollen, ohne Rücksicht auf Verluste. Doch die Vergangenheit lässt Yella einfach nicht los. Dieser Einbruch der Vergangenheit in die märchenhafte Traumwelt ist die Horrorfilm-Ebene, die Petzold in seinem Film einfließen lässt. Angelehnt an Ambrose Bierce’ Kurzgeschichte „Ein Vorfall an der Owl-Creek-Brücke“ und dem Horror-Klassiker von Herk Harvey CARNIVALS OF SOULS (1962) hat Petzold in YELLA den Albtraum aller Menschen aufgegriffen: Schon tot zu sein, obwohl man sich noch am Leben wähnt. Diese grauenhafte Vermutung, die auch immer wieder Yella befällt, lässt Petzold vor allem über die Tonebene einfließen, durch Wassergeräusche, welche die Gespräche übertönen, Krähenschreie, die aus dem Nichts zu kommen scheinen oder durch Beethovens Mondscheinsonate, die immer wieder zu hören ist, und die in der Kunst häufig als Symbol für den Übergang vom Leben in den Tod benutzt wird. Auch auf der Bildebene ist das Grauen zu spüren, ehemals vertraute, im Freudschen Sinne heimeliche Dinge tauchen in einem neuen Zusammenhang auf und werden un-heimlich. Wie die Orange, die Yella Vater ihr am Abschiedmorgen schält, und die auch Philipp, als sie morgens neben ihm aufwacht, ihr anbietet.
Eine Deutschland-Trilogie
Doch Petzold ist mit YELLA nicht nur ein herausragender Film über die Gesten des Kapitalismus sondern auch eine unheimlich märchenhafte Traumgeschichte gelungen. Zugleich kompletiert mit diesem Todestraum das Deutschlandbild, das aus seiner Gespenster-Trilogie DIE INNERE SICHERHEIT (2001), GESPENSTER und YELLA entsteht. Waren es in DIE INNERE SICHERHEIT die Gespenster der RAF, welche die deutsche Gegenwart immer wieder einholen, und das politische Geschehen bis heute prägen, so ist es in YELLA die soziale Teilung Deutschlands in Ost und West, die trotz der Wiedervereinigung noch deutlich zu spüren ist. In GESPENSTER ist der Bezug zu Deutschland zunächst nicht so offensichtlich. Im ersten Moment scheint der Film bloß ein Drama über eine Mutter zu sein, deren Kind in einem Berliner Supermarkt entführt wurde. Doch auf den zweiten Blick eröffnet sich, welches Deutschlandbild Petzold in dem Film durch die Wahl Berlins als Setting zeichnet. Petzold wählt Berlin, eine Stadt, die sich ständig im Umbruch befindet und aus lauter Baustellen besteht. Eine Stadt, ohne Mitte und konkretes Stadtbild, die als neue Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands als Symbol für die Suche nach einer neuen Identität dieses Landes steht. Auch die drei Frauen in GESPENSTER sind auf der Suche nach ihren Wurzeln, die Mutter Francoise (Marianne Basler) sucht ihre Tochter, Nina ihre Mutter und Toni (Sabine Timoteo) eine beste Freundin. Auf dieser Suche bewegen sie sich an Orten des Durchgangs wie Bahnhöfen, Hotels, Heimen, die der französische Anthropologe Marc Augé als Nicht-Orte charakterisiert. Orte, die mono-funktional genutzt werden, und denen es im Gegensatz zu traditionellen Orten an Geschichte und sozialer Bedeutung fehlt. Sinnentleerte Orte, die erst durch die Zuschreibung von Icons und Slogans mit Sinn gefüllt werden. Auch in DIE INNERE SICHERHEIT gibt es diese Nicht-Orte: das Hotel, aus dem die RAF-Familie fliehen muss, die leerestehende Villa, in die sich Jeanne (Julia Hummer) mit ihren Eltern vor der Polizei versteckt, oder das Auto, mit dem sich das ehemalige Terroristenpärchen seit Jahren von einem Versteck zum nächsten bewegt. Mehr noch: Jeannes Eltern versuchen ihr ganzes Leben zu einem Nicht-Ort ohne Vergangenheit zu machen, um ihrem alten Leben zu entkommen. Auch YELLA will ihre Vergangenheit hinter sich lassen und flüchtet in die Welt der Manager, deren Leben sich nur an Nicht-Orten abspielt. In Zügen, Hotels, Konferenzräumen. „Ich liebe dich“, sagt Ben bevor er das Lenkrad herumreist, und die beiden von der Brücke in die Elbe stürzen. Dass diese Liebe mehr wert ist, als ihr Traum vom kapitalistischen Glück, erkennt Yella erst in dem Moment, in dem sie stirbt.