Notizen zum Kino 3: Hablar de cine

Filmkritik im staatlichen spanischen Fernsehen
von Clara Lopez Rubio und Wolf Martin Hamdorf

„Hablar de cine“, vom Film sprechen, bedeutet in der spanischen Sprache so viel wie von schönen Dingen sprechen. Kino ist in Spanien nach wie vor populärer, als in anderen europäischen Ländern und so verwundert es nicht, dass auch „Televisión Española“ (TVE), das staatliche spanische Fernsehen, dem Film und der Filmkritik Raum zugesteht. Während in den großen privaten Sendern von „Antena 3“ bis zu „Tele 5“ Filmkritik nicht stattfindet, haben die Kinosendungen von TVE teilweise eine erstaunliche Lebensdauer von mehr als zehn Jahren.

Noch bis vor zwei Jahren strahlte „Televisión Española“ drei Filmsendungen aus, zwei davon zur prime time: „Versión española“ (dt.: „Spanische Fassung“), widmet sich dem spanischen und lateinamerikanischen Film und „Qué grande es el cine“ (dt.: „So grosses Kino“) präsentierte die Klassiker der internationalen Filmgeschichte. Für Nachtschwärmer gibt es um Mitternacht die Sendung zum aktuellen Filmgeschehen „Días de Cine“ (dt.: „Filmtage“). Die Struktur der beiden prime-time-Programme ist sehr ähnlich: Nach einer kurzen Einführung wird ein Film gezeigt und danach findet ein Expertengespräch über diesen Film statt. Im Falle von „Versión española“, spricht die Moderatorin des Films mit den Filmemachern über die Entstehung des Films.

In „Qué grande es el cine“, analysierten Filmkritiker, meist aus dem Freundeskreis des Regisseurs, die unterschiedlichsten Aspekte des ausgestrahlten Klassikers – aber wie der auch im Spanischen leicht pathetisch anmutende Titel der Sendung befürchten lassen könnte, endeten die Diskussionsrunden mit unterschiedlichen Veteranen der spanischen Filmkritik mitunter in pedantischer Besserwisserei oder im Nebel des Weihrauchs für die siebte Muse. Federführend in der Gestaltung dieser Sendung war der spanische Regisseur José Luis Garci, dessen großer Ruhm immer noch daher rührt, dass er 1981 für VOLVER A EMPEZAR den ersten Oscar der spanischen Filmgeschichte nach Hause brachte. „Qué grande es el cine“, wurde nach zehn Jahren im Dezember 2005 von einem Tag auf den anderen aus dem Programm genommen. Was für die Einen wie ein politischer Racheakt der neuen sozialistischen Hausherren aussah – gehörte Garci doch zu den wenigen Filmemachern, die deutlich ihre Sympathie für die konservative Regierung Aznar bekundeten, die bis Mitte 2004 in Madrid und damit auch das staatliche spanische Fernsehen regierten -, war für die Anderen notwendige Konsequenz einer versteinerten Struktur der Sendung. „Qué grande es el cine“ hatte Beliebtheit beim Publikum verloren; die Filmklassiker gefielen weiterhin, aber immer weniger der zunehmend hausbacken altväterliche Duktus der Sendung. Die von Garci eingeladenen Kritiker und Filmhistoriker verzettelten sich häufig in monotonen Anekdoten, wiederholten sich und uferten nicht selten in pedantischen Monologen aus. Ob die Sendung mit Garci und mit anderen Filmkritikern von Innen heraus reformierbar gewesen wäre, bleibt fraglich. Tatsache ist jedoch, dass mit ihrer Absetzung eine große Chance für die Vermittlung von Filmgeschichte und Filmkritik in einem größeren, auch internationalen Rahmen zu setzen vertan wurde.

Nach dem Ende von „Qué grande es el cine“, behielt TVE noch die genannten zwei andern Filmsendungen: „Versión española“ in der prime time und „Días de Cine“ um Mitternacht. Die Schauspielerin Cayetana Guillén Cuervo präsentiert „Versión Española“ seit dem Beginn der Sendung im Herbst 1998. In diesen Jahren waren fast alle bedeutenden Regisseure, Schauspieler und Techniker des spanischen und lateinamerikanischen Films in der Sendung zu Gast. Seit 2003, findet die Sendung mit Publikumsbeteiligung statt, ins Studio eingeladen werden oft Filmstudenten spanischer Filmschulen, wie der staatlichen „Escuela de la Cinematografía y del Audiovisual de la Comunidad de Madrid“ -ECAM-, der „Escuela Superior de Artes y Espectáculos“ -TAI-, oder des Filminstituts in Madrid.

Von Anfang an hat die Sendung immer wieder neue Strategien entwickelt, um die hohen Einschaltquoten – mehr 750 000 Zuschauer im Durchschnitt beizubehalten. Etwa durch Preise für Filmemacher: ein Kurzfilmwettbewerb wird von der spanischen Autoren- und Urheberechtsvereinigung „Sociedad General de Autores de España“ – SGAE – unterstützt, ein Erstlingsdrehbuchwettbewerb für abendfüllende Spielfilme ist mit 36 000 Euro dotiert, in einem anderen Wettbewerb zeichnet „Versión Española“ 12 Mikrofilme aus, die nicht länger als eine Minute sein dürfen und in einer Einstellung gedreht sein müssen. Ein weiterer Drehbuchwettbewerb gemeinsam mit der Drehbuchautorenvereinigung ALMA und „El deseo“, verspricht die Realisierung des Preisträgers durch die prestigeträchtige Produktionsfirma der Almodóvar-Brüder, mitfinaziert von TVE durch den Ankauf der Fernsehrechte.

„Versión Española“ ist also eine Sendung, die sehr erfolgreich an der Förderung des spanischen Films arbeitet – auch ein Programmauftrag von TVE. Eine Sendung der Filmemacher, der handwerklichen Analyse und der Produktionsperspektiven, und auch wenn durchaus im Hintergrund Filmkritiker oder -wissenschaftler wie etwa Daniel Sanchez Salas an der Konzeption der Sendung mitarbeiten, ist die kritische Analyse der Filme nicht vorgesehen. Gesucht werden die positiven Aspekte, die negativen Punkte werden ausgespart und die zahlreichen Recherchemitarbeiter sind angehalten, das Positive in ihren Berichten zu unterstreichen. Die Diskussion ist wohlwollend, denn zum einen geht es darum, die Beliebtheit des spanischen Films zu steigern und zum Anderen möchte man auch die Sponsoren der Sendung, die SGAE, die Filmschulen und die Produzentenvereinigung nicht vergrämen. An dieser Stelle stellt sich die grundsätzliche und über die spanischen Verhältnisse hinausgehende, etwa ähnlich auch die Verhältnisse in Deutschland berührende Frage: Inwieweit eine unabhängige Filmkritik in Fernsehanstalten, die in zunehmenden Maße und sicherlich zurecht als Produzenten und Kinomacher auftreten, überhaupt noch eine kritische Funktion haben kann, eine Rolle, die mehr sein kann, als eine wohlmeinende Begleitung von Hausproduktionen. In dem Maße, in dem die kleinen Fernsehspiele kinotauglich werden, wird auch Filmkritik im Fernsehen zur Hauspostille.

„Días de Cine“ widmet sich den neuesten Kinostarts, Berichten von Dreharbeiten, aktuellen Tendenzen und auch der Zweitverwertung, also dem DVD- und CD-Markt, Neuerscheinungen, Bonus- und Soundtracks. Die Sendung dauert eine Stunde und ist mittlerweile 15 Jahre alt. In diesen 15 Jahren hat „Días de Cine“ seine durchschnittliche Einschaltquote von einer halben Million Zuschauer – nur in Spanien – gehalten; insgesamt wird die Einschaltquote auf eine Million geschätzt, denn nicht eingerechnet sind die Zuschauer, die die Sendung über das Auslandprogramm des spanischen Fernsehens „TVE Internacional“ ausserhalb Spaniens empfangen können. „Días de Cine“, hat also um Mitternacht fast ebenso viele Zuschauer wie „Versión Española“, als prime-time-Programm!

Sicherlich ist der spanische Zuschauer kinobegeisterter und auch ein stärkerer Nachtschwärmer als die Fernsehzuschauer anderer europäischer Länder, aber zum anderen liegt es auch an der extremen Popularität, die Antonio Gasset, der Redakteur und Moderator der Sendung, genießt. „Días de Cine“ begann in den ersten Jahren als ein mittelmässiges Magazin um den roten Teppiche herum, Klatsch und Tratsch aus der bunten Welt des Films fürs heimische Pantoffelkino. So mussten die Interviews mit internationalen Stars immer mit dem auf spanisch gesprochenen Satz „Eso es `Dias de Cine`y me llamo…“ („Das ist ‚Dias de Cine‘ und ich bin…“) Isabella Rossellini verweigerte sich einmal dieser Regieanweisung und setzte das EB Team in ihrer Hotelsuite kurzerhand vor die Tür. Mit Gasset kam 1994 einerseits ein wirklicher Filmkenner (ein „Fellini“ wie Filmkritiker abfällig hinter vorgehaltener Hand in den Büros des spanischen Fernsehens genannt werden), aber zum anderen auch jemand, der Film äußerst publikumswirksam präsentieren konnte. Gasset wurde extrem populär durch seinen sehr direkten, derben Humor, der beim spanischen Zuschauer sehr gut ankommt. Gassets Sprüche zirkulieren unter seinen Fans im Internet, wie „Dieses Kinoangebot kann man nur mit einem negativen IQ wirklich genießen“, „Jeunet ist der Regisseur dieses Machwerks, das einige fälschlicherweise für einen Film hielten, aber andere richtigerweise für einen harten Brocken, ich meine AMELIE“; „In wenigen Tagen startet ‚El último samurai‘, in der Hauptrolle der Ex-Mann von Nicole Kidman, und das ist auch das einziges Bemerkenswerte an diesem Schauspieler namens Tom Cruise.“

„Días de Cine“ berichtet von den wichtigsten Festivals und Preisverleihungen, von den Oscars bis zu den spanischen Goyas, den französischen César und dem europäischen Filmpreis. Die Sendung berichtet von der Berlinale, vom Festival des spanischen Films in Málaga, oder aus Cannes, Venedig, San Sebastián, Gijón und Valladolid, ohne dabei das Festival des fantastischen Films in Sitges oder das des iberoamerikanischen Films in Huelva zu vernachlässigen. „Días de Cine“ macht aber auch Sondersendungen zu einzelnen Protagonisten aus Film und Filmgeschichte, etwa über Victoria Abril, James Stewart oder Alfred Hitchcock.

Aber trotz aller schwungvollen Kritik und allem Publikumserfolg, beklagt sich auch der Macher der Sendung außerhalb der Studios, dass es nicht möglich sei, schlechte spanische Filme wirklich zu verreißen. Auch Gasset ist sich bewusst, dass seine Sendung aus unterschiedlichsten Gründen jederzeit eingestellt werden könnte und verabschiedet die Zuschauer am Ende seiner Sendung schon mit Sätzen wie:  „Ich erwarte Euch nächste Woche wieder zu ‚Dias de Cine“, es sei denn, die Sendung wird wegen wichtiger Sportereignisse abgesetzt – vielleicht wegen der Endausscheidung im Sackhüpfen.“

Clara Lopez Rubio / Wolf Martin Hamdorf
© VdFk 2007

zurück zum Inhaltsverzeichnis