Eine große Persönlichkeit

Von Peter Hasenberg

Dass sie die Grande Dame der katholischen Filmarbeit war, hätte der äußere Augenschein nicht bestätigt. Klein und zierlich von Gestalt, war sie äußerlich eine eher unscheinbare Person, die man leicht hätte übersehen können. Ihre Größe zeigte sich, wenn sie das Wort ergriff: als Filmkritikerin, als Jugendschützerin, als engagierte Christin. Paula Linhart, am 22. März 1906 in München geboren, fiel auf durch ihren scharfern analytischen Verstand, eine große Freude an der intellektuellen Auseinandersetzung und eine beeindruckende rhetorische Begabung. Wer ihr je persönlich begegnet ist, gewann einen bleibenden Eindruck von dieser in jeder Hinsicht außergewöhnlichen großen Persönlichkeit.

Sie war furchtlos und kämpferisch. Der liebevolle Beiname „die bayerische Löwin", den sie sich als Jugendschutzvertreterin in den Ausschüssen der FSK erwarb, zeugte von großem Respekt und wohlmeinender Anerkennung . Sie konnte durchaus ein hartes, aber immer wohlbegründetes Urteil über Filme fällen, die ihr künstlerisch missraten erschienen oder aus ethischen Gründen abzulehnen waren, aber noch mehr konnte sie die Menschen durch ihren Enthusiasmus und einehmendes Lob für solche Filme begeistern, die sie künstlerisch und inhaltlich voll überzeugt hatten.

Ihr Leben hätte genügend Stoff für filmreife Geschichten geboten. Als Wohlfahrtspflegerin im katholischen Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder, dem heutigen Sozialdienst katholischer Frauen, kümmerte sie sich ab 1928 für straffällig gewordene Mädchen und junge Mütter mit unehelichen Kindern. In den Jahren der NS-Diktatur setzte sie sich mutig für die Mädchen ein, für die sie die Vormundschaft übernommen hatte. Sie widersetzte sich durch Aktionen gegen den Verein „Lebensborn" den Machthabern und ließ sich auch durch Nachstellungen der Gestapo nicht einschüchtern. Nach dem Krieg bat sie die amerikanischen Besatzungsarmee um Zusammenarbeit, als es darum ging, US-Soldaten aufzuspüren, die mit deutschen Frauen uneheliche Kinder gezeugt hatten.

Die großen Themen ihres Lebens waren die Theologie und der Film, vor allem die Arbeit in der ökumenischen Bewegung der „Una Sancta", deren Münchner Kreis sie 1938 mitbegründet hatte, und ihr Engagement als Filmkritikerin und Jugendschützerin. Die Liebe zum Film hatte sie schon als Kind entwickelt. Als Wohlfahrtspflegerin setzte sie Filme im Rahmen ihrer Arbeit ein. In der Nachkriegszeit engagierte sie sich zunehmend in der katholischen Filmarbeit. 1954 begann mit der Kritik zu „L'Auberge rouge" ihre Karriere als Film-Dienst-Autorin. Ihre letzten Kritiken erschienen 1992. Da war sie schon 86 Jahre alt. Sie war seit Mitte der 1950er Jahre Mitglied der Katholischen Filmkommission, die sie 1997 als erstes Ehrenmitglied auszeichnete. Film war auch der Schwerpunkt in ihrer Arbeit als Jugendschützerin. Sie baute Mitte der 1950er Jahre die Landesstelle der Aktion Jugendschutz in Bayern auf, war von 1960 bis 1971 deren Geschäftführerin und bis 1999 freie Mitarbeiterin. Ihre cineastischen Vorlieben verfolgte sie auch im hohen Alter noch durch Initiierung der Filmreihe „Kinotreff Rio" (ab 1999) und als Beraterin der Katholischen Akademie in Bayern, die auf ihre Anregung mit hochkarätigen Filmtagungen ihr Profil erweiterte.

Im biblischen Alter von 106 Jahren starb Paula Linhart am 7. August in ihrer Heimatstadt München. Was dauerhaft bleibt, ist die Liebe, Bewunderung und Dankbarkeit, die in der bleibenden Erinnerung der Menschen, die ihr verbunden waren, aufgehoben ist. Sie, die als das jüngste von elf Kindern in einer Großfamilie aufwuchs, selbst aber nie geheiratet hat, lebte von den vielfältigen Beziehungen in ihren eigenen großen „Familien": vor allem dem ökumenischen Kreis der „Una Sanca" und ihrer „Filmfamilie".

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